Mülheim. Wohnen in der Engelbertuskirche? Das könnte Realität werden. Noch wird am Exposé gearbeitet – doch mögliche Investoren sollten sich bereithalten.
Im Industriedenkmal leben? Das ist schon fast normal im Ruhrgebiet. In einer Kirche wohnen? Noch sehr ungewöhnlich! In Mülheim soll das Erlebnis bald möglich sein: Aus Finanznot plant die Pfarrei St. Barbara seit längerem, Teile der Engelbertuskirche aufzugeben und diese zu Wohnraum ausbauen zu lassen. Aktuell wird an letzten Feinheiten für ein Exposé gefeilt. Pfarrei, Bistum und Stadt wollen sich noch in diesem Jahr auf die Suche nach einem Investor machen.
Die Historie der Kirche und ihrer Gemeinde kennt kaum einer so gut, wie Pastor Michael Clemens. Der 71-Jährige ist seit 1993 in Sankt Engelbert tätig und wer sich von ihm das Gotteshaus erklären lässt, erfährt eine Menge: 1903 begann der Bau im Herzen Eppinghofens, drei Jahre später nahmen die Katholiken die Kirche in Betrieb. Die Geschichte ihrer Gemeinde ist eng mit dem Namen Thyssen verbunden. „Die Familie saß im Kirchenvorstand, entschied über die Größe der Kirche mit, trug die Penunzen zusammen.“
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Beim großen Bombenangriff 1943 wurde die Kirche fast vollständig zerstört
Ab 1907 dann bestand auch die Pfarrei Sankt Engelbert. Sie erlebte ihre schwärzeste Stunde, als in der Nacht vom 22. auf den 23. Juni 1943, beim großen Bombenangriff auf die Stadt, die Kirche fast vollständig zerstört wurde. „Noch heute erinnern verkohlte Ziegel daran“, so Clemens.
Nach dem Krieg wurde das Backsteingebäude wiederaufgebaut, auch ohne übermäßig Geld. Man wusste sich zu helfen, verwendete zum Beispiel auf den Kopf gestellte Schiffsmasten aus der Friedrich-Wilhelms-Hütte, um die Decke zu stützen, berichtet der Pastor. Auf den langen, spitzen Turm, der sich einst von Eppinghofen gen Himmel streckte, verzichtete man beim Wiederaufbau. Anstelle dessen entstand ein Turm mit flachem Dach und Kreuz darauf. Die Wirkung schmälert das nicht, für Clemens ist der Turm nach wie vor „eine Landmarke“. Er zeuge davon, „dass hier seit über 115 Jahren Christen zu Hause sind“ – auch und gerade noch seit 2006, dem Jahr, als die eigenständige Pfarrei Sankt Engelbert aufgegeben worden ist.
Turm der Mülheimer Kirche soll als starkes Zeichen erhalten bleiben
Deshalb müsse dieser Teil der Kirche auch unbedingt erhalten bleiben. „Es gibt Moscheen an der Sandstraße, an der Josefstraße, an der Aktienstraße und an der Eppinghofer Straße – da muss einfach deutlich werden, dass hier auch Christen sind“, findet der Pastor. Zumal kaum Kontakt zu den Muslimen bestehe, die Ökumene vor Ort mit evangelischer Kirche, mit Methodisten und Freikirchen, trotzdem stark gelebt werde. „Wir wirken zusammen im und für den Stadtteil.“
Nicht trennen möchte man sich zudem vom hinteren Teil der Kirche, der so genannten Apsis und dem Chorraum rund um den Altar sowie der Sakristei und der Krypta. „Wir möchten diesen Bereich für Gottesdienste bewahren.“ Die Schatulle der Pfarrei sei zwar nicht gut genug gefüllt, um die Sanierung der kompletten Kirche zu stemmen – „dafür bräuchten wir sicherlich anderthalb Millionen Euro“ – „doch für diesen Bereich wäre genug Geld da“, sagt Clemens. Nach wie vor – und trotz Corona – hält er in der Engelbertuskirche Sonntag für Sonntag Gottesdienste vor 60 bis 70 Menschen. Insgesamt zählen zu der Gemeinde noch rund 5000 Menschen.
Im Kirchenschiff sollen Wohnungen entstehen
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Noch sitzen die Gläubigen bei der Messe auf den braunen Holzbänken im großen Kirchenschiff, links und rechts neben hohen Fenstern. Erfüllen sich die Wünsche aus Gemeinde und Pfarrei, aber wird es dort künftig über mehrere Etagen Wohnungen geben. Im Erdgeschoss, so hofft man, kann das Pfarrzentrum einziehen, das aktuell im ehemaligen Kindergarten gegenüber untergebracht ist. So würde man die Kirche dann – wie bislang – durch den klassischen Eingang betreten können und durchs Gemeindezentrum laufen, um zum Gottesdienst in Apsis und Chorraum zu gelangen.
Michael Clemens denkt an Familien und Studenten als künftige Bewohner. Bedarf an eher günstigem Wohnraum gebe es ja viel im Stadtteil. „Und das Wohnen in einer Kirche hat ja was – man muss nur mit dem Glockengeläut leben lernen.“ Fünf Glocken gebe es, „und die scheppern schon ganz schön“.
Der Vorschlag zum Umbau stammt aus der Gemeinde
Clemens’ Schäfchen übrigens haben sich mit der Umgestaltung der Kirche längst angefreundet: „Die Leute hier sind Pragmatiker. Die wissen, dass man sich auch mal von etwas verabschieden muss, wenn es nicht anders geht.“ Zumal die ursprüngliche Idee laut Christian Lindmüller, Verwaltungsleiter der Pfarrei St. Barbara, ja sogar aus dem Kirchenvolke stammt. „Der Vorschlag ist in der Gemeinde entstanden, hat deshalb hohe Akzeptanz.“
Abfälle der ehemaligen Zinkhütte liegen unter der Kirche
Die Kirche an der Engelbertusstraße hat ein Problem: Das Gelände, auf dem sie steht, ist „hochgradig durch Abfälle der ehemaligen Zinkhütte Eppinghofen belastet“. Laut Pastor Michael Clemens sind die Böden in der Umgebung längst abgetragen worden, „die Erde ringsum ist vor etwa zehn Jahren erneuert worden“. Unter der Kirche aber sei das unmöglich.
Es werde wohl eine Herausforderung, Elektroleitungen oder ähnliches oberirdisch zu verlegen. „In den Boden kann man hier nicht gehen. Da besteht die Gefahr, dass das Grundwasser verseucht wird“, so Clemens.
Das Exposé, das kurz vor der Fertigstellung steht, beinhaltet nicht nur die Wünsche zum Umbau der Engelbertuskirche. „Es geht um den ganzen Standort“, erklärt der 71-Jährige. Dazu zählen auch das Pfarrhaus, das Küsterhaus und ein weiteres Wohngebäude der Pfarrei, außerdem besagtes Pfarrzentrum in den Räumen des ehemaligen Kindergartens. Ein möglicher Investor soll sich des Gesamtpaketes annehmen.
Idealerweise bleiben die Wohnhäuser erhalten, die Kirche wird im angedachten Sinne ausgebaut und in die dann wieder freien Räume des Gemeindezentrums zieht wieder eine Kita ein. Angrenzend an das Gebäude, in dem früher drei Gruppen untergebracht waren, befindet sich ein großer Garten. Den, so die Überlegung, könne man möglicherweise nutzen, um die Kita zu erweitern.
Auch das Bistum hilft bei der Suche nach dem Investor
Im letzten Quartal 2020 will man an den Markt gehen, berichtet Lindmüller. Lokale Unternehmen wie MWB oder SWB könnten eine Rolle spielen. Das Bistum helfe bei der Suche, dort verfüge man über eine Liste verschiedener Investoren, die in der Vergangenheit ähnliche Ideen umgesetzt haben. „Wir sind ja nicht die einzige Pfarrei mit einem solchen Großprojekt.“
Wie das Verfahren abläuft, ob vielleicht ein Architektenwettbewerb notwendig ist, werde sich später entscheiden. Trotz der Wünsche vor Ort, sei der Spielraum des Investors groß. „Hier ist nichts zu hundert Prozent in Stein gemeißelt.“ Man sei „guter Dinge“, so Lindmüller, alsbald einen Partner zu finden. „Wir haben Signale bekommen, dass das Projekt gute Chancen hat, realisiert zu werden.“