Mülheim. . Im Haushaltsstreit mit der Bezirksregierung hat die Stadt noch die Kurve gekriegt. Wie wird 2019 werden? Ein Gespräch mit OB Ulrich Scholten.
Im Haushaltsstreit mit der Bezirksregierung nach deutlicher Schelte gerade noch die Kurve gekriegt. Verschuldungsmeister
Für Sie war es alles andere als ein gutes Jahr: Ihre Frau ist verstorben, im Mai und fortfolgend sind Sie mit Vorwürfen und Rücktrittsforderungen konfrontiert worden. Ihre persönliche Jahresbilanz?
Das Jahr hätte ich in dieser Form gerne nicht erlebt. Es war ein sehr hartes Jahr – emotional-persönlich, aber eben auch dienstlich. Es geht jetzt zu Ende – und das ist auch ganz gut so.
Das Ermittlungsverfahren gegen Sie wegen Ihrer Spesenabrechnungen läuft noch, im Sommer hat Ihnen der Rat eine dreifache Rüge erteilt, er hat Sie mit großer Mehrheit aufgeordert, Ihr Amt ruhen zu lassen. Sie bleiben standhaft im Amt. Wieso tun Sie sich das an?
Ich habe 2015 einen Wählerauftrag angenommen, ich bin gewählt für fünf Jahre. Diesen Auftrag möchte ich erfüllen. Es war nicht immer einfach, stehen zu bleiben, weil die Anfeindungen sehr massiv und persönlich ab und an unterirdisch waren. Trotzdem habe ich mich entschieden, im Amt zu bleiben, weil wir 2018 einige Dinge zu heben hatten, die all unsere Kraft erfordert haben, etwa den Haushalt.
„Ich habe vor, weiter stehen zu bleiben“
Glauben Sie, dass es für die Stadt mit ihren vielen Problemen gut sein kann, wenn der OB in den kommenden zwei Jahren ohne jegliche Unterstützung aus dem Stadtrat agieren muss?
Das sehe ich so nicht. Die Zusammenarbeit im operativen Bereich funktioniert nach wie vor.
Sie können sich also noch mit jedem in die Augen schauen und inhaltlich diskutieren?
Nicht mit jedem, aber mit den meisten.
In politischen Ausschüssen, in denen Sie nicht Mitglied sind, spielen Kommunalpolitiker mit zynischen Anspielungen auf Ihre alkoholreichen Bewirtungen Bande. Wenn Sie selbst zugegen sind wie zuletzt im Stadtrat, sind Sie Ziel zahlreicher Attacken: Der OB hat sich trotz Mega-Verschuldung nicht bei den Haushaltsberatungen eingebracht. Der OB kriegt es seit fast einem Jahr nicht hin, die 4000-Euro-Frage zu lösen, die das Ledermuseum vor dem Aus bewahrt. Der OB lässt sich von der Wirtschaft vorführen, die ihm indirekt vorwirft, wichtige Zukunftsfragen nicht entschieden anzupacken. Alle gegen einen. Kann das gutgehen?
Ich stehe ja noch. Und ich habe vor, weiter stehen zu bleiben. Ich bleibe dabei: Das sind Vorwürfe, die Einzel- oder Gruppenmeinungen sind, die durch nichts bewiesen sind. Nur weil der eine oder andere Vorwurf wiederholt wird, wird er nicht wahrhaftiger. Nehmen Sie das Ledermuseum. Wir sind seit eineinhalb Jahren da dran. Wir hatten die Lösung auf dem Tisch, dass die MST die materielle Steuerung im Museum übernimmt. Das ist vom Förderverein abgelehnt worden. Wir sind ständig in Kontakt mit dem Förderverein, haben das Thema zumindest für 2018 erst mal gewuppt. Die Haushaltssituation: Kein Oberbürgermeister der vergangenen 15 Jahre hat sich in diese operativen Termine eingemischt. Das ist immer die Aufgabe des Kämmerers gewesen. Man hätte jede Gelegenheit gehabt, mir zu sagen: „Mensch, wir wollen dich hier mal sehen“ oder „Es kneift hier“.
Darauf konzentrieren, die Stadt nach vorne zu bringen
Wie wollen Sie 2019 die Kurve kriegen?
Ich hoffe, dass sich die Politik auf das konzentriert, was wir hier zu tun haben, nämlich diese Stadt nach vorne zu bringen. Mit dem Haushaltsbeschluss jetzt haben wir zwar keine Handlungsspielräume gewonnen, aber das Handeln zumindest selber noch in der Hand. Wir müssen hier nun die Dinge in die Umsetzung bringen, wir haben den Weggang eines Dezernenten, Teile der Politik hätten gerne eine Stadtentwicklungsgesellschaft. Das werden die Aufgaben des ersten Quartals sein.
Bleiben wir beim Haushalt. Der Rat hat neben der satten Erhöhung der Grundsteuer Einsparungen bei ÖPNV und Personal beschlossen, aber die Millionensummen nicht mit konkreten Maßnahmen hinterlegt. Auf was müssen sich ÖPNV-Nutzer und Verwaltungspersonal einstellen?
Was den ÖPNV anbelangt, sind wir mit der Ruhrbahn in Gesprächen, was gespart werden kann: Auf welche Haltstellen will man verzichten, auf welche Kurse, welche Takte. . . Aber irgendeinen U-Bahnhof nicht mehr anzufahren, ist ja nicht kostenfrei. Es sind immer auch Remanenz- oder Ewigkeitskosten zu betrachten. Der Ruhrtunnel ist nicht für lau zu schließen. Die Rechnungen laufen.
Wann wird die Ruhrbahn ihre ersten Vorschläge vorlegen?
In der ersten Hälfte 2019. Bis zur Sommerpause sollen alle politischen Beschlüsse dazu vorliegen.
Auf was muss sich das Verwaltungspersonal einstellen?
Es wird keine betriebsbedingten Kündigungen geben. Wir werden bei natürlicher Fluktuation bei jeder freiwerdenden Stelle mehr als einmal nachfragen, ob wir sie eins zu eins neu besetzen müssen oder wir es über eine Umstrukturierung anders darstellen können. Wir können noch Doppelarbeiten vermeiden, so wie jetzt, als wir die Klimakompetenz an einer Stelle zusammengeführt haben.
„Wir hätten nicht eine Gewerbefläche mehr“
Welche Themen stehen auf Ihrer Agenda für 2019 ganz oben?
Die Diskussion um die Dezernate hätte ich gerne vernünftig und, wenn’s geht, auch einvernehmlich geregelt. Der Verwaltungsvorstand hat sich dazu positioniert und gesagt, dass die Dezernatsverteilung, so wie wir sie haben, funktioniert. Aber wo wir es eleganter, schneller, qualitativ hochwertiger und vielleicht auch preiswerter machen können, sind wir bereit, mit der Politik zu diskutieren. Es gibt dazu ja Termine im Januar. Die Aufgabenstellungen, die wir hier haben, sind operative Themen. Hier gibt es Umsetzungsprobleme. Das können wir intern regeln. Wenn wir ein Wirtschaftsdezernat schaffen würden, hätten wir nicht eine Gewerbefläche mehr.
Wer hat denn den Hut auf in Wirtschaftsfragen?
Ich.
Mülheims Rat hat einen Mobilitäts- und Wirtschaftsausschuss. Meist heißt es in den Sitzungen zum Tagesordnungspunkt Wirtschaft: Uns liegt leider nichts vor.
Ich habe nicht behauptet, dass jede Struktur, die in Politik und Verwaltung existent ist, effektiv funktioniert. Es war ein politischer Wunsch, den Ausschuss so aufzustellen. Der arbeitet jetzt so, wie er arbeitet.
Müsste Verwaltung nicht auch mehr Themen in den Ausschuss hineintragen?
Der Arbeitsauftrag kommt in aller Regel von der Politik. Die Politik formuliert zunächst einmal Ziele, dann machen wir auch Umsetzungsvorschläge. Ich habe gerade in der Diskussion um ein Wirtschaftsdezernat den Leuten gesagt: Formuliert doch bitte, was Ihr konkret möchtet. Dann sind auch ein, zwei konkrete Dinge benannt worden, aber es kommt immer auch ein Hinweis, es sollte einfach anders oder besser sein. Das ist dann schwierig zu fassen.
„Der ÖPNV bleibt für mich auf der Agenda“
Wenn ich an die Diskussion um eine Stadtentwicklungsgesellschaft denke, gab es relativ früh einen konkreten Vorstoß vom damaligen SPD-Fraktionschef Wiechering. Der ist dann von der Verwaltung ziemlich abgebügelt worden.
Das ist ja ein Arbeitsauftrag, der jetzt wieder auf dem Tisch ist. Der eine sagt, es soll eine Bad Bank werden für Schrottimmobilien, die wir aufkaufen sollen. Frage: Mit welchem Geld? Jeder weiß: Wenn sich die Stadt mausig macht in solchen Fragen, steigen die Preise. Ich hatte hier mal jemanden am Tisch sitzen, der ein Genossenschaftsmodell vorgeschlagen hat. Das ist sehr komplex und für uns wahrscheinlich keine Idee. Beteiligungschef Dönnebrink hat ein, zwei Vorschläge gemacht. Man kann es sich vorstellen mit einer eigenen Gesellschaft, mit einem Annex an eine bestehende Gesellschaft, mit der Umwidmung einer Gesellschaft. Wir sind dran, der Politik einen Vorschlag zu unterbreiten. Wir können aber nicht wie Duisburg Liegenschaften einbringen, die man entwickelt und dann teuer vermarktet. Das haben wir nicht. Klar ist: Eine Stadtentwicklungsgesellschaft wäre aufs Stadtgebiet auszudehnen, nicht nur auf die Innenstadt.
Wird es 2019 eine Stadtentwicklungsgesellschaft geben?
Wenn die Politik will: Ja.
Jetzt sind wir etwas von der Fragestellung abgekommen: Die großen Themen für 2019?
Der ÖPNV bleibt für mich auf der Agenda. Da müssen wir daran arbeiten, dass wir operativ umgesetzt bekommen, was wir bis jetzt nur als Zahl aufgeschrieben haben. Insgesamt müssen wir den Haushalt, den wir jetzt beschlossen haben, mit Leben füllen. Wir müssen gucken, dass wir die Millionensummen, die wir reingeschrieben haben, auch umgesetzt kriegen. Auch ein Projekt wie das zur VHS sollten wir von der Zielstellung her projektierbar machen. Wir können nicht weiter zuwarten und da passiert nichts. Die Bewegung da ist zu zähflüssig. Wir müssen irgendwann einmal einen Plan dazu schreiben und dann verabreden, dass wir ihn umsetzen.
Wie stehen die Chancen, dass Mülheim ein Innovationszentrum bekommt?
Die stehen gut. Möglicherweise aber nicht an der Liebigstraße, auch wenn wir dort dran sind.
„Das Dieselthema muss ja irgendwann mal einer lösen“
Wie wollen Sie den Forderungen aus der Wirtschaft gerecht werden, dass Zukunftsfragen gebündelt und deutlich vernehmbar im Fokus stehen?
Indem ich das tue, was ich jetzt schon tue. Ich habe die Kollegen hier am Tisch, bin in den Gremien unterwegs. Ich werde das aber noch intensivieren.
Wie groß ist die Gefahr, dass die Deutsche Umwelthilfe Diesel-Fahrverbote auch in Mülheim erzwingt?
Wenn ich das wüsste. Vor einer Klage sind wir nicht gefeit. Aber hier liegt nichts vor. Wobei das Dieselthema ja irgendwann mal einer lösen muss.
Was soll aus dem denkmalgeschützten VHS-Gebäude werden, wenn die Gutachter erwartbar feststellen werden, dass eine alternative Unterbringung der VHS zumindest mittelfristig wirtschaftlicher sein wird? Abreißen? Grundstück vermarkten?
Das ist ein Denkmal. Ich glaube nicht, dass wir nach den Spielregeln, die ich mittlerweile kenne, es abreißen können und auch nicht unbedingt abreißen wollen. Es gibt viele Menschen, die das Ensemble so erhalten wollen. Idealerweise wäre es – für die Psyche aller möglichen Diskutanten – schon gut, wenn wir es als VHS nutzen. Jetzt sind wir dran, die echten Kosten zu ermitteln. Die Kostendiskussion geht ja von 1,2 bis 16 Millionen.
Wenn die Politik nun beschließen sollte, die VHS nicht mehr zurück in die Müga zu holen. Wie soll das Denkmal denn genutzt werden?
Es müsste ohnehin saniert werden. Ich habe wenige andere Meinungen gehört, als dass dies auf uns zukommen würde. Wir müssten ja eine höherwertige, wahrscheinlich öffentliche Nutzung darstellen, um es abreißen zu können. Das Verfahren, hat man uns gesagt, ist unglaublich schwierig. Wir hatten mal Interessenten für einen Ausstellungsort, auch für einen Tagungsort dort. So etwas hängt aber auch davon ab, wie viel es kostet, damit man das Gebäude wieder betreiben darf.
Firmen am Flughafen brauchen Planungssicherheit
Noch einmal: Sollte die Stadt entscheiden, die VHS nicht wieder ins Gebäude zu bringen, hat sie einen Klotz am Bein und dürfte sich weiter starken Bürgerprotesten ausgesetzt sehen. Was ist Ihre Vision für das Gebäude?
Ich hätte gerne einen Partner, der das mitmacht. Es ist nicht aus der Welt. Wir haben ein, zwei Leute gehabt, die haben gesagt: interessant. Noch mal: Ich glaube nicht, dass uns jemand die Genehmigung gäbe, das Gebäude abzureißen. Also müssen wir schauen, wie wir die Finanzierung hinkriegen – für welche Nutzung auch immer. Nach meiner Meinung: Wenn nicht VHS, dann eine andere öffentliche.
Wie werden die Flughafen-Planungen Ende 2019 aussehen?
Wir haben jetzt einen Erkenntnisgewinn. Die Arbeitsgruppen haben ihre Ergebnisse zusammengefasst und wir bereiten uns jetzt darauf vor zu planen, was man sofort und was erst später tun kann. Parallel dazu ist es aus meiner Sicht sehr wichtig, die Firmen dort mit ihren 400 Arbeitsplätzen mit einer Planungssicherheit zu versorgen. Wir müssen mal den Zeitpunkt fixieren, wann wir nicht mehr fliegen. Die Planung braucht feste zeitliche Ziele, auch die Firmen. Wenn wir wissen, dass wir die Flughafengesellschaft bis 2034 am Standort haben werden, und auch die Kosten dafür nicht loswerden, dann wäre es Quatsch zu sagen, wir hören morgen auf zu fliegen.
Welche gute Nachricht steht am Ende des Jahres 2019?
Die gute Nachricht ist, dass wir uns in 2019 ausschließlich um das Wohl dieser Stadt gekümmert haben und wir begonnen haben, die Dinge, die wir in den Haushalt geschrieben haben, tatsächlich umzusetzen.