Mülheim. Mülheim schneidet im neuen Armutsbericht vergleichsweise gut ab: hohe Einkommen, mittlere Arbeitslosenquote. Doch Kinder leben hier oft prekär.
Dass die Stadt an der Ruhr nicht nur sympathisch ist, sondern auch mit einigen sozialen Problemen kämpft, wissen die Mülheimer. Der neue Armuts- und Reichtumsbericht aber untermauert die gefühlten Differenzen mit Zahlen. Freilich stammen die von 2018. Dennoch: Zwei Aspekte stechen im Reviervergleich weiterhin besonders hervor: Die prekäre Situation für Minderjährige und die für das Ruhrgebiet hohen Kaltmieten. Es gibt aber auch Positives.
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Mülheim hat überdurchschnittlich hohe Einkommen und dennoch zu viel Kinderarmut
Kinder und Jugendliche leben überdurchschnittlich häufig in „armen“ Haushalten, sind also von allen Altersgruppen überdurchschnittlich stark von relativer Armut betroffen. Das gilt für ganz NRW und erst recht fürs Ruhrgebiet. Doch in Mülheim, wo 2019 fast 28 Prozent der unter 18-Jährigen in Familien mit SGBII-Bezug leben, ist dies besonders auffällig.
Warum? Weil die Ruhrstadt sich in anderen Faktoren, die normalerweise zur Armut beitragen, positiv von den Nachbarstädten abhebt. So liegt etwa das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte von rund 24.000 Euro über dem der Nachbarstädte wie Essen (bis 22.000) und erst recht deutlich über Duisburg und Oberhausen (unter 20.000 Euro).
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Mit einer Arbeitslosenquote unter 8,4 Prozent (2018, aktuell allerdings 8,5 Prozent) und einer Beschäftigungsquote (ebenfalls 2018) von bis zu 57,2 Prozent schneidet Mülheim im Armutsbericht ebenfalls leicht besser ab als die meisten Städte der „Metropole Ruhr“. Und auch die Schuldnerquote zwischen zehn und zwölf Prozent lässt Duisburg und Oberhausen (14,3 Prozent und mehr), aber auch Essen schlechter dastehen. Dabei ist die Zahl der überschuldeten Personen in NRW in den vergangenen vier Jahren grundsätzlich von 1,69 auf 1,75 Millionen gestiegen.
Welche Rolle spielt die fürs Ruhrgebiet extreme Kaltmiete
Mülheim weicht also in vielen typischen Merkmalen armer Ruhrgebietsstädte ab und liegt dennoch bei der Kinderarmut mit an der Spitze. Vielleicht spielt hier auch die berüchtigte Kaltmiete mit eine Rolle? In Mülheim ist Wohnraum von Grund auf teurer als in den überwiegenden Revierstädten. Sie liegt hier bei etwa 6,75 Euro pro Quadratmeter, in Oberhausen zahlt man gerade einmal 5,5 Euro maximal.
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Einkommensschwache Haushalte, die keine Kosten für Unterkunft erhalten, müssen prozentual deutlich mehr als zwei Fünftel von ihrem Einkommen für die Miete aufwenden. Und ein weiterer Faktor könnte mit in die hohe Mülheimer Kinderarmutsquote spielen: „Personen mit Migrationshintergrund weisen ein deutlich erhöhtes Armutsrisiko auf“, stellt der Bericht fest. Im Jahr 2018 seien 29,7 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund von relativer Einkommensarmut betroffen gewesen.
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Faktor Migration: Je länger Geflüchtete hier leben, desto geringer das Armutsrisiko
Mülheim hat – laut Studie – einen durchaus ruhrgebietstypischen Anteil von bis zu 35,90 Prozent an Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Oberhausen und Bottrop etwa liegen mit bis zu 30,8 und 26,8 Prozent darunter.
Um das jedoch klar zu stellen: Migration an sich ist für Armut nicht ursächlich, vielmehr gehen damit laut Bericht einher eine ungünstige Bildungsstruktur, eine geringere berufliche Qualifikation, überdurchschnittlich kinderreiche Familien sowie eine geringere Erwerbsorientierung von Frauen. Welche Rolle spielen dazu Vorurteile und behördliche Hürden? Denn selbst gut ausgebildete Menschen mit Migrationshintergrund haben offenkundig schlechtere Jobchancen, wie die Studie anhand der Fluchtmigration seit 2015 aufzeigt. Zugewanderte Personen, die schon länger in Deutschland leben, haben dagegen ein deutlich geringeres Armutsrisiko.
Hohe Übergangsquote aufs Gymnasium in Mülheim
Armut misst sich am Einkommensdurchschnitt
Eine „Armutsgefährdung“ steht immer im Zusammenhang zum mittleren Einkommen in der jeweiligen Region. Im Armutsbericht gilt als armutsgefährdet, wer weniger als 60 Prozent des Durchschnitts der nordrhein-westfälischen Bevölkerung zur Verfügung hat.
Die Armutsrisikoschwelle in NRW lag 2018 bei 1006 Euro für einen Einpersonenhaushalt. 16,6 Prozent der nordrhein-westfälischen Bevölkerung waren 2018 von relativer Einkommensarmut betroffen. Im Ruhrgebiet lieg die Risikoquote für Armut bei überdurchschnittlichen 20,5 Prozent.
Hoffnung macht in diesem Zusammenhang die Mülheimer Zahl der Übergänge von der Grundschule an Gymnasien: In Mülheim liegt sie im für das Ruhrgebiet oberen Bereich von bis zu 50 Prozent, Duisburg liegt vergleichsweise bei unter 35 Prozent.
Deutlich wird das positive Abschneiden des Mülheimer Bildungssystem auch bei den Anteilen der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss. Er liegt in der Ruhrstadt bei unter sieben Prozent, in Duisburg bei acht und mehr. Lediglich Bottrop steht mit unter sechs Prozent besser da. Wenn Armut also oft schlechtere Abschlüsse und damit festgelegte Bildungsbiografien bedeutet, scheint Mülheim zumindest aktuell davon noch ein gutes Stück entfernt zu sein.