Mülheim. Mülheims Schifferhaus wird versteigert. Anlass zum Erinnern: An verhinderte Konzerte, Gruseliges im Gewölbe und Gesangsgelage mit den Kumpels.

Ganze Generationen sind in der Kneipe am Tresen versackt, haben im Biergarten Schnitzel verputzt und im Keller zu Live-Musik getanzt, bis der Schweiß von der Gewölbedecke tropfte. Viele Mülheimer haben uns ihre Erinnerungen an das Schifferhaus geschickt, das aktuell zur Versteigerung angeboten wird. Wir haben sie gesammelt und aufgeschrieben.

Dass im Kellergewölbe an der Löhstraße überhaupt Musik spielen konnte, ist wohl Wilfried Kahnert zu verdanken. Der Elektroinstallateur kümmerte sich im Jahr 1970 in der damaligen „La Bamba Bar” um eine neue Elektroinstallation, da es dort zuvor einen Brand gegeben hatte. „Das Schifferhaus und die La Bamba Bar waren zwei getrennte Betriebe“, erinnert er sich heute.

Mit Hammer und Meißel schlug er tagelang einen Schlitz für die Stromleitungen in das harte Felsbrandgestein. „In den Gewölbenischen, die mit Stoff ausgeschlagen waren, befanden sich bizarre Skulpturen“, beschreibt er die Szenerie.

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Licht für die schweißtreibende Arbeit im Gewölbe spendeten ihm eine Handlampe und Tropfkerzen, die in Chianti-Flaschen steckten. „Manchmal hatte ich große Angst, weil der Betreiber und seine Bekannten, in meiner Erinnerung dunkle Gestalten, plötzlich hinter mit standen.“ Komische Geräusche von Hebeanlagen und vorbeidonnernden Zügen sorgten für gruselige Atmosphäre. Der Barbetrieb lief während der Arbeiten normal weiter. „Wir haben zwar unseren Schutt gut entfernt, aber geputzt wurde wohl nie“, glaubt Kahnert. „Es war Karnevalszeit, und manchmal war morgens um 8.30 Uhr noch stark alkoholisierter Betrieb in den Séparées.“

Heimlich mit der Freundin im Scotchclub getroffen

Einige Jahre zuvor, es war 1965: Roswitha Specht war 15 Jahre alt und traf sich „heimlich“ mit ihrer Freundin im Scotchclub – so hieß das Schifferhaus damals. „Mein Vater, der immer sehr stolz auf seine Tochter war, hatte seinen Arbeitskollegen Fotos von mir gezeigt“, erinnert sie sich. Die jüngeren Kollegen erkannten die junge Roswitha und sagten zum Vater: „Das ist ihre Tochter? Die kennen wir! Die ist doch öfter im Scotchclub.“ „Abends gab es dann zu Hause ein bisschen Ärger“, schreibt Roswitha Specht. Der scheint sich aber gelohnt zu haben: „Es war damals eine irre Zeit im Keller.“

Auch Leser Jens Ettwig, Jahrgang 1964, hat an das Schifferhaus „intensive und schöne Erinnerungen“. „Den Kohlenkeller konnte man pachten und eigene Partys veranstalten, was im Sommer 1986 einige Freunde und ich auch getan haben.“

Mit den Kumpels „König von Deutschland“ am Tresen grölen

Ein Freitagabend im Jahr 1986: Rio Reiser röhrt seinen „König von Deutschland“ aus den Boxen bis der Tresen vibriert – und alle grölen mit: „Das alles… und noch viel meeehr!“ Leser Martin Fiß traf sich mit seinem Trupp bester Kumpels im Erdgeschoss des Schifferhauses, der Kneipe. „Eine echte Alternative gab es damals nicht. Wir wollten auch keine.“ Denn es war für die Kumpels wie ein „nach Hause kommen“, erinnert er sich.

„Unser Platz war an der Theke, in der Nähe des Altbierfasses.“ Die Stimmung sei stets prächtig gewesen, trotz der Lautstärke und dem Gedränge in der überfüllten Kneipe gelang auch die eine oder andere Unterhaltung. Ein DJ stand am anderen Ende der Theke und legte Platten auf. Wenn dann der „König von Deutschland“ erschallte, sangen alle mit – das war Kult. „Wenn ich heute daran denke, läuft mir immer noch ein Schauer über den Rücken. Das war einfach unvergesslich. Höre ich heute das Lied, stehe ich gedanklich sofort wieder singend an der Theke…“

Polizei dreht Andy Brings und seiner Band den Saft ab

Im Sommer 2004 bereitet sich Rockmusiker Andy Brings auf den Auftritt mit seiner Band „The Traceelords“ im Schifferhaus vor – es ist das Auftaktkonzert ihrer eigenen Deutschlandtour. „Hütte voll, Plattenfirma und das neue Management anwesend - so weit, so geil“, erzählt Andy Brings. „Nach einigen Songs winkt mein Roadie mich aufgeregt an die Bühnenseite: ,Andy, die Polizei ist da und will das Konzert abbrechen. Wir sind zu laut!’“ Brings denkt: „Glaub ich nicht, jetzt wird es RICHTIG lustig!“ und heißt von der Bühne aus in Bestlaune die Beamten willkommen, die sich am anderen Ende des Saales aufgebaut haben. Doch: „Zack - Anlage aus!“

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Rock’n’Roll ist Rebellion, also spielen die Musiker noch einen halben Song nur über die Monitore, als der Roadie ihn anbrüllt: „Das ist kein Spaß, Andy, die nehmen euch mit, hört auf zu spielen!“ Brings erinnert sich: „Der Plattenfirmenboss kochte sichtbar vor Wut, das Publikum fand es irgendwie geil und wir als Band waren stinksauer und traurig, denn, was wir nicht wussten: Der Heiopei von Veranstalter (nicht Werner Nickel) hatte keine Genehmigung, dieses Konzert an einem Donnerstag durchzuführen, daher der Unmut der Anwohner.“

Standesamtliche und kirchliche Trauung wurde im Schifferhaus gefeiert

Auch Martina und Dirk Jansen waren einst Stammgäste im Schifferhaus. „Ob an der U-Theke mit dem Wandbild von Petoschu, im kleinen Speisesaal vorn oder im Gewölbekeller: Es waren gute Zeiten, schöne Erinnerungen“, schreiben die beiden. Ihre standesamtliche und kirchliche Trauung haben sie dort gefeiert, „legendäre Sessions mit den Leuten vom Jazzclub ‘Die Tonne’ aus Dresden erlebt“. Und: Dort wurde die Idee zur Schifferhaus-Ente geboren – eine 2CV6 mit Werbelogo vom Lokal.

Martina und Dirk Jansen aus Mülheim sind mit der Schifferhaus-Ente quer durch Europa gefahren.
Martina und Dirk Jansen aus Mülheim sind mit der Schifferhaus-Ente quer durch Europa gefahren. © Foto: Jansen

„Die Ente gibt es immer noch“, schreiben Martina und Dirk Jansen. Die Ente habe das Schifferhaus über die Schweiz, nach Rom, über Elba und Korsika, nach Frankreich und über die Deutsche Alleenstraße bis nach Usedom bekannt gemacht. „Nach mehr als 30 Jahren - mittlerweile runderneuert - steht sie gut verpackt in der Garage und wartet auf wärmere Tage ohne Lockdown für Ausfahrten in und um Mülheim.“

Die Ente soll die Erinnerung ans Schifferhaus lebendig halten

„Auch wenn das Logo ein H-Kennzeichen verhindert – die Ente und wir werden die Erinnerung ans Schifferhaus weiter lebendig halten“, versichert das Paar, das übrigens in einer ebenfalls legendären, ehemaligen Mülheimer Kneipe wohnt: „bei Änne, der Kult-Eckkneipe im Gerichtsviertel“.

Jazzer erinnern sich an den Kohlenkeller

Das Schifferhaus gibt es seit 1961, seitdem war es Scotchclub, Dandybar, Jazzclub, Disco oder zuletzt Restaurant. Besonderen Zulauf feierfreudiger Mülheimer erlangten die Räume, als Helmut „Ötte“ Falk im Dezember 1961 im Schifferhaus den „Tresor“ – Banque of Jazz“, Mülheims ersten Jazzkeller, eröffnete.

„Auf der Treppe, die zum Keller hinunter ins Gewölbe führte, begrüßten rechts und links Reliefs berühmter Bankeinbrecher aus vielen Ländern die Besucher“, erinnern sich Manfred Mons und Helmut Schmidt vom Mülheimer Jazzclub.

1989 zog der „Mülheimer Jazzclub“ in den Kohlenkeller

Verschiedene Lokale wechselten im Schifferhaus, bis dann im Juni 1989 Helmut Schmidt und Manfred Mons das Heft in die Hand nahmen, um im Kohlenkeller den „Mülheimer Jazzclub“ zu gründen.

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In dieser Zeit wurden Partnerschaften mit dem Jazzclub „Tonne“ in Dresden und der „Jazz Philharmonic Hall“ in St. Petersburg geschlossen und mit Leben erfüllt. Berühmte Bands aus Europa gaben sich im Jazzclub die Klinke in die Hand.

12.000 D-Mark Saxophon vor dem Schifferhaus gestohlen

„Neben vielen Höhepunkten erlebten wir auch eine traurige Geschichte“, erinnert sich Manfred Mons. Der Saxofonist Frank Lemair der „United Swing Aces“ ließ nachts beim Beladen seines Autos sein gerade für 12.000 D-Mark generalüberholtes Baritonsaxofon auf der Straße stehen. In Köln um 2 Uhr angekommen, bemerkte er seine Vergesslichkeit und rief sofort Manfred Mons an.

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Schnell schlüpfte dieser wieder in seine Schuhe und fuhr zurück zum Schifferhaus. „Aber trotz intensiver Suche und Telefonate mit Taxiunternehmen sowie der Polizei blieb dieses Juwel verschollen“, so Mons. „Anfang 1994 wechselte der Wirt wieder, der uns mit seinem neuen musikalischen Konzept aber nicht überzeugen konnte.“ Also zogen die Jazzer um in „Rieses“ Hopfen Sack an der Kalkstraße, wo sie heute noch swingen.