Mülheim. Mit einem Innovationsprojekt zur Energiewende wollen Siemens Energy und Netzbetreiber Amprion aus Mülheim heraus weltweit Strahlkraft entfachen.
Die Verhandlungen zum geplanten Abbau von 700 Stellen am Standort Mülheim von Siemens Energy (SE) sind gerade erst angelaufen, da hat der Energiekonzern am Montag ein ehrgeiziges Entwicklungsprojekt mit Netzbetreiber Amprion präsentiert. Mit ihm will sich der Standort weltweit als Spezialist für Energiewende-Technologien positionieren. NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart nutzte den Tag, an dem die Partner den Kooperationsvertrag unterschrieben, für einen Appell an die Konzernlenker von Siemens. Nach dem Motto: mehr davon!
Gemeinsam wollen die Amprion GmbH, die als einer von vier Betreibern deutscher Höchstspannungsnetze Strom über 11.000 Kilometer quer durch die Republik transportiert, und SE einen sogenannten asynchronen Phasenschieber für eine Netzfrequenz von 50 Hertz zur Marktreife entwickeln. Dieser soll helfen, das Stromnetz der Zukunft, das mit dem Ausstieg aus konventionellen Kraftwerkstechnologien zunehmend nicht mehr so zuverlässig und gleichmäßig mit Energie gespeist wird wie bisher, beherrschbar und sicher zu halten.
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Neue Technologie soll helfen, die Netzstabilität zu gewährleisten
Es gilt Leistungsschwankungen auszugleichen, die Netzspannung stabil zu halten, den Blackout in der Stromversorgung auch für die Zeiten auszuschießen, in der Windkraft oder Sonnenenergie nach Abschaltung von mehr und mehr Kohle- und Gaskraftwerken dominierend sein werden im deutschen Energiemix. SE-Vorstand Jochen Eickholt machte am Montag deutlich, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland sich keinen Blackout leisten sollte, verursache dieser doch 600 Millionen bis gar 1,3 Milliarden Euro Schaden. Pro Stunde!
Amprion-Geschäftsführer Hendrik Neumann machte deutlich, dass insbesondere Nordrhein-Westfalen vor einem Wandel stehe: von einem aus Stein- und Braunkohle getragenen Strom-Exporteur zum Strom-Importeur, etwa von Offshore-Windenergie der Nordsee. Schon Ende 2022 würden Braun- und Steinkohlekraftwerke mit einer Leistung von rund neun Gigawatt vom Netz gehen. Dies sei eine große Herausforderung für Übertragungsnetzbetreiber wie Amprion, die Systemsicherheit im Stromnetz gewährleisten sollen. Für Amprion sei der Mülheimer SE-Standort ein Partner von besonderer Bedeutung, „da er für weltweit anerkannte Expertise steht“, so Neumann.
Durch Stabilisierungsmechanismen sei Vorsorge für das Stromnetz der Zukunft zu treffen, betonte auch Minister Pinkwart am Montag anlässlich der Unterzeichnung des Kooperationsvertrages zwischen SE und Amprion. Das Pilotprojekt der Entwicklungspartner sei „ein bedeutender Beitrag zur Energiewende in Deutschland“ und stärke den Standort für innovative Energietechnologie.
Wirtschaftsminister Pinkwart: Projekt sichert „technisch sehr anspruchsvolle Arbeitsplätze“
Pinkwart, der das SE-Management in der Vergangenheit gedrängt hatte, bei der Restrukturierung des Konzerns das in Mülheim vorhandene Knowhow bezüglich Forschung und Entwicklung tunlichst zu nutzen, betonte am Montag, dass das Kooperationsprojekt „technisch sehr anspruchsvolle Arbeitsplätze sichert“. Der SE-Standort sei einer der wenigen weltweit, der befähigt erscheine, etwa in puncto Netzstabilität jene benötigten Pionierleistungen zu erbringen.
Siemens-Vorstand erhebt Führungsanspruch auf Weltmarkt
Die Entwicklung des ersten rotierenden asynchronen Phasenschiebers untermauere den Führungsanspruch von Siemens Energy auf dem Weltmarkt der Energiewende-Technologien, sagte Siemens-Vorstand Jochen Eickholt am Montag.
Die elektrische Anlage soll im Gegensatz zum synchronen Phasenschieber weit mehr und weit länger Rotationsenergie liefern, um für das Stromnetz innerhalb von nur wenigen Millisekunden Energiereserven zur Verfügung zu stellen, wenn etwa Windparks weniger Strom liefern als kalkuliert. Die neue Anlage soll etwa die zehnfache Wirkung entfachen wie herkömmliche Phasenschieber.
Auf Ansprache dieser Redaktion wurde Pinkwart am Montag noch deutlicher. Der Mülheimer SE-Standort besitze seiner Meinung nach „die Fähigkeiten, die es uns erlauben, neue Technologien möglich zu machen“. Mit Blick auf den Betrieb von Gaskraftwerken als Brückentechnologie für die Energiewende machte Pinkwart deutlich, dass das Land auch auf diesem Feld auf die Innovationsstärke von SE am Standort Mülheim setze.
Pinkwart sieht Chance, dass Standort Mülheim auch wieder wachsen kann
Jene am Montag präsentierte Spitzentechnologie zur Netzstabilität sei „eine wichtige Zukunftsperspektive für den Standort. Der Standort Mülheim kann noch mehr Beiträge leisten, um die Energiewende sichern zu können“, forderte der Minister das SE-Management auf, dies auch möglich zu machen. Das Land werde „alles tun, damit sich diese Potenziale in Zukunft entfalten können“. So seien in Zukunft auch wieder Arbeitsplätze aufzubauen.
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SE-Vorstand Eickholt reagierte zurückhaltend hinsichtlich konkreter Perspektiven für den Standort Mülheim, unterstrich aber das Ziel von SE, Energiewende-Produkte für den Weltmarkt produzieren zu wollen – mit dem Anspruch eines Weltmarktführers. Der Betriebsrat hatte in der Vergangenheit mehrfach eine konkrete Strategie eben dafür am Standort eingefordert, vermisst sie bis heute.
Siemens richtet neues Schulungszentrum für Energiewende-Technologien ein
Derweil wurde im Rahmen der Veranstaltung am Montag bekannt, dass SE in einem Verwaltungsgebäude an der Rheinstraße den Raum geschaffen hat für ein Schulungszentrum, das die Energiewende-Technologien der Zukunft in den Mittelpunkt stellt. Hier sollen intern Mitarbeiter geschult werden. Das Schulungszentrum (mit direktem Sichtkontakt in die Fertigung) soll aber auch Kunden und anderen Externen aufzeigen, welchen Herausforderungen der Energiewende sich die Mülheimer SE-Belegschaft aktuell stellt.