Mülheim. .
Die Vergangenheit kehrt zurück: Völlig überraschend kündigte der OB-Kandidat der CDU, Stefan Zowislo, an, noch vor der Kommunalwahl den „Fall Baganz” aufzurollen und sämtliche Vorgänge um den Rücktritt des damaligen CDU-Oberbürgermeisters im Jahr 2002 zu erläutern.
„Sein Mülheimer Rücktritt”, so Zowislo, „geschah nicht, wie allzu oft kolportiert, wegen eines bloßen Verhältnisses. Der Rücktritt hatte korruptionsspezifische Hintergründe.”
Richtung Landtag fordert Zowislo, die Berufung von Baganz (CDU) zum Staatssekretär im NRW-Wirtschaftsministerium rückgängig zu machen. Zugleich erhob er schwere Vorwürfe, unter anderem gegen den heutigen Sozialdezernenten der Stadt Ulrich Ernst. Das Rechtsamt der Stadt wurde gestern abend von der Oberbürgermeisterin beauftragt, rechtliche Schritte gegen Stefan Zowislo wegen Verunglimpfung oder übler Nachrede zu prüfen.
Staatsanwalt: Kein Korruptionsverdacht
Noch am 15. November 2002 hatte Dr. Jens Baganz angekündigt, er trete für eine zweite Amtszeit als Oberbürgermeister an. Sieben Tage später erklärte er seinen Rücktritt.
Der CDU-Politiker begründete seine Entscheidung mit der privaten Beziehung zu der Gutachterin Dr. Ute Jasper, die ein Kind von ihm erwartete. „Diese Beziehung konnte den Anschein erwecken, als wenn sie die Ursache für die Beauftragung der Rechtsanwältin gewesen wäre. Da allein dieser Anschein zur Diskussion in Politik und Öffentlichkeit führen konnte, war mir ein weiterer Verbleib im Amt nicht mehr möglich”, begründete Baganz seinen Rücktritt.
Mit den Worten „Das war's Jungs”, verließ der OB die Krisenrunde mit seinen Parteifreunden Andreas Schmidt, Jörg Dehm und Stefan Zowislo. Die Zweifel, ob hinter dem Amtsverzicht nicht mehr stecken könnte, hielten sich – bis heute. Denn immerhin fielen in Baganz' Regentschaft so wegweisende Entscheidungen wie die Teilprivatisierung der Müllabfuhr und der Verkauf der städtischen RWW-Anteile an RWE. Millionen-Transaktionen, die Jasper begleitete und die politisch umstritten waren.
„Es darf kein Quäntchen Misstrauen zurückbleiben”, forderte FDP-Fraktionschefin Brigitte Mangen. Alle Fraktionen und Verwaltungschef Frank Steinfort (CDU) schlossen sich an. Der Rat beauftragte das Rechnungsprüfungsamt, die Vergabe der 50 Gutachter-Aufträge – zwölf davon an Jasper – während der Baganz-Ära zu überprüfen.
Zunächst gab es Anfang Dezember einen Bericht des Rechtsamts. Das Ergebnis: Der Stadt sei durch die Auftragsvergaben kein Schaden entstanden. Mitte Januar 2003 las das Rechnungsprüfungsamt der damaligen Verwaltungsspitze schon mehr die Leviten: Durch die „enge, persönliche Beziehung” von Baganz zu Jasper habe ein „Interessenkonflikt” bestanden. „Sowohl aus vergaberechtlicher Sicht als auch aus Sicht der Korruptionsprävention besteht in Fällen derartiger Befangenheit eine rechtliche Pflicht, von einer Beauftragung abzusehen”. Das Amt stellte Verstöße gegen das Vergaberecht fest und monierte, dass die Jasper-Kanzlei „quasi in die Rolle eines Hoflieferanten” gekommen sei. Eine vollständige Aufklärung erwarte man von der Staatsanwaltschaft. Die schloss im Mai 2003 die Akte Baganz: „Es gab keine konkreten Anfangsverdachtsmomente zu korruptivem Verhalten”, erklärte sie.
Warum jetzt, fragen sich viele im Rathaus, aber auch in der Partei selbst. Die Antwort: Zowislo, der als CDU-Kreisgeschäftsführer für Baganz den Wahlkampf managte und später sein Kommunikations-Chef im Rathaus war, hält die Zeit für reif. Korruptionsvorwürfe und mangelnde Transparenz stünden landesweit auf der Tagesordnung ebenso wie zweifelhafte Beraterverträge. Dazu sei in diesen Tagen ein Bau- und Verkehrsminister zurückgetreten und die Furcht ist bei dem Mülheimer da, dass der Staatssekretär weiter nach oben fallen könnte.
Bis heute seien in Mülheim die Korruptions-Hintergründe von einst nicht ausgeräumt, bis heute belaste der Fall Baganz die politische Kultur in der Stadt. Zowislo will Vergangenheitsbewältigung betreiben, zeigen, wo er steht. „Ich will eine politische Bühne mit einem sauberen Umfeld betreten” , sagt er. An Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld ist der Vorwurf gerichtet, alle Zeit dazu gehabt zu haben, die Dinge transparent zu machen. Nun bleibe es ihm überlassen.
Rückblick: Über Nacht war Baganz zurückgetreten, nachdem bekannt geworden war, dass er mit der Rechtsanwältin Ute Jaspers eine Verhältnis hatte und sie zusammen ein Kind erwarteten. Die Anwältin hatte die Stadt in mehreren Privatisierungsvorgängen gegen Honorar beraten.
Baganz selbst wollte gestern zu den Vorwürfen nichts sagen. Nur: „Die Vorgehensweise disqualifiziert sich selbst.”
Vorwürfe erhebt der OB-Kandidat auch gegenüber den damaligen Beratern von Baganz. Dazu zählt er den heutigen Kämmerer von Dinslaken, Jörg Dehen (CDU), und eben den Mülheimer Sozialdezernenten Ulrich Ernst. Beide sollen damals den vom Rechnungsprüfungsamt geäußerten Korruptionsverdacht „unter den Tisch gekehrt haben”, und das in Absprache mit der Anwältin Jaspers. All das, so Zowilso, beschwere die Stadt. Er kündigte an, in Kürze ausführlich über den „Fall B” Auskunft zu geben.
Fassungslosigkeit herrschte gestern nachmittag im Rathaus. Von schweren Beschuldigungen war die Rede, von „das geht unter die Gürtellinie”, von „völlig geschmacklos”. In einer offiziellen Stellungnahme heißt es: Zowislo äußere Verdächtigungen, lege aber keine Beweise vor. Die Vorwürfe, dass ein Referenten-Duo und der damalige Oberbürgermeister Korruption betrieben und Beweise unter den Tisch gekehrt hätten, werden entschieden zurückgewiesen. Die Stadtspitze verweist auf umfangreiche Aufklärungsarbeit: „ Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen wurden eingestellt, dem ehemaligen OB durch den Rat Entlastung erteilt.” Der heutige Sozialdezernent Ernst sei zudem mit den Vorgängen gar nicht befasst gewesen.
Der CDU-Kreisvorsitzende Andreas Schmidt, war ebenso überrascht wie die CDU-Fraktion: „Dieses Papier ist mit der CDU nicht abgestimmt, von der CDU in Mülheim gibt es keine Rücktrittsforderung an die Landespolitik.”
Für die SPD war Zowislo derjenige, der einst in alle Vorgänge um Baganz eingeweiht war, derjenige, „der alles wusste, der alle Deals einstielte. Warum klärte der Kandidat nicht schon früher auf?”, fragen der UB-Vorsitzende Esser und der Fraktionschef Wiechering. Für sie ist und war Zowislo „Teil des Problems – und kaum der Aufklärer”.