Mülheim. .

Während MVG und Stadt seit exakt 25 Tagen einen Mantel des Schweigens über die für sie höchst unangenehme Angelegenheit legen, redet die Bezirksregierung Düsseldorf als Aufsichtsbehörde für den Straßenbahnverkehr nun Tacheles: Bereits Anfang August hat die Behörde den Mülheimer Verkehrsbetrieb knapp und unmissverständlich angewiesen, den Flughafen-Ast der Straßenbahn 104 wieder in Betrieb zu nehmen. Und zwar umgehend.

In einem Gespräch mit der WAZ kam der bei der Bezirksregierung für die Straßenbahn-Aufsicht zuständige Dezernent Matthias Vollstedt aus der Deckung: Mit Schreiben vom 6. August an die MVG hat seine Behörde die umgehende Instandsetzung der seit Anfang April stillgelegten Straßenbahn-Strecke zwischen Hauptfriedhof und Flughafen verfügt. Auch dreieinhalb Wochen nach der schriftlichen Aufforderung sei eine Reaktion seitens der MVG ausgeblieben, kritisiert Vollstedt – und kündigt im WAZ-Gespräch ein entschiedenes Vorgehen seiner Behörde an, sollte die MVG nicht in Kürze Aufträge zur Notsanierung der Strecke vergeben.

Instandsetzung kostet 0,6 Mio. Euro

600 000 Euro soll es laut Kalkulation der MVG kosten, die marode Gleisanlage zumindest so weit in Stand zu setzen, dass wieder Bahnen auf ihr zum Flughafen rollen können. In den nächsten Jahren müssten Millionen-Investitionen folgen. Am 2. April hatte MVG-Geschäftsführer Klaus-Peter Wadelenus, der als Technischer Betriebsleiter im Via-Verbund der Städte Essen, Duisburg und Mülheim die Sicherheit der ÖPNV-Strecken verantwortet, den Flughafen-Ast stilllegen lassen. Für die Strecke, in die seit Jahren nur das Allernötigste investiert worden war, könne er, der im Schadensfall persönlich haftbar zu machen sei, keine Sicherheitsgarantie mehr abgeben, hieß es.

Schon damals machte mit Blick auf die nicht abgeschlossene politische Debatte zur dauerhaften Stilllegung der Vorwurf vom „vorauseilenden Gehorsam“ die Runde, gleichsam von Wandelenus entschieden zurückgewiesen. Aufgrund der niedrigen Fahrgastzahlen und dem immensen Investitionsstau war und ist die Stadtspitze, aber auch die Mehrheit der Politik, gewillt, den Flughafen-Ast komplett aufzugeben. Für die Straßenbahnen sollen künftig Busse rollen. Möglichst gar von Raadt aus über den Hauptfriedhof hinaus und über die jetzige Straßenbahnstrecke der Linie 110 (Hauptfriedhof – Styrum, Friesenstraße) mit Schlenker über den Hauptbahnhof, soll eine neue Buslinie eingerichtet werden. Dazu hat der Stadtrat gegen die Stimmen von MBI, Grünen und Wir-Linke Ende April einen Beschluss gefasst – unter dem Vorbehalt, dass die Bezirksregierung bei der 110 mitspielt.

Der Knackpunkt: Die Bezirksregierung ist keinesfalls gewillt, der Stadt den Weg zu ebnen zum Systemwechsel. „Es gibt keine rechtliche Grundlage, die Strecke auf dem kalten Wege stillzulegen“, so Verkehrsdezernent Vollstedt. Die Stilllegung könne aufgrund der technischen Mängel nur vorübergehend sein. Da ein Antrag der MVG zur Entbindung von der Betriebspflicht ausgeblieben sei, verhalte sich die MVG nun schon seit April rechtswidrig. Vollstedt: „Da muss die Aufsicht einschreiten.“ Wie solle man das sonst Bürgern erklären, die wegen einer fehlenden Baugenehmigung für eine Hundehütte im Garten sofort die Bauaufsicht vor der Tür stehen hätten? „Der längste Langmut hat auch mal ein Ende“, kündigt Vollstedt an. Er wolle notfalls zum Verwaltungszwang greifen. Heißt: Wird die MVG nicht in Kürze tätig, vergibt die Bezirksregierung Aufträge zur Sanierung der Strecke und stellt die Kosten dafür der Stadt in Rechnung. „Der Verwaltungszwang wird hier schon vorbereitet“, sagt der Verkehrsdezernent aus Düsseldorf. Im Herbst will seine Behörde Taten sehen.

Regierungspräsidentin geht in den politischen Kampf um Straßenbahn

Im Streit um die Stilllegung des Straßenbahn-Astes der Linie 104 agiert die Bezirksregierung längst höchst (landes-)politisch. Ziel ist es, im Meterspur-Netz des Ruhrgebietes, das sich von Oberhausen bis Witten und Hattingen, von Mülheim bis Bochum erstreckt, keinen einzigen Streckenkilometer zu verlieren. Es soll wachsen. Mit dieser Zielvorgabe scheut die Aufsichtsbehörde aktuell nicht davor zurück, harsche Kritik an der MVG, deren Aufsichtsrat und der Stadt als Gesellschafterin zu üben.

Als wenig förderlich für eine betriebswirtschaftliche Organisation des hiesigen Nahverkehrs wird gesehen, dass die Städte im mittleren und westlichen Ruhrgebiet immer noch zum großen Teil ihr eigenes Süppchen kochen, die Kooperation „für das große Ganze“ wenig ausgeprägt ist. Viel organisatorisches und technisches Kleinklein, diese Meinung vertritt auch Matthias Vollstedt als Leiter des Verkehrsdezernats bei der Bezirksregierung Düsseldorf, sei Grund dafür, dass viel Kraft, auch finanzielle, bei den kleinen Verkehrsgesellschaften für Internes aufgewendet werde, anstatt in Nutzwert für ÖPNV-Kunden zu investieren.

Doppelstrukturen kosten zu viel

Nun gibt es zwar den Via-Verbund von Essen, Duisburg und Mülheim, doch hat dieser jüngst vor Vertretern der CDU selbst eingeräumt, noch viel zu sehr mit sich als Organisation befasst zu sein. Das Land will die Via noch um Oberhausen wachsen sehen. Die vier ÖPNV-Betriebe der Städte produzierten ihre Nahverkehrsleistung wesentlich teurer als notwendig, heißt es. Sie verrichteten Doppelarbeiten und führten Parallelverkehre. Diese Struktur gefährde den Fortbestand des mit hohem Aufwand von Bund und Land geförderten Schienennetzes.

Siehe Mülheim, wo die Stadt alles daran setzt, den Flughafen-Ast der Linie 104 und die komplette 110 stillzulegen. Die Bezirksregierung ist in dieser Sache bereit zum politisch motivierten Veto. Nicht nur mittels ihrer aktuellen Verfügung, den Flughafen-Ast wieder in Betrieb zu nehmen. An die Linie 110 sind Millionen Fördermittel aus dem Ruhrbania-Verkehrsumbau gebunden. Die Bezirksregierung nutzt dies in Abstimmung mit der Fördergeld-Verwaltung als scharfe Waffe, um Mülheims Pläne zum Abbau von Straßenbahn-Infrastruktur zu torpedieren.

Schon vor einem Jahr landete der erste „Drohbrief“ bei bei der Stadt. Die Bezirksregierung fordert von der MVG eine exakte Vergleichsrechnung für die Linie 110, ob sie nun mit Bahn oder Bus befahren wird. Immer noch gebe es „bei weitem“ keine befriedigende Antwort der MVG auf das Verlangen, so Vollstedt. Insbesondere hätten Stadt und MVG in ihre Wirtschaftlichkeitsberechnungen auch die Rückzahlung von Fördermitteln für den Straßenbau einzubeziehen. Ebenso fehle eine Kalkulation für den barrierefreien Umbau von Bushaltestellen und den Ausbau der Gleise, sollte die 110 durch Busse ersetzt werden.

Vermeulen gibt sich überrascht

Nach eigenem Bekunden überrascht war Mülheims Verkehrsdezernent Peter Vermeulen, als ihn die Verfügung der Aufsicht, die Flughafen-Strecke umgehend wieder in Betrieb zu nehmen, erreichte. Er hatte der Politik noch im April den eingeschlagenen Weg zur Stilllegung der Strecke aufgezeigt, hatte versichert, die Bezirksregierung werde der MVG für ihren Antrag auf Entbindung von der Betriebspflicht Aufschub gewähren. So lange, bis Ende des Jahres der Entwurf für einen neuen Nahverkehrsplan vorliegen werde. „Nun musste ich erkennen, dass Herr Vollstedt nicht bereit ist, die MVG aus ihrer Verpflichtung zu lassen“, so Vermeulen.

Sinn mache eine 600 000 Euro teure Instandsetzung aber nicht. Es werde viel Geld in Sand gesetzt, wenn die 104 möglicherweise nur noch ein halbes Jahr lang zum Flughafen rolle, bevor sie endgültig stillgelegt werde. In Abstimmung mit der MVG sei nun eine Stellungnahme zur Verfügung der Bezirksregierung verfasst. „Wir wollen den Schienenersatzverkehr so lange aufrecht erhalten, bis eine komplette Analyse des Liniennetzes vorliegt“, sagt MVG-Sprecher Nils Hoffmann. Das habe MVG-Chef Wandelenus dem Dezernenten der Bezirksregierung zuletzt noch am 17. August in einem langen Telefongespräch zu vermitteln versucht.

Kritik auch am Aufsichtsrat der MVG

Hier die Betriebspflicht der MVG, dort die Not der Stadt, bei der Nahverkehrsplanung schon allzu lang ergebnislos gewurschtelt zu haben. CDU-Fraktionschef Wolfgang Michels schießt noch mal gegen Vermeulen-Vorgängerin Helga Sander: „Wenn sie schon vor zwei Jahren den Nahverkehrsplan in Angriff genommen hätte, hätten wir den Ärger jetzt nicht.“ Michels ist auch Vorsitzender im Aufsichtsrat der MVG – als dieser muss er sich selbst harter Kritik aus Düsseldorf erwehren. Der Aufsichtsrat hätte in Vergangenheit die Unterhaltungs- und Betriebspflicht auf dem Flughafen-Ast stützen müssen, so Vollstedt. Mehrfach habe die Aufsicht eine Sanierung gefordert. Der mit Politik und Vertretern der Stadt besetzte Aufsichtsrat hat sie blockiert, sagt MVG-Sprecher Nils Hoffmann. Ersatzbeschaffungen und Reparaturen habe die MVG immer wieder in ihre Investitionspläne geschrieben, der Aufsichtsrat habe sie wegen der geplanten Liniennetzoptimierung stets wieder gestrichen. „Gegen ein Mandat des Aufsichtsrates kann die MVG nicht handeln“, so Hoffmann. Muss sie, sagt die Bezirksregierung. Wegen der Betriebspflicht.

Zur Not will die Bezirksregierung die Aufträge zur Streckeninstandsetzung nun selbst erteilen und der Stadt in Rechnung stellen. Das, so Vollstedt, wäre ein bislang einmaliger Vorgang. Genau so wäre es seit 1987 (in Wuppertal) einmalig, wenn in NRW wieder eine Straßenbahn-Strecke stillgelegt würde. „Das“, so Vollstedt im Einklang mit der politischen Aktivität seiner Behörde, „passt überhaupt nicht in die Zeit.“

Bleibt die Bezirksregierung bei ihrer harten Linie, empfiehlt MVG-Aufsichtsratsvorsitzender Wolfgang Michels, „es auf einen Rechtsstreit ankommen zu lassen. Mülheim hat über 1 Mrd. Euro Schulden. Düsseldorf droht einerseits mit dem Sparkommissar, andererseits will der Verkehrsdezernent einem nackten Mann in die Tasche greifen. Das passt nicht zusammen.“