Mülheim. Hohe Einstiege, niedrige Bordsteine, Haltegriffe in Straßenbahntüren: Der MVG sind die Probleme bewusst. Aber die barrierefreie Umrüstung des Nahverkehrs kostet viel Geld. Vermutlich wird Mülheim auch die gesetzlich vorgesehene Umbaufrist bis 2022 wohl nicht schaffen - wie viele andere Gemeinden.

Die Anforderungen an den öffentlichen Nahverkehr wandeln sich mit einer alternden Gesellschaft. Und obwohl Städte und Betriebe Millionen für Umbauten ausgeben, wird es – auch in Mülheim – noch Jahre dauern, bis Busse, Straßen- und U-Bahnen für Fahrgäste wirklich barrierefrei nutzbar sind.

Beispiel Alice (75) und Friedrich Aus der Wieschen (80) aus Speldorf. Er ist seit einiger Zeit auf den Rollstuhl angewiesen. Mit der Straßenbahn 901 kommen die beiden gut in die Stadt. „Die Türen sind extra breit. Kein Problem”, sagt sie. Auch vor Stufen in die Bahn haben die beiden keine Angst: Alice Aus der Wieschen hat schon mal ein paar kräftige Burschen aus einer Autowaschanlage gebeten, den Rolli in den Triebwagen zu heben.

Klagen sind der MVG seit Jahren bekannt

Doch von der Innenstadt aus die Kaiserstraße hoch zum Marienhospital – daran ist das Ehepaar gescheitert. Die alten Tramwagen der Linie 104 haben zu schmale Türen, in der Mitte der einzig breiten versperrt ein Haltegriff den Einstieg. „Da müssen sie wohl laufen”, sagte ein MVG-Mitarbeiter hilflos. Den Rollstuhl den Berg hochschieben? Zu viel für die Frau. Ihr Mann hat mit der ÖPNV-Verbindung auch den Arzt für seine regelmäßigen Termine gewechselt: Er geht jetzt ins Evangelische Krankenhaus.

MVG-Sprecher Nils Hoffmann kennt diese und ähnliche Klagen. Seit vielen Jahren arbeite die Verkehrsgesellschaft daran, solche Hürden im Nahverkehr zu schleifen. „Ein Riesenkraftakt”, sagt er. Aber eben lange nicht abgeschlossen. Auch die gesetzliche Vorgabe, bis 2022 flächendeckend barrierefreien Nahverkehr zu schaffen, werde Mülheim nicht erfüllen können. Hoffmann: „Das kriegt bis dahin kein Betrieb und keine Kommune hin. Die Investitionen sind gigantisch.” Der bisherige Stand:

Kostenloser Begleitservice der MVG

Bis der Mülheimer Nahverkehr in vielleicht 15 Jahren barrierefrei umgestaltet ist, bietet die MVG einen kostenlosen Begleitservice für alle, die Hilfe brauchen beim Ein- und Umsteigen.

Das erfordert etwas Planung: Wer einen Helfer benötigt, muss ihn einen Tag vor der Fahrt anfordern unter 45 111 33.

Das System hat bereits 30.000 Fahrgästen geholfen.

Busse

Die Flotte ist bereits zu 100 % auf Fahrzeuge mit tiefem Einstieg („Niederflur”) umgestellt. Allerdings: Von 500 Bussteigen (pro Haltestelle in der Regel zwei) in der Stadt sind erst 167 auf hohe Bordsteine („Buscaps”) umgerüstet. Nur im Zusammenspiel funktioniert das System komfortabel.

Pro Jahr wolle die Stadt zehn weitere Haltestellen mit je zwei Steigen umbauen, so Hoffmann.

S-Bahnen

Von 49 Haltestellen sind 31 barrierefrei ausgebaut. „Die Quote ist gut, aber eben noch nicht durchgehend”, sagt Hoffmann. Weil auch dieses System nur im Zusammenspiel mit modernen Fahrzeugen funktioniert, werden alte Trambahnen nach und nach ausgetauscht. 15 Niederflur-Straßenbahnen hat die MVG für 2015 bestellt. 25 bräuchte sie, um auf allen Linien jederzeit barrierefrei fahren zu können. Wo möglich, werden alte und neue Bahnen nach verlässlichem Takt gemischt eingesetzt, so dass Fahrgäste mit Handicap wenn nicht alle, so doch etliche Fahrten nutzen können.

Bis alle alten Bahnen mit hohen Stufen, schmalen Türen oder Haltegriffen mitten im Einstieg (auch für Kinderwagen ein Problem) ausgetauscht sind, werde es aber noch 10 bis 15 Jahre dauern. Die Haltegriffe zu entfernen, lohnt für die wenigen Monate bis zur Lieferung der neuen Fahrzeuge nicht. Hoffmann: „Das ist ein Eingriff, mit dem die Zulassung des Fahrzeugs erlischt.“

U-Bahn

Acht von neun Haltestellen sind ausgebaut. Hier waren vor allem fehlende Aufzüge das Problem.

Hoffmann: „Das ist eine Planung aus den 1960ern vor allem für Werktätige, da waren Fahrtreppen schon Luxus. Damals hat niemand an eine alternde und dennoch mobile Freizeitgesellschaft gedacht.”