Mülheim. Am 2. Juli wird Willi Bruckhoff mit der Hans-Böckler-Medaille ausgezeichnet. Wie der 84-jährige Mülheimer schon als Junge zur Gewerkschaft kam.
Nach Hans Meinolf erhält der langjährige Vorsitzender der IG Bergbau, Chemie, Energie und Leder (IGBCE), Willi Bruckhoff, als zweiter Mülheimer die Hans-Böckler-Medaille des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Mit der höchsten DGB-Auszeichnung wird das jahrzehntelange Engagement des heute 84-jährigen Gewerkschafters geehrt. Die Auszeichnung wird am 2. Juli im Saal des Bürgergartens verliehen.
Bruckhoff war schon Gewerkschaftler bevor er seine Arbeitnehmernummer erhielt
„Komm mir gar nicht nach Hause, ehe du dich hast organisieren lassen.“ Diese Mahnung bekam Willi Bruckhof als 13-jähriger von seinem Großvater Johann mit auf den Arbeitsweg zu seinem ersten Tag unter Tage. Die Mahnung kam nicht von ungefähr. Denn Johann Bruckhoff hatte zu den Organisatoren des Bergarbeiterstreiks von 1889 gehört. Damals mussten die Kumpel an der Ruhr noch für die Legalisierung ihrer Gewerkschaft, ihres Mai-Feiertages und für die Einführung des Achtstundentages kämpfen.
Streikende wurden damals mit der Entlassung bedroht. „Bevor ich meine erste Arbeitnehmernummer als Bergmann auf der Zeche Rosenblumendelle, hatte ich meine Mitgliedsnummer bei der Industriegewerkschaft Bergbau“, erinnert sich Bruckhoff. Wie sein Großvater Johann und sein Vater Wilhelm, wurde Willi Bruckhoff gleich nach dem Abschluss der Volksschule zum Kumpel.
Mit zwölf Jahren lernte Bruckhoff das Vorbild Hans Böckler kennen
„Ich bin am 1. April 1948 zu meiner ersten Schicht auf Rosenblumendelle angefahren und im Juli 1948 14 Jahre alt geworden. Ab diesem Zeitpunkt musste ich die volle 8-Stunden-Schicht unter Tage arbeiten“, berichtet Bruckhoff.
Hans Böckler, den ersten DGB Vorsitzenden, hatte Bruckhoff 1946 bei einer Gewerkschaftsveranstaltung im Essener Ruhrkohle Haus kennengelernt. „Ich hab sein Gesicht noch genau vor Augen, aber ich habe damals als kleiner Knirps nicht mit ihm geredet“, erinnert sich der Bergmann aus Winkhausen.
Bruckhoff, für den die Bezeichnung Kumpel nicht nur eine Berufsbezeichnung, sondern eine Lebensaufgabe wurde, hat Solidarität erfahren und gelebt. In den 1950er Jahren konnte er miterleben, wie die Gewerkschaften die betriebliche Mitbestimmung und den arbeitsfreien Samstag durchsetzen. Am Beginn seines Berufslebens hatte die Arbeitswoche noch 48 Stunden und nur der Sonntag war arbeitsfrei.
„Samstags gehört Vati mir“: Bruckhoff kämpfte mit dem DGB für den arbeitsfreien Samstag
Erst 1957 konnte der DGB mit der Parole „Samstags gehört Vati mir“ den arbeitsfreien Samstag erkämpfen.„Damals gab es in Mülheim zehn Ortsgruppen der IG Bergbau, die alle mehr als 1000 Mitglieder hatten“, erinnert sich Bruckhoff an den gewerkschaftlichen Organisationsgrad der Wirtschaftswunder-Jahre. Er selbst wurde als Betriebsrat und ab 1962 auch als Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes für seine Kollegen aktiv.
Über die Gewerkschaften kam er 1965 zur Sozialdemokratie, für die er von 1974 bis 1989 in der Bezirksvertretung 2 (Rechts-Ruhr Nord) mitarbeitete. Sich für die Belange seiner Kollegen und Nachbarn einzusetzen, das war und ist das Lebenselixier des Willi Bruckhoff.
Warum Bruckhoff ein Gewerkschaftler der alten Schule geblieben ist
Er lässt keinen Zweifel daran, dass er mit der digitalen Kommunikationswirklichkeit 2021 hadert. „Die Leute wollen persönlich angesprochen, sie wollen persönlich betreut werden. Ich habe immer Wert darauf gelegt, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen, ein offenes Ohr für ihre Sorgen zu haben und ihnen zu ihren Ehrentagen ein kleines Präsent zu überreichen. Nur so kann man die Leute für die Gewerkschaft gewinnen und bei der Stange halten“, ist Bruckhoff überzeugt.
Es bereitet ihm Schmerzen, dass diese Basis- und Kommunikationsarbeit von jungen Gewerkschafts- und Parteigenossen kaum noch geleistet werden will. Aber für ihn steht fest, „dass wir als Gewerkschaften und als Sozialdemokratie nichts gewinnen können, wenn wir nicht wieder rausgehen und auf die Leute zugehen und mit ihnen darüber ins Gespräch kommen, wo sie der Schuh drückt.“
Bruckhoff: „Die frühen Gewerkschaftsjahre waren kein Zuckerschlecken“
Beim sozialdemokratischen Bundesarbeitsminister Hubertus Heil sieht Bruckhoff gute Ansätze, beklagt aber, „dass er das, was er für die Arbeitnehmer erreicht, nicht wirklich offensiv und öffentlichkeitswirksam genug vertritt.“ Gewerkschaftern und Sozialdemokraten rät Bruckhoff zu einer konsequenten zwischenmenschlichen Eins-zu-eins-Kommunikation, um den Kontakt zur Basis zurückzugewinnen und für die Belange der Arbeitnehmer und Bürger politisch mobilisieren zu können.
Dabei erinnert sich der designierte Träger der Hans-Böckler-Medaille daran, dass auch die frühen Gewerkschaftsjahre, in denen der Mülheimer DGB noch von Heinrich Melzer (1890-1967) geführt wurde, kein Zuckerschlecken waren. Immer wieder musste um gerechten Lohn, Mitbestimmung, Arbeitszeit und Arbeitsschutz gekämpft werden. „Nichts kommt von allein wir dürfen nicht erwarten, dass andere uns helfen. Wir müssen uns selber helfen“, sagt Bruckhoff.
Kritisch sieht er die Individualisierung und Entsolidarisierung unserer Gesellschaft. Dass es heute Menschen gibt, für die Gewerkschaft, Sozialdemokratie und Betriebsrat Schimpfworte sind, kann er nicht nachvollziehen. „Die jungen Leute müssen einsehen, dass sie nicht nur Rechte haben, sondern auch für ihre Rechte kämpfen müssen, um sie zu erhalten oder auszubauen“, unterstreicht Bruckhoff.
Der Gewerkschaftler beklagt die „Entsolidarisierung unser Gesellschaft“
Er hat den Strukturwandel am eigenen Leibe erfahren. Nachdem 1966 mit Schließung der Zeche Rosenblumendelle für den Bergbau in Mülheim Schicht im Schacht war, arbeitete er noch fast zwei Jahrzehnte als Bergmann auf Essener Zechen, zuletzt auf der Zeche Zollverein, die heute als Weltkulturerbe der UNESCO zur Ikone des Ruhrgebietes geworden ist.
Solidarität beginnt für Willi Bruckhoff nicht erst beim Gewerkschaftsmitglied, sondern auch schon in der Nachbarschaft. „Die Menschen haben früher mit ihren Nachbarn öfter zusammengesessen, sich unterhalten, gemeinsam gefeiert und gemeinsam angepackt. Das brauchen wir wieder, aber davon ist viel kaputt gegangen“ sagt Bruckhoff.
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Wie Integration gelingen kann,, hat er als Betriebsrat und Bergbau- Ausbilder ab 1960 auf Rosenblumendelle vorexerzierte. „Damals kamen die ersten türkischen Kumpel zu uns. Ich habe anfangs bei ihnen im Ledigenheim an der Rosendeller Straße übernachtet, um sie mit dem deutschen Arbeitsleben unter und über Tage vertraut zu machen.
Später habe ich die Kollegen auch nach Hause eingeladen, um unsere Kameradschaft zu stärken. Das hat sich ausgezahlt. Wir haben bis zum Schluss ein gutes Verhältnis gehabt und ich werde heute noch von vielen türkischen Kollegen gegrüßt, wenn sie mich in der Stadt sehen“, berichtet Bruckhoff.
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„Wenn man die Menschen gut behandelt, bekommt man auch viel Gutes von ihnen zurück“, beschreibt Bruckhoff eine seiner wichtigsten Lebenserfahrungen.
Auch wenn die letzte Zeche in Mülheim lange geschlossen ist, pflegt er in seinem Haus in Winkhausen mit einem Garten eine alte Kumpel-Tradition. „Heute will keiner mehr einen Garten haben, aber damals war der Garten hinterm Haus für die Kumpel lebenswichtig. Alle Kollegen haben Kartoffeln, Salat Kohlrabi und Möhren angepflanzt. Viele haben auch ein Schwein oder eine Ziege gehalten, so dass sie sich weitgehend selbst versorgen konnten. Das war echtes Geld wert“, schaut Bruckhoff auf eine Zeit zurück, als er noch ein junger Kumpel war, der im 2018 beendeten Ruhrbergbau erlebte, was Herbert Grönemeyer in Willi Bruckhoffs letztem Berufslebensjahr 1984 mit der „Bochum“-Liedzeile besang: „Dein Grubengold hat uns wieder hochgeholt.“