Mülheim. Der Großteil der Flüchtlinge in Mülheim hat einen Job gefunden oder ist auf dem Weg dahin. Welche Hürden bei der Integration dennoch bleiben.

Wie gut funktioniert die Integration von Geflüchteten in den Mülheimer Arbeitsmarkt? Sind sie ein Gewinn für den leergelaufenen Facharbeitermarkt oder gar eine Belastung für die Sozialsysteme? Weder, noch – das zeigen die Zahlen des Mülheimer Jobcenters und der Agentur für Arbeit deutlich. Aber auch das: Der weit überwiegende Teil der Menschen sind im ersten Arbeitsmarkt tätig oder zumindest auf dem Weg dahin.

Und die Zahlen verdeutlichen ebenso, dass geflüchtete Menschen sich in den allermeisten Fällen anstrengen, in Mülheim Fuß zu fassen. Etwas mehr als 5000 Geflüchtete leben aktuell in der Ruhrstadt, gut 3700 mehr als noch 2014. Ob sie arbeiten können oder nicht, hing lange Zeit an dem Status ihrer Asylverfahren und daran, ob sie im Bewerbungsverfahren stecken oder nur geduldet sind.

Auch interessant

Ermutigende Entwicklung: Zahl der Geflüchteten in Arbeit fast verdoppelt

„Man kann eindeutig erkennen, dass die Sprachkurse und Maßnahmen dafür gesorgt haben, dass 2018 mehr Flüchtlinge sprachlich ausgebildet waren“, sagt Thomas Konietzka, Leiter des Mülheimer Jobcenters. Die Einrichtung ist bei der Arbeitsvermittlung zuständig für einen Teil der Geflüchteten, die Agentur für Arbeit für den anderen. Kriterium ist: Hat der Geflüchtete Anspruch auf Arbeitslosengeld I oder auf Leistungen nach SGB II.

Ein Beispiel für eine ermutigende Entwicklung: 2017 fanden noch 148 Geflüchtete einen Job am ersten Arbeitsmarkt. 2018 waren es bereits 235 und 2019 sogar 281 – das ist fast eine Verdoppelung. Im Vergleich dazu hat sich aber die Zahl der Flüchtlinge, die nach Mülheim gekommen sind, seit 2015 von 1804 auf 391 deutlich verringert.

In diese Richtung weisen auch die Zahlen der Agentur für Arbeit: 293 der von der Agentur betreuten 1607 Geflüchteten fanden 2019 eine Arbeit. Immerhin aber hat sich ihre Zahl im Vergleich zu 2017 (162) nahezu verdoppelt und inzwischen die Nichterwerbstätigen (2019: 206) überflügelt.

Am häufigsten finden Geflüchtete Arbeit in Verkehrs- und Logistikberufen

In welchen Berufen haben Geflüchtete Fuß fassen können? Laut Statistik der Agentur für Arbeit und des Jobcenters für 2019 am häufigsten in Verkehrs- und Logistikberufen (126), etwa als Fahrer, Lokführer, Umzugshelfer. Das liege auch daran, dass in diesen Branchen oft ungelernte Arbeitskräfte eingestellt werden. Mit deutlichem Abstand hingegen sind Geflüchtete in Fertigungsberufen (23) wie Metzger, Bäcker, Zimmermann sowie in Lebensmittelberufen und im Gastgewerbe (22) untergekommen.

Damit wird aber auch deutlich: Den Facharbeitermangel in der Stadt füllen Geflüchtete nicht auf. Auch wenn sich die Fachkräfte unter den Geflüchteten von 36 (2017) auf 106 (2019) sogar fast verdreifacht haben. Gut 87 Prozent jedoch haben nicht einmal einen Hauptschulabschluss.

Auch interessant

Sprache ist weiterhin eine große Hürde

Wo liegen weitere Hürden? In erster Linie bei der Sprache, bestätigen Jobcenterleiter Konietzka und eine Sprecherin der Agentur für Arbeit. Sie sagt: „Die Deutschkenntnisse spielen bei der Integration wirklich eine ganz große Rolle, wenn nicht Tätigkeiten auf dem Anlernniveau angestrebt werden. Ob Geflüchtete in ihrem Beruf, den sie in ihrer Heimat erlernt haben, arbeiten können, hängt stark vom Beruf und den vorhandenen Sprachkenntnissen ab.“

Hürden bei der Anerkennung von Berufen und Ausbildung

Eine bundesweite Statistik besagt, dass 2019 zumindest die Hälfte der insgesamt gestellten rund 34.600 Anträge auf Anerkennung eines Abschlusses im Ausland als „voll gleichwertig“ beschieden wurden.

Geflüchtete können ihre erlernten Berufe im Gesundheitsbereich sowie Meisterberufe nur dann ausüben, wenn die volle Gleichwertigkeit anerkannt wird. Dann ist eine Ausgleichsmaßnahme notwendig.

Anders kann etwa für Aus- und Fortbildungsberufe wie Elektroniker, Kfz-Mechatroniker und den Kaufmann für Büromanagement eine „teilweise Gleichwertigkeit“ ausgestellt werden. Für eine volle Gleichwertigkeit sind auch hier zusätzliche Qualifizierungen notwendig.

Weitere Bremsen bei der Jobfindung? „Manche haben keinen Nachweis über ihre Berufsqualifikation mitgebracht oder er entspricht nicht den Maßstäben deutscher Abschlüsse“, erklärt Konietzka und erinnert mit Verständnis daran, dass mancher in Mülheim nur mit Kleidung und Flipflops hier ankam: „Wer aus seiner Heimat fliehen musste, hat anderes im Kopf gehabt als seine Unterlagen mitzunehmen.“

Kein Wunder also, dass der Großteil der vom Mülheimer Jobcenter und Agentur für Arbeit betreuten Geflüchteten auf dem Weg in die Berufe ist, sprich: 916 Menschen sind aktuell in einer Ausbildung oder in einer Maßnahme etwa zur Nachqualifizierung.

Jobcenterleiter widerspricht Sorge um Sozialsysteme: „Keine Unwucht im SGB II“

Auf viele Dinge bei der Jobfindung aber haben Geflüchtete kaum Einfluss: „Neben der Anerkennung von Unterlagen, von unüblichen Ausbildungen, sind auch in der Mobilität gesetzlich eingeschränkt“, zählt Konietzka auf. Wer in Mülheim lebe, könne sich etwa in Köln nicht einfach auf einen Arbeitsplatz bewerben. Ein Umzug bedürfe der Zustimmung von Behörden.

Auch interessant

Wie sehr belasten Geflüchtete die Sozialsysteme, wie oft populistisch angenommen wird? Der Jobcenterleiter widerspricht deutlich: „Es gibt da keine Unwucht im SGB II. Im Gegenteil: Der überwiegende Teil der geflüchteten Menschen strengt sich an, in unserer Gesellschaft Fuß zu fassen. Wenn uns das weiter gelingt, ist das klasse.“