Zweifelsfrei: Hans-Georg Specht hat in der deutschen Kommunalpolitik Geschichte geschrieben – nicht weil er 1994 als erster CDU-Oberbürgermeister die jahrzehntelange Allmächtigkeit der SPD in Mülheim durchbrochen hat.
Nein: Hans-Georg Specht war der erste schwarze OB einer deutschen Großstadt, der sich mit den Grünen als Koalitionspartner einließ. Am Sonntag feiert Specht auf Rügen, seiner Teilzeit-Heimat, seinen 70. Geburtstag.
Specht, der Überraschungssieger von 1994. Er, der Verkehrsdezernent der Mülheimer Polizei, nach 21 Jahren politischer Arbeit im Rat, zuletzt als Chef seiner Fraktion. Nun Oberbürgermeister, im Boot mit den Grünen, die man sonst bei noch so sinnreichen Anträgen partout „niedergestimmt“ hatte. „Wir sind aus einer Frustgemeinschaft zu einer Liaison gekommen“, erinnert sich Specht. Doch habe man erkannt, dass zwischen der Bewahrung der Schöpfung und dem Erhalt der Umwelt keine Welten liegen. Trotzdem: Specht musste bei seiner Wahl zum OB auf die Stimmen der Grünen-Frauen verzichten. Die hegten da noch Ressentiments gegen den als erzkonservativ geltenden Gesetzes- und Ordnungshüter.
Specht gewann Ansehen als populärer, volksnaher Erster Bürger der Stadt, auch wenn politische Beobachter ihn zunehmend autokratisch agieren sahen, was Specht nicht nachvollziehen kann. Er hätte die Chance zur zweiten Amtszeit gehabt, nach Änderung der Kommunalverfassung wäre er zum hauptamtlichen Verwaltungschef mutiert. Angst davor, wie vielfach unterstellt, hatte Specht nicht, sagt er. Er habe das juristische und verwaltungstechnische Handwerkszeug gehabt.
Dennoch hat er seiner Partei überraschend den Verzicht auf eine erneute Kandidatur erklärt. Die Gründe waren lange unklar, der WAZ sagte Specht gestern: „Ich war ausgebrannt. Ich glaube sogar, ich hatte ein Burn-out.“ Immer unterwegs sei er gewesen. 80, 100 Stunden die Woche, nonstop. Er habe nicht Nein sagen können. Der Versuch, ein Wochenende im Monat politikfrei zu halten, scheiterte. „Bei denen warst du doch auch, du musst auch zu uns kommen!“ Specht kam.
Als es ihm gesundheitlich wieder besser ging, probte er den Rückzieher vom Rückzieher, allein die Partei ließ ihn nicht mehr. Jens Baganz war als Nachfolger auserkoren. Specht, der vergeblich noch zwei Comeback-Versuche als Landtagskandidat und beim OB-Nominierungsparteitag für die Kommunalwahl 2004 unternahm, fremdelte zusehends in seiner politischen Heimat. Auf Parteichef Andreas Schmidt ist Specht noch heute schlecht zu sprechen. Er fühlte sich von ihm ausgetrickst. Und macht ihn dafür verantwortlich, dass die CDU nur die bessere SPD habe sein wollen. Aber das Original sei immer besser als die Kopie, das habe zuletzt ja auch Rau-Kopierer Rüttgers merken müssen.
Specht und die Stadtpolitik. Er, der lieber ein Nordstadt-Programm wollte, strengte mit den MBI ein Bürgerbegehren gegen die Ruhrbania-Bebauung an, ließ sich aber von den Bürgerinitiativen 2009 nicht als OB-Kandidat vor den Karren spannen – „das war für mich nie ein Gedanke.“ Und doch imponiert ihm der Kopf der MBI: Lothar Reinhard sei, wenn auch „kompromissloser Anti-Typ“, so doch „unwahrscheinlich fleißig. Wenn so viele Kommunalpolitiker wären, stünde es um die Stadt besser.“
Kernige Worte zum Siebzigsten. Specht ist Charakterkopf, kritisiert weiter Ruhrbania und die Stadt dafür, trotz hoher Steuerkraft in die Finanzmisere gerutscht zu sein. Er hat Ecken und Kanten, er mag gar ein schwieriger Kauz sein, als der er manchem gilt. Aber Specht ist politischer Streiter. Ist das nicht das Beste für die Demokratie?