Mülheim. Nach der Abkopplung vom Mutterkonzern sorgen sich Mitarbeiter von Siemens Energy in Mülheim um ihre Zukunft. Das Land stellt sich auf ihre Seite.

Zunehmend machen sich Sorgen im Mülheimer Werk von Siemens Energy (SE) breit, dass der Transformationsprozess in die Eigenständigkeit den Standort nicht zu dem macht, was sich alle erhoffen: zu einem Kompetenzzentrum für die Entwicklung und Fertigung von Technologien der Energiewende. Wieder herrscht Angst um Jobs. Hinter den Kulissen macht sich bereits die Landesregierung stark für den Standort. Sie fürchtet offenbar einen weiteren Bedeutungsverlust für die Industrieregion Ruhr.

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Kurz vor dem Start in die Selbstständigkeit hatte SE-Vorstand Christian Bruch im Spätsommer die Strategieziele des neuen Unternehmens, das weltweit 90.000 und in Mülheim 4300 Mitarbeiter beschäftigt, ausgegeben. Bis 2023 sollten weitere 300 Millionen Euro eingespart werden. Es gelte, mit Margen zwischen 6,5 und 8,5 Prozent deutlich profitabler zu werden, sich auf margenträchtige Geschäfte zu konzentrieren, hieß es. Das Produktportfolio sei dementsprechend zu durchleuchten. Auch Standortschließungen wurden nicht ausgeschlossen.

Mülheimer Betriebsräte beklagen: Vorstand sagt nicht ansatzweise, wohin die Reise geht

Der Übergang im Oktober sei „ohne Tamtam und ruckelfrei“ verlaufen, „auch mit guter Stimmung“ in der Belegschaft, blickt der Betriebsratsvorsitzende des Mülheimer Werkes, Jens Rotthäuser zurück. Mittlerweile aber sieht er Unruhe aufkommen. Erwartet wird, dass der Vorstand im Februar zur Sitzung des Wirtschaftsausschusses nicht nur seine Analyse auf den Tisch legen wird, sondern gleichsam auch sein Konzept zum Umbau des Unternehmens.

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Beunruhigend sei, dass der Vorstand bislang nicht ansatzweise aufgezeigt habe, wohin die Reise gehen werde, beklagen Rotthäuser und sein Stellvertreter Hans-Peter Barth. Die Befürchtung, nachdem Mülheim schon im Ringen um den Hauptsitz Berlin unterlegen war: weiterer Aderlass am hiesigen Standort.

Standort Mülheim will entschieden am Markt der Energiewende mitspielen

Es ist klar: Mülheims Siemens-Werk braucht einen kräftigen Innovations-Impuls. Nun ist auch der Kohleausstieg fix, mit seinen Schwerpunkten im Großgerätebau für den konventionellen Kraftwerksbetrieb wird der Standort in der gegebenen Verfassung allenfalls gefragt bleiben, um Brückentechnologie für die Energiewende zu liefern. Seit September schwächeln die Bereiche Generatoren und Dampfturbine so stark, dass Kurzarbeit gefahren wird. Auch für 2021 werde die tarifliche Option gezogen, über den gesamten Standort hinweg Lohnbestandteile in zusätzliche Freizeit umzuwandeln. Ohnehin würde schon „massivst Guthaben von Arbeitszeitkonten abgebaut“, so Betriebsrats-Vize Barth.

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Alternative Geschäftsmodelle, ob in der Netzstabilisierung, der Energiespeichertechnik oder der Wasserstofftechnologie, sind – trotz einiger Vorzeigeprojekte – noch zarte Pflänzchen, die nicht kurzfristig allen der 4000 Mitarbeitern Beschäftigungssicherheit geben werden. „Die Scheibchen-Taktik der vergangenen zehn Jahre, das alles immer weiter schrumpft, kann nicht die Basis für ein Geschäft sein, mit dem man überleben kann“, fordert Betriebsrat Rotthäuser Perspektiven ein, die den Standort auf dem Markt der Energiewende mitspielen lassen.

NRW-Wirtschaftsminister Pinkwart unterstützt Betriebsräte in ihren Forderungen

Siemens Energy und der Standort Mülheim

Am 28. September ist Siemens Energy als eigenständiges Unternehmen an die Börse gegangen. Seither ist der Kurs der Aktie um gut 20 Prozent angestiegen. Die Siemens AG hält noch gut 35 Prozent der Anteile.

Am Werksstandort Mülheim ist das Engineering für Gasturbinen angesiedelt sowie die Produktion von Generatoren und Dampfturbinen. Außerdem angesiedelt ist eine Servicesparte, die zuletzt gewachsen war durch eine Zusammenführung mit dem Servicestandort Essen.

Im Bereich der Netzstabilität habe Siemens schon erste Aufträge aus Großbritannien an Land gezogen. Der Betriebsrat fordert den SE-Vorstand auf, das Know-how, aber auch die Produktionskapazitäten und logistischen Vorzüge vor Ort entschieden zu nutzen und in Mülheim die Weichen zu stellen für ein Kompetenzzentrum der Energiewende-Technologie. „Um die Energiewende innovativ voranzutreiben, bedarf es einer Grundlast am Standort Mülheim. Hier erwarten wir Kompensation, da wir nach Aussage des CEO ein wichtiger Partner im Produktionsnetzwerk sind“, so Rotthäuser.

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Unterstützung erhält der Betriebsrat auf höchster Ebene des Landes. NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart wirbt dem Vernehmen nach intensiv für eine Stärkung des Standortes Mülheim. Der Minister bestätigte gegenüber dieser Redaktion, dass er sich sowohl mit den Betriebsräten als auch mit der SE-Geschäftsleitung „wiederholt eng ausgetauscht“ habe.

Pinkwart wirbt für SE-Kompentenzzentrum in Mülheim

Siemens Energy habe mit dem Kohleausstieg die Chance, „sich auf zukunftsfähigen Geschäftsfeldern neu auszurichten. Die nordrhein-westfälischen Standorte bringen die besten Voraussetzungen mit, konzernweite Fähigkeiten in Kompetenzzentren zu bündeln“, so Pinkwart mit Blick etwa auf die Produktion von Elektrolyseuren oder besonders leistungsfähigen Aggregaten, die die Stromnetze stabilisieren. Dem Vernehmen nach hat Pinkwart beim SE-Vorstand für eine Rückholaktion der Generatoren-Fertigung geworben, die seinerzeit nach Charlotte (USA) verlagert worden war.

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Die Landesinitiative kommt sicher nicht von ungefähr; nicht nur die schlagzeilenträchtigen Turbulenzen um Thyssenkrupp sind Ausdruck wachsender Probleme der Industrieregion Ruhr. Im Februar wird sich wohl offenbaren, wie entschieden die Reise für den Siemens-Standort Mülheim auf die Zukunft ausgerichtet werden soll.