Herne. Der bekannteste Herner Gewerkschafter geht in den Ruhestand. Verdi-Mann Norbert Arndt blickt zurück auf ein bewegtes Leben.
Zum 1. Oktober geht Norbert Arndt (64) in den Ruhestand. „Mein Leben war immer Kampf“, sagt der langjährige Verdi-Sekretär im Rückblick.
Legebatterie für Proletarier
Als Sohn eines Bergmanns und einer Putzfrau wuchs Norbert Arndt mit drei Geschwistern in Bochum-Hamme auf. „Legebatterie für Proletarier“ - so bezeichnet er heute die 65-Quadratmeter-Wohnung der Familie. Als er acht Jahre jung war, starb die Mutter. „Mein Vater hat das nicht verkraftet. Es ging drunter und drüber“, erzählt er. Nach „zwei Jahren im Chaos“ zog Norbert Arndt ins städtische Kinderheim um, das er erst mit 15 Jahren nach seinem Hauptschulabschluss wieder verließ, um fortan zunächst im Lehrlingswohnheim zu leben.
Linksaußen
Erst Klassensprecher, dann Schülersprecher, Mitherausgeber einer Schülerzeitung – die Aufbruchsstimmung der 60er-Jahre habe auch ihn erfasst, berichtet Arndt. „Der Zeitgeist war links.“ Der einstige Messdiener von Herz Jesu in Hamme – Lieblingsschulfächer Religion und Geschichte – sagte sich von der katholischen Kirche los. „Wir hatten einen tollen Vikar“, erzählt er. Doch auf drängende gesellschaftliche Fragen habe dieser ihm und einem Kumpel entgegnet: „Wo das Wissen aufhört, setzt der Glauben ein.“ Damit hätten sie sich nicht mehr zufrieden geben können. Antworten und Gleichgesinnte fand er stattdessen in der sozialistischen Jugendbewegung und im sozialistischen Schülerbund. Auch seine aus einfachen Verhältnissen stammende Familie habe ihn geprägt, berichtet er. Die Großeltern, die einst in Posen als Knecht und Magd geschuftet hätten. Und vor allem der Vater, der nicht nur im Fußballverein Linksaußen gewesen sei.
Schwermetall
Am 1. September 1971 begann Norbert Arndt bei Krupp in Bochum eine Ausbildung zum Schmied und trat zeitgleich in die Gewerkschaft IG Metall ein. „Das war damals Usus.“ Beim ersten Streik habe er „Blut geleckt“. Schnell wurde er bei Krupp Jugendvertreter. Zum Vorsitzenden dieser Vertretung sei er aber nie gewählt worden: „Ich galt schon damals als zu links.“ Einmal habe ihm wegen „Rädelsführerschaft“ sogar die Entlassung gedroht. „Ich soll einen wilden Streik angezettelt haben.“ Ein Gericht wies die Kündigung jedoch zurück.
Soldat und Antimilitarist
Nach der Lehre ging es für 15 Monate zur Bundeswehr. „Heimatnah in Handorf bei Münster, weil ich mit 19 geheiratet hatte“, so Arndt. Ein Kommunist im kapitalistischen Heer? „Wir haben damals gesagt: Wer stark genug ist, soll zur Armee gehen und dort antimilitaristische Arbeit leisten.“ Arndt wurde zum Vertrauensmann in seiner Kompanie und schrieb in der Soldatenzeitung „Muffe“ - zum Beispiel über die Bestände in der Bataillonsbibliothek. „80 Prozent der Bücher waren zwischen 1933 und 1945 geschrieben worden“, so das Ergebnis seiner systematischen Analyse. Seinen Wehrdienst musste er für eine Woche auch im Bundeswehrknast verbringen. „Ich hatte in Uniform an einer Kranzniederlegung für russische Zwangsarbeiter in Stukenbrock teilgenommen. Das war verboten“
Der Klassenkampf
Nach seiner Rückkehr zu Krupp vertrat er weiter Arbeiterinteressen und wurde schließlich zum Betriebsrat gewählt. Auf „Beschluss“ seiner Partei - die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) - habe er den Betrieb dann aber verlassen, um knapp zehn Jahre lang erst als Kreisvorsitzender in Bochum-Witten und dann Bezirkssekretär für Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit zu arbeiten, berichtet er. Ein Kapitel, über das Norbert Arndt heute nicht sooo gerne spricht. Vor dem Mauerfall 1989 kam es zur Spaltung. „Ich stand auf Seiten der Erneuerer und war gegen die Stalinisten“, sagt er. Norbert Arndt kündigte und trat aus der DKP aus: „Das war ein unheimlicher Einschnitt. Für mich war das ein Stück weit Familie.
Neue Heimat Herne
„Ich hatte zwei Kinder und brauchte Arbeit“, beschreibt Arndt die Situation im Jahr 1989. Er habe sich die Hacken abgelaufen – zunächst vergeblich. Nach viermonatiger Arbeitslosigkeit erhielt er dann einen Jahresvertrag beim Herner Grünflächenamt. Die Arbeit habe ihm gut getan. „Ich habe in aller Hergottsfrühe im Ostbachtal mit der Zange Zigarettenkippen aufgesammelt. Das half mir, den Kopf frei zu kriegen. Und in der Jackentasche hatte ich den Tarifvertrag, den ich zwischendurch gelesen habe.“
Norbert Arndts Vertrag wurde von der Stadt entfristet; sein zwischenzeitlicher Eintritt in die SPD dürfte dabei nicht geschadet habe. Frühere politische Wegbegleiter hätten ihn als Verräter beschimpft, erzählt er. Die SPD-Mitgliedschaft habe er für sich stets so definiert: „Ich bin Sozialist, nicht Sozialdemokrat.“ So oder so: Genosse Arndt stieg auf - er wurde bei der Stadt schnell Vertrauensmann und zog Mitte der 90-er in den Personalrat ein.
Der Sekretär
Nach zehn Jahren bei der Stadt wechselte er 1999 als Sekretär der ÖTV - später: Verdi - ins Gewerkschaftsbüro an der Brunnenstraße. Für ihn habe damit die intensivste und forderndste Zeit seines Berufslebens begonnen, sagt er. „Da kommt ein Kollege und lädt seine Probleme bei dir ab. Und dann sind es deine Probleme.“ Der Druck sei immens gewesen; er sei immer bemüht gewesen, „die Leute zufriedenzustellen“. Er habe dicke Fachbücher gewälzt, um Arbeitnehmer auch vor Gericht zu vertreten: „Je arroganter so ein Advokat von der Arbeitgeberseite rüberkam, umso mehr wurde mein klassenkämpferischer Instinkt geweckt.“ Die Belastungen seien zwischenzeitlich aber zu groß gewesen. Auch das Familienleben habe sehr gelitten, weil man „die Fälle mit nach Hause nimmt“.
Die Bilanz
Als eine seiner größten persönlichen Niederlage in seiner Zeit als ÖTV- bzw. Verdi-Sekretär bezeichnet Norbert Arndt die Privatisierung der städtischen Altenheime Flora Marzina und Koppenbergs Hof. Der größte Sieg? „Ich bin überzeugt, dass ohne unseren Einsatz auch das Grünflächenamt privatisiert worden wäre.“ Und nicht zuletzt habe er als Herner Streikführer zu „tollen Erfolgen“ in Arbeitskämpfen beitragen können. Insbesondere die Erzieherinnen hätten sich hier zur „Speerspitze“ entwickelt. Bei der Verabschiedung von den Kollegen in der städtischen Personalversammlung habe er sich bedankt: „Es war das Größte für mich, dass ich als kleiner Arbeiterjunge aus Bochum-Hamme bei diesen ganzen Streiks an der Spitze mitmarschieren durfte. Das habe ich immer als Auszeichnung empfunden.“
Mit insgesamt vier Oberbürgermeistern hatte er es in Herne zu tun. Er habe lernen müssen, „dass ich immer auch offene Türen haben muss, wenn ich für meine Leute was rausholen will.“ Das sei ihm zuletzt bei Frank Dudda gut gelungen. „Auf ihn bin ich schon zugegangen, als er noch SPD-Fraktions-Chef war.“ Bei der OB-Wahl 2015 gab Arndt eine öffentliche Empfehlung für Dudda ab. Bereut habe er das nicht: „Auf sein Wort war immer Verlass.“ Politisch funkten sie allerdings nicht auf einer Wellenlänge. „Auf meinem 60. Geburtstag hat Frank Dudda gesagt, dass er rosarot sei und ich dunkelrot.“
Die Zukunft der Gewerkschaft
Die Entwicklung der Gewerkschaften und der starke Mitgliederrückgang sorgten ihn, sagt Norbert Arndt. „Früher sind ganz Jahrgänge automatisch in die Gewerkschaft eingetreten. Heute muss man sie mit dem Lasso einfangen.“ Hinzu komme: Mit Renteneintritt verließen viele Mitglieder die Gewerkschaft. Über die Verdi-Gründung sagt er: Die Fusion im Jahr 2001 von ÖTV und vier weiteren Gewerkschaften sei richtig gewesen, weil die Schlagkraft erhöht worden sei. Die Arbeit werde zunehmend schwieriger, weil die Probleme in den Kommunen immer größer würden. Die Stadt Herne sei unterfinanziert, die Personalausstattung sei zu dünn: „Der Krankenstand ist hoch, es gibt viele Überstunden. Das Personal wird verheizt.“
Hund, Katze, Pferd
Durch „angesparten Urlaub“ ist Norbert Arndt bereit seit Januar nicht mehr im Dienst. „Wenn meine Frau um 6.30 Uhr zur Arbeit geht, lege ich mich noch mal für eine Stunde auf die Couch und denke: Boah, ist das ein Luxus. Ich genieße das.“
Pläne zum Beispiel für große Reisen habe er nicht – auch wegen der Tiere: Zum Hund sowie dem Pferd der Gattin gesellte sich jüngst noch eine von der Tochter (19) in Spanien gerettete und nach Herne transportierte Katze.
Und auch ihr Zechenhaus an der Kanalstraße in Horsthausen und der große Garten erforderten Arbeit, sagt der 64-Jährige, der in zweiter Ehe mit einer Herner Schulhausmeisterin verheiratet ist und insgesamt fünf Kinder hat. Aktiv bleiben will er in Vorstand und Geschichtswerkstatt des DGB sowie im Sozialforum.
Seit 20 Jahren werde über die Altschuldenproblematik der Städte geredet, aber es passiere einfach nichts. Die Probleme könnten nicht in Herne gelöst werden, aber eine Mitverantwortung für die Situation gebe es sehr wohl. „Hier werden von der SPD Abgeordnete gewählt, die im Landtag oder Bundestag eigentlich nichts Anderes zu tun haben müssten, als gegen diese Probleme vorzugehen. Es passiert aber nichts – oder nur, wenn die SPD in der Opposition ist“, so sein indirekter Seitenhieb auf Abgeordnete wie Michelle Müntefering und Alexander Vogt. Er hoffe, dass die SPD in Deutschland noch die Kurve kriege. „Ich weiß aber nicht, ob das gelingt.“
Dass Gewerkschafter zunehmend anfällig für rechte Parolen würden, „kann ich nicht tolerieren, aber erklären“, so Arndt. Die heutige Situation sei das Ergebnis eines 30-jährigen neoliberalen Umbaus der Gesellschaft. „Hardcore-Nazis“ lehne er ab, „aber es gibt auch eine berechtigte Unzufriedenheit“. Der AfD nachzulaufen, sei für Gewerkschafter jedoch keine Alternative, weil die Partei nicht nur rechts und rassistisch, sondern auch arbeitnehmerfeindlich sei.
Die politische Heimat
Für ihn gebe es seit Jahren keine richtige politische Heimat mehr, sagt Arndt. Die von ihm aktiv unterstützte Bewegung „Aufstehen“ um Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht will er trotz des Niedergangs nicht komplett abschreiben: „Die letzten Geigen sind noch nicht verklungen.“
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Der „historischen Dimension der Arbeiterklasse“ habe er zwar abgeschworen, doch seine persönliche linke Haltung sei in Jahrzehnten „gewachsen und unterwegs immer wieder bestätigt worden“. Daraus resultiere unter anderem auch, dass er sich als Antifaschist verstehe und gegen die Rechten kämpfe – so aktuell auch in Herne. Die Klimabewegung um Greta Thunberg mache ihm Hoffnung: „Ich finde es wunderbar, dass junge Menschen wie Phönix aus der Asche steigen und für die Grundlagen unserer Existenz auf die Straße gehen.“