Herne. Vor genau 20 Jahren wurde der Winterschlussverkauf offiziell abgeschafft. Doch ein Geschäft in Herne führt ihn weiterhin konsequent durch.
Lagerräumung, Mid-Season-Sale, nicht mehr nur Black Friday, sondern gleich eine Black Week: Der Einzelhandel ist ziemlich einfallsreich, um Anlässe für Sonderangebote zu finden. Das hätte es früher nicht gegeben, denn es durften nur zum Winter- und zum Sommerschlussverkauf Schnäppchen angeboten werden. Vor genau 20 Jahren fiel diese Beschränkung, doch in Herne gibt es ein Geschäft, das seitdem am klassischen Winterschlussverkauf festhält.
Am Montagmorgen um 10 Minuten vor Acht befindet sich die Herner Innenstadt noch weitgehend im Aufwachmodus, die allermeisten Schaufenster sind dunkel. Die wenigen Passanten auf der Bahnhofstraße eilen zur Schule oder zur Arbeit. Auf dem Robert-Brauner-Platz röhrt ein Laubbläser durch die Stille.
Auch bei Wäschegeschäft Dieler an der Bebelstraße versperrt noch ein Rollgitter die Eingangstüren, im Laden brennt noch kein Licht. Doch das ändert sich vom einen auf den anderen Augenblick. Die Lampen gehen an, das Gitter fährt langsam nach oben, und fünf Mitarbeiterinnen beginnen damit, Kleiderständer und Angebotskisten auf Rollen nach draußen zu schieben. Es ist der Startschuss zum klassischen Winterschlussverkauf, den Dieler auch 20 Jahre nach dem offiziellen Ende des WSV (und des SSV) konsequent durchzieht.
Dieler-Filiale öffnet schon um 8 Uhr
Schon seit Tagen weisen Aufkleber auf den Fensterscheiben darauf hin, dass an diesem Montag ab 8 Uhr geöffnet ist, an diesem Morgen ist überall Dekoration zu sehen, die auf den Winterschlussverkauf hinweist. Und selbstverständlich liegen und hängen für die Kundinnen und Kunden jede Menge Schnäppchen bereit: Spannbetttücher für vier Euro etwa, wer Nachtwäsche kauft, bekommt 30 Prozent Rabatt. Zwar sei schon nach Weihnachten reduziert worden, erzählt Mitarbeiterin Sabine Wiele, doch zum WSV seien die Preise noch einmal geschrumpft worden. „Man kann schon Schnäppchen machen.“ Auch das Personal ist für den Montagmorgen extra verstärkt worden. Fünf Mitarbeiterinnen sollen den Andrang bewältigen. Allein: Als sie um 8 Uhr die Türen öffnen, sind sie zunächst mit sich allein. All jene, die vor der Tür standen, haben doch nur auf einen Bus gewartet. Allerdings: Zwei Minuten später kommt die erste Kundin herein, verlässt aber wenig später unverrichteter Dinge wieder das Geschäft.
Welch ein Unterschied zu früheren Zeiten. Sabine Wiele ist seit fast 40 Jahren im Unternehmen, sie kann sich noch gut an die Zeiten des echten Winterschlussverkaufs erinnern. Damals hätten die Kundinnen und Kunden schon vor der Öffnung in Trauben vor der Tür gestanden. „Die sind reingestürmt und haben teilweise Kleiderständer umgerissen.“ Einmal sei ein Glasbehälter zerbrochen und Blut sei geflossen. Da ist dieser Montag doch geradezu beschaulich. Zwar hätten einige Kundinnen und Kunden im Vorfeld wieder nach dem WSV gefragt, doch ganz offensichtlich hatten sie es nicht so eilig, dass sie schon zum Startschuss vorbeischauen.
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Den ersten Umsatz macht Helga Lorentz - eine Stammkundin. Sie wohne ganz in der Nähe und sei einkaufen gewesen, erzählt sie im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion, da habe sie die Gelegenheit genutzt und bei Dieler vorbeigeschaut. „Vielleicht kann ich ja ein Schnäppchen machen, wir haben ja alle nichts zu verschenken.“ Die Seniorin kann sich noch gut an den klassischen WSV erinnern, das sei immer ein Highlight gewesen. Und es sei immer noch eine schöne Sache, dass Dieler ihn nach wie vor anbietet.
Ein i-Tüpfelchen, das sich auch lohnt
Stephan Dieler, geschäftsführender Gesellschafter, hatte vor wenigen Wochen im Gespräch mit der Herner WAZ betont, dass der Winter- und Sommerschlussverkauf trotz aller anderen Angebote und Aktionen das i-Tüpfelchen sei - das sich auch lohne. Er hält nichts vom Verwässern der Angebotstermine. „Wir denken, dass die klassischen Termine immer noch in vielen Köpfen sind. Und das sind nach unserer Meinung gute Termine für Sonderaktionen.“ Nach dem schleppenden Beginn wird das Geschäft im Laufe des Montags lebhafter, berichten die Mitarbeiterinnen am Mittag. Das schöne Wetter habe geholfen.