Mülheim. Am Dienstag starten die Verhandlungen um den geplanten Abbau von 700 Stellen bei Siemens Energy in Mülheim. Was die Mülheimer Betriebsräte sagen.
Nachdem sich Gesamtbetriebsrat und Management von Siemens Energy bereits in der vergangenen Woche zum offiziellen Start der Verhandlungen getroffen hatten, stehen erste Gespräche zum geplanten Abbau von 700 Stellen am Konzern-Standort Mülheim nun unmittelbar bevor. Die örtlichen Betriebsräte liefen sich am Montag schon einmal symbolhaft warm für einen Verhandlungsmarathon, den sie erwarten.
Arbeitnehmervertreter der Standorte Mülheim und Duisburg hatten sich am Morgen in Laufmontur von den jeweiligen Werksstandorten aufgemacht, um sich ein paar Kilometer weiter an der Stadtgrenze zu treffen und Einheit zu präsentieren für die Verhandlungsrunde um Interessenausgleich und Sozialplan. Auf dem Zoo-Parkplatz kamen sie zusammen, um ihre Botschaft an die Arbeitgeberseite zu senden: „Wir werden die Verhandlungen sicher nicht im Sprint durchziehen, wir richten uns eher auf einen Marathon ein“, sagte da etwa Dieter Kupferschmidt, der Betriebsratsvorsitzende von Siemens SC, jener Servicesparte, die erst vor zwei Jahren von Essen zum Siemens-Standort am Mülheimer Rhein-Ruhr-Hafen umgezogen war.
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Betriebsrat zu Outsourcing der Ventilfertigung: „Totaler Quatsch!“
82 von 560 Stellen sollen allein in der Mülheimer Service-Einheit wegfallen. Betriebsrat Mirko Klaphecke, der selbst als Wuchtschlosser in der SC-Abteilung arbeitet, beklagt insbesondere die Pläne des Vorstandes, die Ventilfertigung einzustellen und den Bereich auszulagern. Schon im Restrukturierungsprogramm „Power Generation 2020“ sei eine Verlagerung der Fertigung ins tschechische Brünn Thema gewesen. Seinerzeit wurde noch davon abgesehen, die Fertigung in die Servicesparte integriert.
„Vom Benchmark her ist das totaler Quatsch“, kann Klaphecke die Management-Pläne nicht nachvollziehen. Er sagt, dass die eigene Belegschaft ihren Job zu einem Preis machen könne, der den Vergleich mit dem Outsourcing-Projekt nicht scheuen müsse. Klaphecke sieht das Vertrauen der Belegschaft insgesamt in die Zukunft aufs Spiel gesetzt. Auch Mitarbeiter, die aktuell womöglich nicht vom Stellenabbau betroffen seien, setzten hinter ihrer Perspektive bei Siemens Energy ein Fragezeichen. Die Unsicherheit auch bei jungen Mitarbeitern sei groß.
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Belegschaft sieht sich gerüstet für Transformation hin zur Energiewende
Ganz vor dem Aus steht auch die Mülheimer Schaufelfertigung. Schon der vorherige Interessenausgleich hatte eine Teilverlagerung zum Siemens-Standport Görlitz mit sich gebracht. Nun soll die gesamte Schaufelfertigung nach Budapest verlagert werden. 16 Mitarbeiter in Mülheim stehen vor dem Aus. Betriebsrat Jörg Paulerberg kritisiert, dass Siemens Energy so das komplette, hoch spezialisierte Knowhow aus Mülheim verloren gehe. Die gehärtete Niederdruckschaufel, die in Mülheim gefertigt werde, sei im Schaufel-Segment „die technologisch sensibelste“; sie werde individuell nach Kundenansprüchen produziert, sei kein Massenprodukt, das sich ohne Weiteres von A nach B verlagern lasse.
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Das enorme Wissen, das am Standort versammelt ist, bleibt großes Thema der Betriebsräte. Sie sehen die Gefahr, dass sich Siemens Energy bei bloßem Stellenabbau einer Zukunftsperspektive beraubt, eben dieses Know-how zu nutzen für die Transformation hin zur Entwicklung und Produktion von Energiewende-Technologien. Stichworte sind seit Jahren aufgerufen: Die Belegschaft sieht sich in der Lage, den Standort nach dem Kohleausstieg neu am Markt zu positionieren – mit Technologien zur Netzstabilität, zur Energiespeicherung oder zur Wasserstoff-Nutzbarmachung.
Betriebsräte fürchten einen immensen Verlust an Know-how
Den geplanten Abbau von 92 Stellen Forschung und Entwicklung sowie der Projektabwicklung beklagt denn auch die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Eva Hans. „Das ist tragisch“, sagt sie: „Wir wollen in Zukunftstechnologien investieren, aber die Fachexperten dafür gehen uns verloren.“ Hans spricht das aus, was in der Belegschaft Konsens ist: Ihnen fehlt eine klar formulierte Zukunftsstrategie des Konzerns. „Für was wird Mülheim 2025 stehen?“, fragt Hans. Ohne erkennbare Strategie, so ihre Befürchtung, werde Siemens Energy motivierte, hoch qualifizierte Mitarbeiter kaum halten können.
Auch Betriebsratchef Jens Rotthäuser verlangt für die nun startenden Verhandlungen am Standort, dass das Management im Detail nicht nur offenlegt, wie es sich den Stellenabbau vorstellt, sondern auch, „wohin die Reise für den Standort gehen soll“, der allein durch den Kohleausstieg rund 300 Stellen verlieren soll. Am Dienstag tagt zum ersten Mal die Unterverhandlungsgruppe für die Mülheimer Servicesparte, tags drauf geht es um Fertigung, Engineering, IT, später noch um die Support-Funktionen, wo auch 180 Stellen angezählt sind.
Betriebsratschef Rotthäuser: „Wir sind nicht blauäugig“
Die Betriebsräte gehen laut Rotthäuser eben auch mit der Forderung ins Rennen, „nicht Tür und Tor zu öffnen und die Experten vom Hof zu jagen“, die für den Transformationsprozesss am Standort Mülheim so unabkömmlich erscheinen. „Wir sind nicht blauäugig und wissen, dass wir das Blatt nicht wenden können“, sagt Rotthäuser zum Start der Verhandlungen. „Aber wir wollen Zukunft gestalten.“
Dieter Kupferschmidt als Betriebsratschef der Servicesparte ergänzt, dass der Energiemarkt ja gerade Knowhow und Infrastruktur für die Energiewende abfrage. Der Siemens-Standort Mülheim könne diesen Markt bedienen.