Mülheim. Die Corona-Krise hat kleine Jobs vernichtet und große Sorgen ausgelöst. „Wahnsinnig schwer“ fand ein Mülheimer Student das vergangene Jahr.

Corona quält, nervt und geht auch ins Geld. Unsere Leserumfrage deutet darauf hin, dass nur wenige Menschen in Mülheim Gewinn aus der Krise ziehen. Besonders gebeutelt sind offenbar jüngere Leute. Wie Sebastian Budde, eigentlich ein hoch qualifizierter und motivierter junger Mann. Seinen persönlichen Neustart hat die Pandemie sehr erschwert – nicht nur seinen.

Vor allem jüngere Menschen in Mülheim beklagen finanzielle Einbußen

Der 25-Jährige ist Kfz-Mechatroniker und hat im Dezember 2019 die Meisterschule abgeschlossen. Den nächsten Schritt hatte er schon vor Augen: ein Maschinenbau-Studium an der Hochschule Ruhr West (HRW) in Mülheim. Dazwischen war er arbeitssuchend gemeldet und hätte er gerne Geld verdient, doch das gestaltete sich schwierig. „Als Meister konnte ich nicht vermittelt werden.“

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Mit dem Studienstart im September 2020 wurde es nicht leichter. Nebenjobs waren Mangelware, beispielsweise als Auslieferungsfahrer bei Apotheken oder Supermärkten. „In der Umgebung gab es gar nichts“, berichtet Sebastian Budde, „ich habe mich bei der Arbeitsagentur gemeldet und auf allen möglichen Jobportalen geschaut. Ich fühlte mich sehr krass allein gelassen.“ Selbstzweifel kamen auf. „Vielleicht war ich einfach zu blöd zum Suchen. Aber auch Studienkollegen sagen, dass es durch Corona wahnsinnig schwer geworden ist.“

„Auch Studienkollegen sagen, dass es durch Corona wahnsinnig schwer geworden ist“

Seit diesem Monat arbeitet der 25-Jährige als studentische Hilfskraft beim DGB, zusätzlich hilft ihm ein zweijähriges Stipendium, über die Runden zu kommen. Viele andere junge Leute hängen weiter in der Luft.

Ergebnisse des Corona-Checks

An unserer großen Leser-Umfrage im Frühjahr haben sich insgesamt 15.304 Menschen aus dem gesamten Ruhrgebiet beteiligt, darunter 912 aus Mülheim. Sie ist nicht repräsentativ, zeichnet aber ein Stimmungsbild.

Unter anderem wurde nach der finanziellen Situation gefragt: Hat sie sich 1 (verbessert) bis 5 (verschlechtert)? Die Durchschnittsnote liegt bei 3,14.

Jüngere Befragte unter 40 Jahren geben im Schnitt eine 3,27, Menschen über 60 eine 2,97. Auch die Bewertung von Frauen (3,21) und Männern (3,04) unterscheidet sich deutlich.

Ebenso bei der Frage nach Veränderungen der beruflichen Lage: Hier geben Frauen im Schnitt eine 3,38, Männer 3,13.

Augenfällig ist auch, dass Frauen durch Corona offenbar mehr Finanzkraft verlieren als Männer. Sie beklagen zudem häufiger Verschlechterungen ihrer beruflichen Situation als männliche Befragte.

Die möglichen Gründe erschließen sich erst auf den zweiten Blick. Klar ist: Corona hat die Arbeitslosigkeit in die Höhe schießen lassen. Die durchschnittliche Arbeitslosenquote in Mülheim lag 2020 bei 8,3 Prozent, während es im Vor-Coronajahr 2019 nur 7,1 Prozent waren. Tatsächlich sind Männer aber stärker betroffen als Frauen. Die Zahl der arbeitssuchenden Menschen in Mülheim hat sich im Jahresvergleich um 16,8 Prozent erhöht - bei Männern um 17,9 Prozent, bei Frauen um 15,6 Prozent.

Mehrfachbelastung für Frauen in systemrelevanten Berufen

Gut vertraut mit den Zahlen ist Marion Steinhoff, Beauftragte für Chancengleichheit bei der Arbeitsagentur Oberhausen/Mülheim. Sie sagt: „Branchen, in denen viele Frauen arbeiten, sind überwiegend systemrelevant.“ Das gilt für den Gesundheitssektor, für die Kitas, für Geschäfte des täglichen Bedarfs. Hier sind die Arbeitskräfte in der Pandemie stärker denn je gefordert, hier zerrt die Mehrfachbelastung durch Homeschooling und Kinderbetreuung besonders an den Müttern. „Es sind immer noch die Frauen, die den größten Anteil der Sorgearbeit leisten“, sagt Steinhoff.

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Von Stephanie Weltmann und Michael Kohlstadt

Und wenn man den Bereich der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung verlässt, auf die Minijobs schaut, dann haben auch mehr Frauen als Männer ihre Arbeitsplätze durch Corona verloren. In den geschlossenen Boutiquen und Cafés, als Alltagsbegleiterinnen in der Pflege.

Frauen wählen häufiger den Rückzug in die „stille Reserve“

Marion Steinhoff trifft betroffene Frauen in ihren Online-Seminaren zum beruflichen Wiedereinstieg. Oft sind die Frauen nur Hinzuverdienerinnen. Wenn sie ihren Minijob durch Corona verloren haben, aber das Familieneinkommen trotzdem noch reicht, dann geschieht manchmal etwas, das der Beraterin besonders große Sorgen macht: „Die Frauen ziehen sich zurück in die stille Reserve, melden sich nicht mehr arbeitssuchend – und erscheinen nicht mehr in der Statistik.“

Rund 700 Minijobber in Mülheim haben ihre Arbeit verloren, die Mehrheit sind Frauen.
Rund 700 Minijobber in Mülheim haben ihre Arbeit verloren, die Mehrheit sind Frauen. © funkegrafik nrw | Pascal Behning