Essen. Mit „Tausend Zeilen“ legt Michael Herbig einen Kinofilm über den Fake-Reporter Claas Relotius vor. Vor dem Kinostart sprach er mit Uwe Mies.
Bekannt wurde er in den 90er Jahren als Comedian, doch längst hat sich Michael „Bully“ Herbig als Filmregisseur einen Namen gemacht. Mit Uwe Mies sprach er kurz vor dem Kinostart über seinen neuen Film „Tausend Zeilen“, der nach der Buchvorlage des Journalisten Juan Moreno entstand. Er beschreibt darin den Fall des ehemaligen Starreporters Claas Relotius, dessen erfundene Artikel unter anderem für das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ im Jahr 2018 für einen Medienskandal sorgten.
Wie schafft man es, einen Stoff spannend zu erzählen, vor allem, wenn man doch weiß, wie es ausgeht?
Bei „Tausend Zeilen“ war es von Vorteil, dass es um die Lüge geht. Das war es auch, warum mich der Stoff so interessiert hat. Hier geht es um Unwahrheiten und Wahrheiten, um Fakten, die man aber auch verdrehen kann. Das lässt sich wunderbar ausnutzen. Wir können immer wieder Haken schlagen, so dass selbst Leute, die das Buch von Juan Moreno gelesen haben, im Kino sitzen und sich fragen: Das habe ich so aber anders in Erinnerung. Also auch für dieses Publikum steckt der Film voller Überraschungen. Und für die Leute, die von dem Fall noch nie gehört haben, ist es eh spannend.
Wo bewegt der Film sich weg von der Realität in Morenos Buch?
Im Buch begegnen sich die beiden Protagonisten nicht. Für die filmische Erzählung war das aber langweilig, es fehlte sowas wie ein Showdown; wenigstens einmal will man doch eine Konfrontation zwischen den beiden sehen. Ich finde, wir haben das sehr unterhaltsam gelöst. Es ist einfach toll, wenn man für einen Film alle stilistischen Freiheiten hat.
Im Prinzip ist das ein Hitchcock-Film – ein Thriller, der seine komischen Seiten hat.
Das ist aber ein schmeichelhafter Vergleich! Trotzdem tu ich mich mit der Genrezuordnung schwer. Ich finde auch Mediensatire nicht richtig. Unterm Strich finde ich es eher zeitgemäß, dass man sich auch mal von dem Genregedanken löst, wenn es die Geschichte erlaubt. Ich würde „Tausend Zeilen“ als stabilen Film bezeichnen.
Ist das ein Film, der nicht auf Preise, sondern aufs Publikum zielt?
Ich ziele immer aufs Publikum, grundsätzlich und auf nichts anderes. Natürlich ist es für mich das Größte, wenn dem Publikum der Film gefällt.
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Hier unterscheidet sich Kino von Journalismus?
Journalismus muss nicht gefallen. Warum schreibt man, warum ist man Journalist? Was ist die Motivation? In diesen Punkten unterscheidet sich der seriöse Journalist vom Geschichtenerzähler. Es gibt doch dieses Zitat: Eine gute Recherche zerstört die schönste Geschichte. Sobald du aber etwas veränderst oder so drehst, dass es schöner klingt, verfälscht du es. Das ist natürlich verlockend, aber als Reporter muss man sich echt im Klaren darüber sein, was man da tut. Wenn man es aufregender macht oder dramatisiert, sind es keine Fakten mehr. Deswegen bin ich lieber Geschichtenerzähler. Und das weiß auch jeder.
Entspricht „Tausend Zeilen“ Bully Herbigs Idee von einem Helmut-Dietl-Film?
Also, Helmut Dietl ist Helmut Dietl. Seine Filme klangen ja auch wie er. Heißt, die Protagonisten in seinen Filmen haben wie er gesprochen. Das kann man nicht kopieren. Nehmen wir jetzt „Schtonk!“, bei diesem Film könnte man auf die Idee kommen, dass der mit „Tausend Zeilen“ artverwandt ist. „Schtonk!“ ist einer meiner Allzeitlieblingsfilme, aber es ist auch ein Film aus den frühen 90er Jahren. Man kann sich diesen Film heute immer noch anschauen, aber er ist in seiner Machart nicht mehr zeitgemäß. Deshalb gibt es stilistisch auch einen Riesenunterschied zwischen „Schtonk!“ und „Tausend Zeilen“.
Wie geht man als Filmemacher fürs Kino mit einer zwischenzeitlich etablierten Sehgewohnheit um, die Geschichtenerzählen nur noch im Serienformat akzeptiert?
Ich bin kein großer Serienfan. Ich wüsste auch gar nicht, wann ich das alles gucken soll. Ich habe auch oft den Eindruck, dass manche Folgen in die Länge gezogen werden, um Strecke zu machen. Vielleicht um auf seine 30 oder 45 Minuten zu kommen. Und das ist in meinen Augen die falsche Priorität. Ihr Film ist eher kurz.
Entspricht das Ihrem Gespür für Timing?
Das kommt zwar immer auf das Genre an, aber grundsätzlich habe ich nichts gegen eine gute Geschichte, die in 90 Minuten erzählt wird.
Steckt eine persönliche Moral in dem Film?
Jedenfalls hatte ich zu keinem Zeitpunkt ein Journalisten-Bashing im Sinn. Natürlich geht es in dem Film ironisch zu, manchmal auch böse oder zynisch. Trotzdem halte ich den seriösen Journalismus für absolut unverzichtbar. Wenn aber ein seriöses Nachrichtenmagazin mit zum Teil erfundenen Reportagen um die Ecke kommt, richtet das einen massiven Schaden an. Weil es Vertrauen missbraucht. Die kleinste Verfälschung kann dir auf die Füße fallen und den falschen Leuten in die Karten spielen.
Also steckt Moral im Film.
Im Grunde ist das eher ein Appell an jeden Journalisten: Bleibt bei der Wahrheit! Das sind gerade merkwürdige Zeiten mit viel zu vielen Fake-Nachrichten. Auf der anderen Seite war es aber auch ein Reporter, der das alles aufgedeckt hat. Man kann also nicht pauschal von der „Lügenpresse“ sprechen. Es liegt am Reporter selbst, ob wir die Wahrheit erfahren.
Ist es für sie als Künstler nicht ebenso gefährlich, irgendeiner Individualmeinung auf die Füße zu treten und damit einen Shitstorm auszulösen?
Das war ja schon immer so, aber die Empörung wird immer reflexartiger. Ich würde mir da schon ein bisschen mehr Fingerspitzengefühl wünschen. Die Leute können sich ja ruhig empören, man kann über alles diskutieren, Dinge hinterfragen. Das Zuhören sollte man dabei aber nicht ganz vergessen. Wenn alle durcheinander schreien, dann versteht man niemanden mehr.
>>> Zur Person: Michael „Bully“ Herbig <<<
Michael „Bully“ Herbig, 1968 in München geboren, hatte sich ab 1997 mit der TV-Comedy-Reihe „Bullyparade“ einen Namen für temporeiche, stilistisch vielfältige Spaßunterhaltung gemacht.
Noch größer war der Erfolg im Kino: „Der Schuh des Manitu“ zog 2001 11,7 Mio. Zuschauer, „(T)Raumschiff Surprise – Periode 1“ verzeichnete 9,1 Mio. Besucher. 2019 wurde sein Fluchtdrama „Ballon“ mit dem Friedenspreis des Deutschen Films ausgezeichnet.