Mülheim. Vor 125 Jahren verlieh die Stadt Mülheim dem Eisernen Kanzler die Ehrenbürgerschaft. Er selbst sagte: „Sie ist mir eine unverdiente Ehre“.

Den Bismarckturm neben der gleichnamigen Straße kennt in Mülheim jedes Kind. Doch dass der erste Reichskanzler Otto von Bismarck vor 125 Jahren zum Ehrenbürger dieser Stadt ernannt wurde, wissen sicher nur wenige Bewohnerinnen und Bewohner.

Abgesehen davon, dass Mülheim Teil des 1871 von Bismarck geeinten Deutschen Reiches war, hatte der sogenannte „Eiserne Kanzler“ mit der Ruhrstadt nichts zu tun. Dass er dennoch am 19. Februar 1895 auf Vorschlag des damaligen Oberbürgermeisters Karl von Bock und Polach von der Stadtverordnetenversammlung einstimmig zum Ehrenbürger Mülheims ernannt wurde, war eine politische Demonstration. Die bürgerlich-konservative Elite der Stadt wollte den Reichsgründer ehren, unter dem Deutschland einen wirtschaftlichen Aufstieg und die Einführung der Sozial- und Krankenversicherung erlebt hatte.

Der Name Bismarck dient als Werbeträger

Das Restaurant zum Fürsten Bismark.
Das Restaurant zum Fürsten Bismark. © Stadtarchiv

Viele – aber nicht alle – Mülheimer feierten Bismarck, zum Beispiel mit Festbanketten. Bismarck hatte als Kanzler zunächst die katholische Kirche und ihre Partei, das Zentrum, und ab 1878 die 1863 aus der Arbeiterbewegung entstandene Sozialdemokratie als sogenannte Reichsfeinde bekämpft und verfolgt.

Im Jahr 1895, fünf Jahre nach dem von Kaiser Wilhelm II. erzwungenen Ende seiner 19-jährigen Kanzlerschaft, hatte sich der politische Schlachtenlärm um den Fürsten Bismarck gelegt. Ein beliebtes Hotel und Restaurant an der heutigen Friedrich-Ebert-Straße trug damals seinen offensichtlich werbewirksamen Namen.

378 Ehrungen zum 80. Geburtstag

Anlässlich seines 80. Geburtstags, den der Altkanzler am 1. April 1895 feiern konnte, machten ihn 378 deutsche Städte zu ihrem Ehrenbürger. Entsprechend groß war der Andrang, als die 30-köpfige Delegation aus Mülheim als eine von 56 Stadtdelegationen aus dem Rheinland Bismarck in seinem Wohnsitz Friedrichsruh die Ehrenbürgerurkunde überreichte.

Deren Text spricht Bände für die damalige Bismarck-Begeisterung. Im Urkunden-Text heißt es: „In unbegrenzter Verehrung des größten Staatsmannes unseres Jahrhunderts, der seinem König nicht bloß ein treuer sondern auch ein freimütiger und furchtloser Ratgeber war, des Mannes, der unter dem Zepter des großen und unvergesslichen Königs Wilhelm I. als erster das Deutsche Reich einigen half, der dem deutschen Gewerbefleiß, dem Handel der Industrie und allem guten und nützlichen allzeit ein tatkräftiger und erfolgreicher Förderer war, der sein ganzes Sein und seine volle Kraft dem Kaiser und dem Vaterlande hingab, ernennt die Stadt Mülheim an der Ruhr seine Durchlaucht, den Fürsten Otto von Bismarck zu ihrem Ehrenbürger und bestätigt durch diese Urkunde, dass es ihr zum freudigsten Stolze gereicht einen solchen Mann einen der ihrigen nennen zu dürfen.“

Zu seinem 80. Geburtstag wurde Fürst Otto von Bismarck von 378 Städten mit der Ehrenbürgerschaft ausgezeichnet.
Zu seinem 80. Geburtstag wurde Fürst Otto von Bismarck von 378 Städten mit der Ehrenbürgerschaft ausgezeichnet. © WAZ | WAZ-BILD

Pathos begleitet die letzten Jahre des „treuesten Reichsdieners“

Bismarck antwortete seinen Gästen auf die vielfache Ehrenbürgerschaft mit den Worten: „Meine Herren! Ich bin sehr glücklich, gerade Sie vom Rhein zu sehen. Die Verleihung von so vielen städtischen Bürgerrechten ist für mich etwas Überwältigendes. Sie ist mir eine unverdiente Ehre, die ich mir persönlich nicht zurechnen kann.“

Auch nachdem Otto von Bismarck am 30. Juli 1898 gestorben war, hatte der Nachruf der Mülheimer Zeitung das gleiche Pathos wie der Text der Ehrenbürgerurkunde. Das Lokalblatt schrieb über den Alt-Kanzler: „Als treuester Diener des Reiches hat er Deutschland aus seiner Zerrissenheit emporgehoben. Er hat als Schmied unseres Vaterlandes dafür gesorgt, dass die deutsche Misere zu Ende gekommen ist. Und er hat als solcher Deutschland zu einem Reiche geschaffen.“

Zehn Jahre nach Bismarcks Tod begann am Kahlenberg der Bau des Bismarckturms, der am 1. April 1909, dem 95. Geburtstag des „Eisernen Kanzlers“, eröffnet werden konnte. Es liegt in der Tragik der deutschen Geschichte, dass der Bismarckturm am Kahlenberg ab 1933 zum symbolträchtigen Ziel- und Mittelpunkt nationalsozialistischer Kundgebungen werden sollte. Dort beging etwa die Hitler-Jugend ihre Sonnenwendfeiern.

Aberkannte Mülheimer Ehrenbürgerschaften

Der erste Reichskanzler Otto von Bismarck sollte nicht der einzige Ehrenbürger Mülheims bleiben, dessen Ernennung politisch motiviert war und nichts mit Verdiensten um die Stadt und ihre Bürgerschaft zu tun hatte.

So kürte der von der NSDAP dominierte Stadtrat im März 1933 den damaligen Reichskanzler Adolf Hitler und den damaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, der den Führer der NSDAP am 30. Januar zum Reichskanzler ernannt hatte, zu Ehrenbürgern Mülheims. Diese Ehrenbürgerschaften wurden ebenso wie die 1941 an den Hüttenwerksdirektor Adolf Wirtz verliehenen Ehrenbürgerrechte 1946 – und dann noch einmal 1995 – von den damaligen Stadtparlamenten getilgt.

Sieben Mülheimer Ehrenbürger

1995 bestätigten die damals gewählten Stadtverordneten den Beschluss, den ihre von der alliierten Militärregierung ernannten Vorgänger bereits im Juli 1946 gefasst hatten.

Mülheimer Ehrenbürger sind der Pfarrer Peter Thielen (1880), der Jurist, Politiker und Unternehmer Adolf Hamacher (1888), der Industrielle August Thyssen (1912), der Oberbürgermeister Paul Lembke (1928), der Oberbürgermeister Heinrich Thöne (1960), der Bürgermeister und Kreishandwerksmeister Max Kölges (1962) und der Chemiker und Nobelpreisträger Karl Ziegler (1963).