Mülheim. . Siemens-Betriebsratschef Pietro Bazzoli über den Abbau von Arbeitsplätzen, über Innovationen und das Thema Ausbildung.

  • 348 Kollegen vom Stellenabbau bis 2020 betroffen
  • Bis Februar 2017 müssen sie neue Pläne entwickeln
  • Fürs Werk setzt der Betriebsratschef vor allem auf Innovationen

Der massive Abbau der Arbeitsplätze ist weiter eines der größten Themen, die Pietro Bazzoli, Betriebsratschef bei Siemens, und seine Mitstreiter umtreiben. Auch wenn es keine betriebsbedingten Kündigungen gibt und die Leitung reichlich Zeit für die Umsetzung eingeräumt hat: In den kommenden Wochen müssen sich 348 Kollegen der Bereiche Generator, Schaufel- und Ventilfertigung endgültig überlegen, wie es für sie weitergeht. Bazzoli macht sich derweil auch in anderer Hinsicht Gedanken über die Zukunft.

Wie funktioniert der Arbeitsplatzabbau konkret?

Pietro Bazzoli: Wir versuchen alles, um die Kollegen im Ersten Arbeitsmarkt zu halten, am besten bei Siemens. Das ist nach wie vor ein tolles Unternehmen mit vielen Chancen. Die Mitarbeiter müssen sich bis Februar 2017 entscheiden, was sie machen wollen. Sie können bei der Personalabteilung ein Kurzprofil hinterlegen, dann wird für sie nach einer neuen Stelle im Konzern gesucht. Im Gespräch geht es aber auch um Themen wie Aufhebungsvertrag oder Transfergesellschaft.

Welche Wünsche gibt es?

Bazzoli: Die meisten möchten bei Siemens bleiben, viele sind über Familie und Eigentum an die Region gebunden. Einige interessieren sich für das Werk in Cuxhaven, wo künftig Windkraftanlagen gebaut werden sollen. Und es gibt Einzelfälle, die in die USA oder nach China wechseln. Mancher begreift die Situation als Chance, sich neu aufzustellen.

In welchem Zeitrahmen werden die Maßnahmen umgesetzt?

Bazzoli: Wir haben Zeit bis September 2020. Also auch Luft, um Leute an Standorten wie Brno in Tschechien, wo die Ventilfertigung hingeht, zu qualifizieren. Hier läuft es langsam aus, da langsam an. Bemerkenswert war, dass die Kollegen auch nach der Ankündigung, Jobs abbauen zu wollen, professionell gearbeitet haben. Da kam der große Ägyptenauftrag rein – und da war niemand, der den Hammer einfach hat fallen lassen.

Gibt es Hilfe von außen?

Bazzoli: Wir bekommen viel Solidarität. Unser Mitarbeiter haben einen guten Ruf. Wenn sich also andere Unternehmen für Kollegen interessieren, steckt da durchaus auch ein Stück Eigeninteresse hinter.

Wenn Sie an die Zukunft denken. . .

Bazzoli:. . . denke ich auch an die weit über 4000 Mitarbeiter, die künftig noch hier am Standort beschäftigt sein werden. Für sie müssen wir an unserer Zukunftsfähigkeit arbeiten. Wir sind extrem abhängig von Innovationen. Wir müssen unsere Rolle im sich verändernden Energiemarkt neu finden und definieren, was genau im Kundeninteresse ist.

Innovation ist ein großes Wort – woher kommen solche Innovationen, wie lassen sich Mitarbeiter zum Nachdenken motivieren?

Bazzoli: Zunächst: Siemens stellt Geld dafür bereit, der Innovationsfonds ist im ersten Jahr mit rund zehn Millionen Euro an den Start gegangen. Mitarbeiter, die Ideen haben, schreiben sie auf, und falls diese auf Interesse stoßen, gibt es eine finanzielle Unterstützung. Jeder

Fertigungshalle wird um 6500 qm erweitert

Rund 400 Kollegen, die bislang in Essen arbeiten, und mit dem Service für Industrieturbinen und -generatoren beschäftigt sind, ziehen im März 2018 zu Siemens nach Mülheim.

Dafür wird an der Rheinstraße ab 2017 eine Fertigungshalle um etwa 6500 Quadratmeter erweitert. Und die Kollegen aus der Kupferbearbeitung werden auf die Standorte Hafen und Mellinghofer Straße aufgeteilt.

Mitarbeiter ist angesprochen, und es wird auch wirklich gut angenommen. Es geht darum, einfach mal quer zu denken, um technische Produkte, aber auch die Organisation der täglichen Arbeit in Büro und Fertigung zu optimieren. Immer mehr Abläufe werden digitalisiert, das Papier verschwindet nach und nach. Es gibt immer effizientere Verfahren, Maschinen, Werkzeuge.

Wie kommuniziert man morgen mit dem Kunden?

Bazzoli: Es geht nach wie vor nichts über das persönliche Gespräch. Aber internetbasierte Plattformen gewinnen an Bedeutung. Wir bekommen immer mehr Daten, zum Beispiel auch darüber, wie ein Kunde sein Kraftwerk betreibt. Daraus dann die richtigen Schlüsse zu ziehen und in Kraftwerkstechnik zu übersetzen, intelligente Lösungen für Probleme zu finden – darin besteht die ganz große Kunst.

Womit beschäftigt sich der Betriebsrat aktuell noch?

Bazzoli: Mit dem Projekt Arbeit 2020. Es geht um die Arbeit von gestern, von heute, von morgen. Wir fragen die Mitarbeiter und später auch die Führungskräfte, was sie als Vorteil empfinden, was als Risiko und was sie gern geregelt hätten. Da geht es um Arbeitszeit, etwa für junge Eltern oder Menschen, die andere pflegen. Es geht um Qualifizierungen und darum, wie sie gehaltlich geregelt werden können. Es geht um psychische Belastung. In Zeiten immer größerer Leistungsdichte, wirken sich Großraumbüros, Klimaanlagen, Telefonklingeln einfach ganz anders auf die Menschen aus.

Und sonst?

Bazzoli: Treibt uns vor allem das Thema Ausbildung um, bei dem wir mit der Firma über Kreuz liegen. Es besteht die Gefahr, dass Siemens Ausbildung nur noch unter der Überschrift Wirtschaftlichkeit betrachtet. Vieles, was lange galt und das soziale Miteinander betrifft, wird gestrichen. Wir wollen keine Schmalspur-Ausbildung. Deshalb steht am 22. September auch ein bundesweiter Aktionstag an.