Herne. Rage, die weltweit bekannte Metalband aus Herne, feiert runden Geburtstag mit Tour und Doppelalbum. Ein Treffen mit Frontmann Peavy Wagner.
40 Jahre Rage: Zum runden Geburtstag bringt die weltweit bekannte Herner Metalband um den Sodinger Peter „Peavy“ Wagner ein neues Doppelalbum heraus, gibt mehr als 50 Konzerte auf drei Kontinenten und feiert eine ganz besondere Rückkehr.
Rage im Schnelldurchlauf
Rage (deutsch: Wut) wurde 1984 gegründet, damals noch unter dem Namen Avenger. Frontmann Peavy Wagner ist der Kopf und die Konstante der Band: Der 59-jährige Sänger, Bassist und Haupt-Songschreiber ist das einzig verbliebene Gründungsmitglied. Rage veröffentlichten bislang knapp 30 Studioalben sowie diverse EPs. „Lingua Mortis“ war 1996 das erste deutsche Metal-Album mit Orchesterbegleitung. Zu jedem Album gab es eine ausgedehnte Tour, außerdem spielte die Band mehrmals beim Wacken Open Air und anderen großen Festivals. Zum aktuellen Line-up zählen derzeit neben Wagner der Gitarrist Jean Bormann und Schlagzeuger Vassilios „Lucky“ Maniatopoulos.
Vom Tierpräparator zum Profimusiker
„Ich wollte schon in einer Band spielen, bevor ich überhaupt eine Gitarre in die Hand genommen hatte“, erzählt Peavy Wagner. Für die Initialzündung habe sein Cousin gesorgt, der Ende der 60er mit Band im Keller geprobt habe. „Harter, psychedelischer Rock. Das hat mich so beeindruckt, dass ich mir gesagt habe: Das willst du auch machen!“ Und er machte, aber zunächst über den Umweg „klassische Gitarre“.
Beim ersten Gitarrenlehrer habe es „nicht so gefunzt“, sagt er, doch die Musikschule an der Gräffstraße und Dirk Zdebel („ein toller Musiker und Lehrer“) hätten ihn auf den Geschmack gebracht. Seine ersten musikalischen Favoriten: die Beatles und Police, doch schon bald wurden die Haare länger und die Songs härter. Seine Eltern - der Vater war Lehrer am Otto-Hahn-Gymnasium und unterrichtete dort unter anderem Frank Dudda, die Mutter Lehrerin an der Grundschule Auf‘m Kolm - seien nicht begeistert gewesen: „Mein Vater war sogar strikt dagegen.“
Genützt hat es nichts: „Ich habe mich durchgebissen.“ Mit Avenger brachte Peavy Wagner im Mai 1985 beim Ein-Mann-Label Wishbone das Debütalbum „Prayers of Steel“ heraus. Das zweite Werk „Reign of Fear“ erschien 1986 bereits unter dem Namen Rage. Im selben Jahr schmiss Peavy seinen bei Ledebur in Bochum erlernten Job als Tierpräparator („das ist bis heute ein großes Hobby“) und widmete sich fortan nur noch der Musik. Der internationale Durchbruch kam spätestens 1992 mit dem siebten Album „Trapped“.
Kanada, Japan, Schweden, Zypern ...
Wie viele Konzerte er mit Rage gespielt hat? „Das weiß ich nicht. Ich habe 1985 aufgehört zu zählen“, sagt er. Der Startschuss für die aktuelle Welttournee fiel Anfang März im kanadischen Toronto. Laut dem aktuellen Tourplan folgen bis November 29 Konzerte als Headliner in Japan, Polen, Griechenland, Italien, Zypern, Schweden und natürlich Deutschland. Außerdem sind für 2024 vier Metal-Klassik-Crossover-Auftritte mit Orchester sowie zehn Festivals gebucht, darunter am 2. August mal wieder das Wacken Open Air.
In Japan traten Rage bereits in den 90ern auf. Sie seien dort von kreischenden Mädchen mit Zöpfen und Schuluniform empfangen und gefeiert worden, erinnert sich Wagner. Metal-Bands hätten damals in Asien Popstar-Status genossen und seien ähnlich vermarktet worden wie Boygroups. Den größten Eindruck hinterließ bei ihm aber nicht Asien, sondern ein Auftritt beim Dynamo Festival in Eindhoven. „Ich habe mich am Nachmittag auf dem Zeltplatz umgeschaut und hier und da etwas mitgepafft. Ich war anschließend total dicht“, erzählt er. Mit einer Runde Schlaf im Nightliner und einem Eimer Wasser über den Kopf sei er dann fit geworden fürs Konzert: „Wir wurden frenetisch empfangen und gefeiert. Das Publikum wollte uns gar nicht gehen lassen. Das war das erste Mal, dass wir unser Set doppelt gespielt haben.“
Auch nach 40 Jahren seien Live-Auftritte für ihn etwas ganz Besonderes: „Dieser direkte Austausch mit dem Publikum begeistert mich immer wieder.“ Zu Beginn der Karriere habe er Konzerte „wie auf Autopilot durchgeballert“. Heute genieße er jede Minute auf der Bühne.
Auf der Kinoleinwand und bei Raab
In der Schwermetall-Szene waren Rage im neuen Jahrtausend längst eine große Nummer, doch 2001 erhielten sie auch in anderen Kreisen größere Aufmerksamkeit. Der Rage-Song „Straight to Hell“ untermalte Bully Herbigs Kinohit „Der Schuh des Manitu“. Drei Jahre später kam das markante Gitarrenriff des Lieds noch mal kurz in Herbigs „(T)Raumschiff Surprise“ zum Einsatz. Im kommenden Jahr soll „Der Schuh des Manitu 2“ in den Kinos anlaufen - wieder mit Rage auf dem Soundtrack? „Wir sind in Kontakt.“
Dass die Herner Band es auf die große Leinwand geschafft habe, sei wohl Stefan Raab zu verdanken, glaubt Peavy Wagner. „Der steht auf uns.“ Das stellte dieser später mehrfach unter Beweis: 2008 lud Raab Rage in seine Pro7-Sendung „TV Total“ ein. Und 2009 traten Wagner & Co. bei Raabs „Bundesvision Song Contest“ an. Mit dem ausnahmsweise deutschen Song „Gib dich nie auf“ landeten sie auf dem dritten Platz, nur geschlagen von Peter Fox und Polarkreis 18. Und auch bei der live aus der Arena Auf Schalke übertragenen „Stock Car Crash Challenge“ waren sie zu Gast.
Neues Album: Apokalypse now mit Geige und Cello
Besondere Anlässe erfordern besondere Ereignisse: Am 29. März bringen Rage erstmals in ihrer 40-jährigen Karriere ein Doppelalbum heraus. Es heißt „Afterlifelines“ und hat zwei Gesichter: Die eine Hälfte ist klassischer Power Metal, die andere Hälfte wurde zusätzlich mit Orchester eingespielt. Zwei vorab ausgekoppelte Singles - „Under A Black Crown“ und „Cold Desire“ - spiegeln dieses (Erfolgs-)Konzept wider. Ebenso charakteristisch für Rage ist Wagners Stimme, die so gar nicht dem Metal-Klischee entspricht. Oder wie er es mal 1989 beim TV-Sender Tele 5 als Interview-Gast im legendären Magazin „Hard’n‘Heavy“ formulierte: „Ich kann ja nichts dafür, dass ich singen kann.“
Dass Rage mit ihrem Metal-meets-classic-Ansatz auf Alben wie „XIII“ große Erfolge feiern konnte, daran war ein gewisser Thomas Stein nicht ganz unschuldig. Der Manager ihres damaligen Labels BMG - später war er Juror beim RTL-Format „Deutschland sucht den Superstar“ - habe ihnen ein Sonderbudget angeboten, erzählt Wagner. „Er war ein großer Fan von diesen Crossover-Geschichten. Zu der Zeit saß das Geld noch recht locker.“ Berührungsängste hätten sie nicht gehabt: „Wir hatten schon zuvor Celli in einem Intro eingesetzt und eine Nummer mit Streichquartett aufgenommen.“
Die zu 80 Prozent von Peavy Wagner geschriebenen Texte stehen bisweilen in hartem Kontrast zu Melodien und Instrumentierung, eine Apokalypse-now-Stimmung macht sich breit. „Vorbei sind die Zeiten, in denen wir die Zukunft für alle hätten retten können“ heißt es beispielsweise (frei übersetzt) in der ersten Single-Auskopplung des neuen Albums. Und: „Danke an die reichen zehn Prozent/Sie hörten nicht zu, bis die Natur ihr Spiel beendete“. Ältere Songs handeln unter anderem von Umweltverschmutzung und Artensterben.
Er mache keine Rock‘n‘Roll-Texte über „Wein, Weib und Gesang“, sagt er, sondern versuche, „etwas intelligentere und gesellschaftskritische Gedanken zu formulieren“. Seiner persönlichen Haltung entspreche die Endzeitstimmung aber nicht: „Die Menschheit hat bisher immer eine Lösung gefunden und eine Tür geöffnet.“ Davon gehe er trotz aller weltweiten Probleme auch diesmal aus.
Home Sweet Home
Auf ihrer Jubiläumstour machen Rage gleich zweimal im Ruhrgebiet Station: am 12. Mai in der Bochumer Zeche und am 7. September beim 37. Rock-Spektakulum Auf dem Stennert (bei freiem Eintritt!). Für Peavy Wagner ein Heimspiel der besonderen Art, denn: Er war in den 80er-Jahren Mitgründer des dortigen Musikertreffs und probte lange mit seiner Band in dem städtischen Gebäude. Und: Den Stennert kann er fußläufig von seinem Sodinger Elternhaus - dort wohnt er inzwischen wieder - erreichen. „Ich lebe gerne in Herne“, bekennt er.
Zukunftsmusik
Peter „Peavy“ Wagner nullt 2024 nicht nur mit seiner Band: Im Dezember wird er 60 Jahre alt. Ans Aufhören denkt er aber noch lange nicht. Er mache weiter, solange es die Gesundheit zulasse und solange die Leute das noch sehen wollten. „Die Fans sind mitgealtert. Und es kommen immer noch neue hinzu.“ Ein berühmter Brite mache ja vor, dass selbst mit 80 nicht Schluss sein müsse: „Mick Jagger ist ein geiles Vorbild.“