Mülheim. Während die Verhandlungen zum Abbau von 700 Stellen bei Siemens in Mülheim noch laufen, tut sich womöglich am Horizont ein Lichtstreif auf.

Das Wort „Kompensation“ hat sich in den vergangenen Jahren am größten NRW-Standort von Siemens Energy (SE) in Mülheim zu einem viel strapazierten entwickelt: Beschäftigte, aber auch Konzernlenker treibt die Frage um, wie es gelingen kann, den Bedeutungsverlust als Spezialist für konventionelle Kraftwerkstechnologie in Zeiten der Energiewende zu kompensieren. Wie kann Ausgleich geschaffen werden für den Verlust von weiteren 700 Arbeitsplätzen, der ansteht? Große Hoffnungen setzen die Beschäftigten auf die Wasserstofftechnologie.

Sie wird auch Thema der Verhandlungen zu Interessenausgleich und Sozialplan sein, die seit März zum geplanten Abbau von weiteren 700 Stellen am Standort Mülheim laufen und erklärtermaßen laut SE-Vorstand möglichst Ende dieses Monats, spätestens im Juli abgeschlossen sein sollten. Der Betriebsratsvorsitzende des Mülheimer SE-Standortes, Jens Rotthäuser, kündigte gegenüber dieser Redaktion an, dass für die dritte Juni-Woche eine finale Verhandlungsrunde mit der Arbeitgeberseite anberaumt sei.

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Mülheimer Siemens-Standort hofft auf Kompensationen für den Abbau von 700 Stellen

Im Gegenzug zum Stellenabbau erwarte der Betriebsrat von der Konzernführung eine klare Zukunftsperspektive, wie es mit neuen Energiewende-Technologien in Mülheim weitergehen könne. „Da gibt es noch einige Diskussionspunkte, es sind noch einige Hürden zu überspringen“, sagt Rotthäuser vor der Verhandlungsrunde. Ziel beider Seiten sei es aber, doch schon Ende Juni ein Ergebnis stehen zu haben.

Das Sparprogramm von Siemens Energy

Anfang Februar hatte der Vorstand von Siemens Energy erklärt, in Mülheim bis zum Jahr 2025 rund 700 der 4300 Stellen abbauen zu wollen.

Dabei ist das Sparprogramm von vor drei Jahren noch nicht abgewickelt, das bis 2023 den Verlust von 600 Stellen vorsieht. Gut 150 Stellen davon waren – Stand März – noch abzubauen.

Mülheim als größter Siemens-Standort in NRW will mit Energiewende-Technologien das Schwächeln im Geschäftsfeld des konventionellen Kraftwerkbaus ausgleichen. Insbesondere ist da neben der Technologie zur Netzstabilisierung die Elektrolyseur-Fertigung derzeit ein heißes Thema. Wie das Handelsblatt berichtet und Rotthäuser bestätigt, machen sich gleich mehrere SE-Standorte Hoffnungen, hier profitieren zu können. Das Handelsblatt berichtet mit Verweis auf Insider-Informationen, dass ein großes Interesse an den Standorten Görlitz, Berlin und Mülheim besteht.

Wasserstoff-Technologie: Mülheimer sind an der Elektrolyseur-Entwicklung beteiligt

Mit Elektrolyseuren ist es möglich, durch elektrische Energie Wasser aufzuspalten, um Wasserstoff zu produzieren, auf dem hinsichtlich der deutschen Energiewende bekanntlich große Hoffnungen liegen. Schon länger ist ein kleines Team am SE-Standort Mülheim in das konzerneigene Forschungsvorhaben involviert, hier marktreife Produktlinien zu entwickeln, die es etwa ermöglichen sollen, mit CO2-neutraler Energie eine Wasserstoff-Produktion in großem Stil zu ermöglichen.

Perspektivisch solle Wasserstoff den wesentlichen Baustein des Geschäfts bei SE abbilden, kommentierte Vorstand Jochen Eickholt gegenüber dem Handelsblatt. Laut Betriebsrat Rotthäuser ist es ein Projekt des „New Energy Business“, das aktuell aus Erlangen heraus vorangetrieben werde. Mit Hilfe der Mülheimer Kollegen sei mittlerweile ein Elektrolyseur größerer Dimensionen entwickelt, ein Prototyp werde gerade vormontiert. „Pfiffige Kollegen“ aus der Mülheimer Service-Sparte hätten dazu auch schon ein Service-Konzept entwickelt.

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Betriebsrats-Chef: „Nicht nur Mülheim hat da die Hand gehoben“

Das nährt die Hoffnung, dass der Elektrolyseur Mülheim ein sicheres Standbein für die Zukunft geben kann. Was derzeit noch in Erlangen gefertigt werde, sei auf größere Füße zu stellen. Um den Elektrolyseur in Serie zu bringen, seien größere Fabrikkapazitäten nötig, die Mülheim eben bieten könne. Rotthäuser bleibt aber vorsichtig: „Nicht nur Mülheim hat da die Hand gehoben.“ Einen Favorit für das konzerneigene Rennen um den Zuschlag gebe es noch nicht; das werde aber Thema der anstehenden Verhandlungen sein.

Mehr sagt Rotthäuser nicht, will wohl auch den internen Konkurrenzkampf der SE-Standorte vor den Gesprächen in dieser Woche nicht unnötig anstacheln. Klar dürfte aber die Marschrichtung der Mülheimer sein: Der Standort ist am stärksten betroffen von Stellenabbau und Kohleausstieg. Man erwartet ein dickes Stück Kompensation aus dem Portfolio der Zukunftstechnologien.

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Forscher und Entwickler arbeiten am Kraftwerk der Zukunft

Noch eine Vision aus Mülheim steckt zwar noch in einem frühen Entwicklungsstadium, könnte aber auch Beschäftigung am Werksstandort absichern, wenn das Geschäft um die Wasserstoff-Technologie in Zukunft – wie erwartet – kräftig anzieht. So ist ein Team dabei, eine komplett CO2-freie Rückverstromung von Wasserstoff in Kraftwerken möglich zu machen. Mit Kraftwerksbetreibern weltweit, von Lingen im Emsland bis Kashima in Japan, kooperiert Siemens bereits in dieser Sache. Ein Reallabor gibt es in Zusammenarbeit mit der Steag in saarländischen Völklingen.

„Die Rückverstromung in Kraftwerken ist aber noch in weiter Ferne“, so Rotthäuser. Anwendungen im kleineren Stil könnten da eher – und auch für SE in Mülheim – ein Thema werden. Lösungspotenziale sieht Siemens etwa hinsichtlich industrieller CO2-Emissionen.

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Oberbürgermeister aus Mülheim und Duisburg richten Appell an SE-Vorstand

Ende April hatten sich Mülheims OB Marc Buchholz (CDU) und Duisburgs OB Sören Link (SPD) nach einem Gespräch mit Vertretern aus Geschäftsführung und Betriebsräten von Siemens Energy gemeinsam erklärt und an die Konzernführung appelliert, möglichst viele Stellen an den SE-Standorten beider Städte zu erhalten. Man wolle den Transformationsprozess an beiden Standorten nach (nicht näher definierter) Möglichkeit unterstützen.

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Auch die OB sehen in der Etablierung der Wasserstofftechnologie einen Schlüssel, um die SE-Standorte im westlichen Ruhrgebiet zu stabilisieren. „Wir haben ausdrücklich dafür geworben, dass das Ruhrgebiet mit seinen Standorten in Duisburg und Mülheim der richtige Ort für die Entwicklung zukunftsfähiger Energiewirtschaft ist“, hatte Duisburgs OB Link gesagt.

Das ausgerufene Ziel des Konzerns, seine Strategie auf erneuerbare Industrieprodukte auszurichten, sei „aus unternehmerischer Sicht und für unsere Städte der richtige Weg, den wir gemeinsam gehen wollen“, hofft Mülheims OB Buchholz, dass „hochmoderne Technologien die Standorte zukunftssicher machen“.