Herne. Am Wochenende findet in Berlin der mit Spannung erwartete erste Parteitag der Wagenknecht-Partei statt. Warum Herne eine besondere Rolle spielt.
Die neue Partei der früheren Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht führt am Samstag, 27. Januar, in Berlin ihren mit Spannung erwarteten ersten Parteitag durch. Aus Herne werden sich gleich zehn Mitglieder auf den Weg in die Hauptstadt machen. Die Zahl ist umso beachtlicher, wenn man weiß: Dem am 8. Januar offiziell gegründeten „Bündnis Sahra Wagenknecht - Vernunft und Gerechtigkeit“ (BSW) gehören derzeit nur 450 vom Bundesvorstand handverlesene Mitglieder an. Weitere Aufnahmen sind in der ersten Phase nicht vorgesehen. Aus Herne gibt es aber nicht nur Unterstützung, sondern auch harsche Kritik.
„Wir nehmen mit zehn Hernerinnen und Hernern an dem Parteitag teil. Sie sind alle auch als Mitglieder von der Partei aufgenommen worden“, erklärt Norbert Arndt auf Anfrage der WAZ. Der langjährige Verdi-Sekretär und sein früherer Gewerkschaftskollege Michael Wiese waren Ende 2023 federführend bei der Gründung eines Herner Initiativkreises für das Wagenknecht-Bündnis und stehen am Samstag auch an der Spitze der Herner Delegation.
Warum hat Herne so viele BSW-Mitglieder? Es gebe seit vielen Jahren Kontakte zu maßgeblichen Mitgliedern der neuen Partei, erklärt Arndt. Der frühere Gewerkschafter war bekanntlich auch Gründungsmitglied der im September 2018 von Wagenknecht ins Leben gerufenen Sammlungsbewegung „Aufstehen“, die jedoch bereits im Frühjahr 2019 schon wieder Geschichte war.
Über den Hintergrund der Herner Mitglieder erklärt Arndt: „Herne ist eine Arbeiterstadt. Alle zehn haben einen gewerkschaftlichen Hintergrund. Und alle kommen aus dem Spektrum Soziales und Friedensbewegung.“ Unter ihnen seien auch drei ehemalige Linkspartei-Mitglieder, sagt der 68-Jährige, der vor Jahrzehnten der DKP und bis vor wenigen Jahren der SPD angehörte.
Der zurzeit noch geschlossene Herner BSW-Initiativkreis werde sich später für weitere Mitglieder öffnen. Zunächst müsse aber mal ein NRW-Landesverband gegründet werden, der dann anschließend Orts- bzw. Kreisverbänden grünes Licht geben. „Alle, die in Herne ehrlichen Herzens bereit sind, konstruktiv mitzuarbeiten, sind herzlich eingeladen“, so Arndt. Die Gründungsphase der neuen Partei gehe „kontrolliert“ über die Bühne, weil sie von „Aufstehen“ gelernt hätten. Damals sei man zu schnell gewachsen und habe sich „mit den falschen Leuten eingelassen“.
Und: Die Herner BSW-Gruppierung werde auch vor einer formalen Konstituierung ein starkes Augenmerk auf Kommunalpolitik richten. „Wir werden versuchen, uns in örtliche Debatten einzumischen.“ Norbert Arndt geht davon aus, dass die Wagenknecht-Partei bei der Kommunalwahl 2025 in Herne antreten wird. Zunächst liege der Fokus jedoch auf der Europawahl am 9. Juni 2024.
Herner Linken-Chef: Neue Partei hat einen „rechtspopulistischen Drall“
Der Vorwurf von politischen Gegnern und von Medien, dass Sahra Wagenknecht mit der neuen Partei am rechten Rand fische, bezeichnet Arndt als „völlig abwegig“. Die jüngst vorgelegten inhaltlichen Positionen zur EU-Wahl seien alles andere als rechts. Im Mittelpunkt stünden vielmehr Frieden und Abrüstung, die Reanimierung des Sozialstaats und Stärkung der Kommunen. Ist die neue Partei eine linke Partei? „Mit dem Begriff ist Schindluder getrieben worden. Ich würde es eher als fortschrittliches gesellschaftliches Bündnis bezeichnen“, sagt der Herner.
Der Herner Linken-Vorsitzende Patrick Gawliczek sieht dagegen beim neuen politischen Gegner „einen rechtspopulistischen Drall“ und verweist unter anderem auf Positionen zu Russland, zur Klimapolitik und zur Asylpolitik. Das wundere ihn aber nicht, denn: „Das neue Bündnis hat das Ziel, auch Wählerinnen und Wähler der AfD an sich zu binden. Da kann man natürlich nicht mit einem klaren antifaschistischen Profil auftreten“, so der 30-Jährige. Und: Er finde es interessant, wie groß die Widersprüche seien. „Einerseits gibt man sich pazifistisch, andererseits will man die EU, das größte Friedensprojekt der europäischen Geschichte, rückabwickeln“, so Gawliczek. Arndt bestreitet dies gegenüber WAZ. Es gehe hier nur um notwendige Korrekturen innerhalb der EU, sagt er.
Einen großen Aderlass befürchtet Gawliczek für seinen zurzeit knapp 65 Mitglieder zählenden Herner Kreisverband nicht. Er wisse persönlich nur von einem Parteiaustritt eines Wagenknecht-Unterstützers in Herne. Er schließe nicht aus, dass das eine oder andere passive Mitglied noch folgen werde.
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Kurzfristig könne das neue Bündnis einen positiven Effekt auslösen, indem es der AfD ein wenig das Wasser abgrabe und Prozente abnehme. „Das wäre aber nur ein singuläres Ereignis.“ Langfristig verschiebe diese neue Partei den politischen Diskurs aber noch weiter nach rechts, sagt Gawliczek und nennt als Beispiele Äußerungen des Kanzlers („im großen Stil abschieben“) und den Kurswechsel der Grünen in der Asylpolitik.