Mülheim. Nach einem Polizeieinsatz im Juni 2019 mit mehreren Verletzten wehren sich zwei Mitarbeiter des Autonomen Zentrums in Mülheim gegen Geldstrafen.
Der Polizeieinsatz am Autonomen Zentrum (AZ) in Mülheim vor knapp einem Jahr hat nicht nur politisch einiges aufgewühlt, sondern beschäftigt jetzt auch das Amtsgericht. Am 11. Mai beginnt dort ein Verfahren gegen zwei AZ-Mitarbeiter. Zeitgleich plant das Zentrum eine Demo: "Gegen Polizeigewalt".
Den Vorfall vom 8. Juni 2019 kann man schon jetzt als folgenschwer bezeichnen. Am frühen Samstagmorgen hatte ein AZ-Besucher die Polizei alarmiert - er sei gewaltsam aus dem Zentrum geworfen worden, unter Einsatz von Pfefferspray. Die Polizei rückte an, der Einsatz eskalierte, wie und warum genau, ist bis heute strittig. Es gab drei Verletzte: einen Polizisten, eine Mitarbeiterin und einen Mitarbeiter des Zentrums, diese beiden wurden festgenommen.
Verfahren wegen Verleumdung wurde eingestellt
Das AZ-Team hatte von Anfang an "brutale Übergriffe" und "sexistisches Verhalten" der Beamten beklagt und hält an dieser Sichtweise fest. Die Polizei wiederum hatte Anzeigen gegen die beiden AZ-Leute erstattet - wegen Widerstandes und Beleidigung. Auch der Vorwurf der Verleumdung stand im Raum, damit wollte die Polizei gegen eine Pressemitteilung des AZ vom 9. Juni 2019 vorgehen. Letzteres ist offenbar ins Leere gelaufen, das Verfahren wurde eingestellt.
Ernst wird es jetzt dagegen für die beiden Mitarbeiter des Zentrums, einen 40-jährigen Mann und eine 23-jährige Frau. Sie haben nach Auskunft des AZ Strafbefehle erhalten, verbunden mit erheblichen Geldstrafen: in einem Fall 2200 Euro wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte, tätlichen Angriff und Beleidigung, im anderen Fall 1000 Euro wegen Widerstandshandlungen.
Geldstrafen in vierstelliger Höhe verhängt
Die Betroffenen bezeichnen die Vorwürfe als unbegründet und haben Einspruch eingelegt. Darüber soll nun am 11. Mai um 11 Uhr vor dem Amtsgericht Mülheim verhandelt werden. Das AZ-Team hat Unterstützung zugesagt. Eine Sprecherin sagt: "Dass die Verfahren ungeachtet der Problematik durch die Corona-Pandemie angesetzt werden, finden wir nicht nachvollziehbar.“
Aus Sicht des AZ ist die "Öffentlichkeit für dieses Gerichtsverfahren von besonderer Bedeutsamkeit". Wie das Gericht dem gerecht werden könne, in Zeiten von Abstandsregeln, sei jetzt die Frage. Tatsächlich muss sich auch der Justizbetrieb den Corona-Auflagen anpassen. In den Sitzungssälen gilt der Mindestabstand von 1,5 Metern.
Demo gegen Polizeigewalt vor dem Gerichtsgebäude geplant
Öffentlichkeit will das Autonome Zentrum selber herstellen: Für den Verhandlungstag wurde eine Solidaritätskundgebung vor dem Gerichtsgebäude an der Georgstraße angemeldet. Sie soll um 10.30 Uhr starten unter dem Motto „Gegen Polizeigewalt“.
Ein Polizeisprecher bestätigte am Montag, dass eine Demonstration für den 11. Mai angemeldet wurde, maximal 30 Personen würden erwartet. Das Mülheimer Ordnungsamt muss jetzt prüfen, ob die geforderten Hygienebestimmungen eingehalten werden können. Dies soll im Laufe der Woche geschehen, kündigt Stadtsprecher Volker Wiebels an. "Wir werden der Polizei eine Rückmeldung geben, sie entscheidet dann, ob die Kundgebung genehmigt wird."
Tatsächlich richtet sich der Protest nicht nur gegen den Mülheimer Vorfall. Angeprangert wird auch ein umstrittener Einsatz Ende April in Essen: Dort hatten Polizisten wegen Ruhestörung die Wohnung einer Familie gestürmt. Es gab Verletzte - ein junger Mann hat anschließend massive Vorwürfe gegen die Einsatzkräfte erhoben. Die Ermittlungen laufen.
Die geplante Demo in Mülheim soll "das Thema Polizeigewalt und die häufig folgende juristische Repression gegen die Betroffenen öffentlich problematisieren“, erklärt Larissa Schulte, eine der Initiatorinnen. Mit Blick auf die Einschränkungen durch die Corona-Pandemie meint sie: „Es muss auch jetzt möglich sein, die eigene politische Meinung lautstark auf die Straße zu tragen."
Vorfall im AZ ist zum Politikum in Mülheim geworden
Der aus dem Ruder gelaufene Polizeieinsatz am AZ ist in Mülheim längst zum Politikum geworden und hat eine Debatte über die öffentliche Förderung des Zentrums an der Auerstraße ausgelöst. Die Fraktion BAMH war im Herbst vorgeprescht mit der pauschalen Forderung, dem AZ alle Zuschüsse zu streichen. Der Rat lehnte diesen Antrag jedoch ab.
Weiter im Raum steht aber die Frage, ob alle Jugendeinrichtungen in der Stadt in punkto Subventionen gleich behandelt werden. Vor allem die CDU hatte immer wieder nachgebohrt und durchblicken lassen, dass das AZ ihrer Meinung nach bevorzugt werde. Andere hatten dem widersprochen. Im Zuge der Aufstellung eines neuen Kinder- und Jugendförderplans für die Jahre 2021 bis 2025 könnte diese Debatte erneut hochkochen - wenn der nahezu auf null heruntergefahrene Mülheimer Politikbetrieb nach der Corona-Krise irgendwann wieder in Gang kommt.
DEMO VERLIEF FRIEDLICH
Schon am 15. Juni 2019, eine Woche nach dem Polizeieinsatz, hatte das AZ zu einer Demo gegen Polizeigewalt aufgerufen.
Hunderte zogen friedlich durch die Mülheimer Innenstadt. Die Polizei zählte damals rund 200 Teilnehmer, die Veranstalter sprachen von 300 Leuten.