Herne. Klaus Möllmann war während der Pandemie in Herne so etwas wie der Coronatest-König. Doch mit den Nebenwirkungen hat er bis heute zu kämpfen.
Klaus Möllmann wuchtet eine schwere Einkaufstüte auf den Tisch. Der Inhalt: mehrere Dutzend Mobiltelefone. Sie gehören zu den Dingen, die den Herner Unternehmer an jene Zeit der Pandemie erinnern, als er mit seinem Unternehmen HospiTrans so etwas wie der König der Coronatests in der Stadt war. Lange her - doch die Neben- und Nachwirkungen dieser Zeit verfolgen ihn bis heute. Man könnte auch sagen: Er leidet unter Long-Covid der anderen Art.
Herne: Auch HospiTrans musste Kurzarbeit anmelden
Rückblende: Anfang 2020, als die ersten kleinen Meldungen über ein unbekanntes Virus erschienen, das sich im vermeintlich fernen China ausbreitet, waren Klaus und Nina Möllmann in Herne mit Krankentransporten unterwegs. Als systemrelevantes Unternehmen war HospiTrans nicht vom Lockdown betroffen, dennoch traf das Herunterfahren des öffentlichen Lebens den Betrieb sehr hart, die Zahl der Fahrten brach dramatisch ein. Der Grund: Krankentransporte wurden auf medizinische Notfälle reduziert. Die Folge: Auch Möllmanns mussten für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Kurzarbeit beantragen, die Firma geriet immer mehr in finanzielle Schieflage. „Deshalb mussten wir uns etwas überlegen“, erzählt Nina Möllmann im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion.
Genau in dieser Phase, etwa im September 2020, flatterte Möllmanns die Anfrage eines Altenheims ins Haus: ob HospiTrans nicht vor dem Gebäude die Besucherinnen und Besucher auf Corona testen könne. Sie prüften die Voraussetzungen und sagten zu. Es war der Startschuss zu einem rasanten Wachstum. Schon wenig später folgte die erste mobile Station in einem der Krankenwagen, die nicht mehr benötigt wurden. Zahlreiche Hernerinnen und Herner werden wohl daran denken, wenn sie an der bft-Tankstelle an der Bebelstraße - in Sichtweite des Rathauses - vorbeifahren. Möllmanns konzentrierten sich nun voll aufs Testen: in zahlreichen Kitas oder auf der Baustelle des Steag-Kraftwerks. „Weihnachten habe ich mit Testen im Altenheim verbracht“, erzählt Klaus Möllmann.
Möllmanns mussten in einem Monat die gesamte Testinfrastruktr aufbauen
Ob es an der Sichtweite zum Rathaus gelegen hat, ist nicht mehr zu ermitteln, allerdings meldete sich Anfang 2021 die Stadt bei den Möllmanns mit der Frage, ob sie auf dem Cranger Kirmesplatz eine Teststation aufbauen wollten, durch die man mit dem Auto fahren kann. Bedingungen? Keine! Platzmiete? Keine! Der sei es darum gegangen, irgendwie die Pandemie in Herne einzudämmen. Auf die Frage, mit wie vielen Personen sie denn pro Tag rechnen müssten, hätten sie die Antwort erhalten: 1000!
Damit standen Möllmanns vor einer riesigen Aufgabe. „Wir mussten innerhalb eines Monats die komplette Ausrüstung besorgen und die Infrastruktur vorbereiten.“ Das hieß: eine ausreichende Anzahl an Tests bestellen, ebenso Kittel, Masken, Handschuhe, Ducker, Zelte sowie Büro- und Lagercontainer. Letztere mussten zusätzlich hoch versichert werden, weil darin die Tests lagen. Und Handys mussten her, jede Menge Handys. Denn mit ihnen wurden die QR-Codes der Tests abgelesen. Und bei alldem mussten Möllmanns mit mehreren hunderttausend Euro in Vorkasse gehen. Klaus Möllmann: „Wir mussten ja irgendwie liefern.“
Die Nachfrage? Gigantisch. Teilweise reichte die Autoschlange vom Kirmesplatz bis zum Autohaus Tiemeyer an der Heerstraße. Und das, obwohl auf dem Kirmesplatz selbst die Wagen mit den Wartenden schon in Schlangenlinien standen. Möllmann: „Wir sind der Sache gar nicht Herr geworden. Der Andrang war irre. Wir haben uns überschlagen.“ Und da Möllmanns die einzigen waren, deren Teststation 24 Stunden geöffnet war, mussten sie für die einsamen Nachtstunden auch noch einen Sicherheitsdienst buchen.
Die Massentesterei funktionierte selbstverständlich nicht mit dem kleinen Kernteam von Hospitrans. „Wir haben innerhalb eines Monats 80 Mitarbeiter eingestellt“, erzählt Nina Möllmann. Und die seien außergewöhnlich gut bezahlt worden, um überhaupt jemanden zu bekommen. Reibungslos lief das nicht: Eines Nachts hatte sich ein Mitarbeiter einfach aus dem Staub gemacht und das Testzentrum offen stehen lassen. „Dann bin ich nachts um 2 Uhr zum Testzentrum“, erinnert sich Klaus Möllmann. An den Wochenenden haben beide Möllmanns regelmäßig mitgearbeitet – Nina Möllmann war während dieser Zeit schwanger und ist nach Geburt des fünften Kindes mit dem Baby im Tragetuch zum Kirmesplatz, um zu helfen.
Zehn Teststationen und 120 Mitarbeiter in der Hochphase
Die Zahl der Tests und Anlaufpunkte, die Möllmanns betrieben, wuchs: Am Herner Marktplatz stand ein Wagen, an der Kinowelt, an der Tankstelle an der Heerstraße, am EvK an der Wiescherstraße. Auch beim Weihnachtszauber 2021 waren sie mit einem Teststand vertreten. Zusammen mit den Standorten in Essen kommt Klaus Möllmann auf zehn Zentren und 120 Mitarbeitende. „In der Hochphase hat man uns die Bude eingerannt, und wir sind regelrecht gefeiert worden.“
Doch irgendwann begann der Abstieg, Möllmanns können den Zeitpunkt recht genau benennen: Nach der Cranger Kirmes 2022 durften sie nicht mehr zurück auf den Kirmesplatz. Ein Tiefschlag, denn damit sank die Zahl der Tests deutlich. „Und dabei haben uns die Menschen angerufen und gefragt, ob wir wieder auf dem Kirmesplatz stehen“, erzählen sie. Der Kirmesplatz sei für viele Hernerinnen und Herner ein Fixpunkt für Coronatests gewesen. Es klingt Bitterkeit und Enttäuschung durch, wenn sie sagen, dass die Stadt sie habe fallen lassen.
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Im Dezember 2022 war die Zeit des Tests endgültig vorbei, die Zeit des Abwickelns war gekommen. Manche Dinge, wie Handschuhe oder Masken, wurden bei den Krankentransporten aufgebraucht, bis auf ein paar Exemplare für den Eigenbedarf verkauften Möllmanns die übriggebliebenen Tests. Die Drucker wanderten in den Keller - ebenso wie die zahlreichen Mobiltelefone. Und schließlich: „Wir mussten irgendwann ganz viele Kündigungen für die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schreiben.“ Zehn von ihnen finanzierten Möllmanns im Anschluss eine Ausbildung zum Rettungssanitäter. Die bittere Bilanz: „Einer hat die Prüfung bestanden, und keiner ist geblieben. Dabei wollten wir den Menschen, die wir liebgewonnen hatten, eine Zukunft bieten“, so Klaus Möllmann.
Es gab weitere Nackenschläge: Möllmanns erzählen, dass eines Nachts die Krankentransporter aufgebrochen und die Tankkarten gestohlen worden seien. Die Täter hätten in einer Nacht für 10.000 Euro getankt. Möllmann: „Geld kann beruhigen, kann aber auch gefährlich sein, weil es Feinde hervorbringt.“
Überhaupt: Es sei eine falsche Vorstellung, dass sie nach etwa einer halben Million Tests, die sie durchgeführt hätten, im Geld schwimmen und sich die Millionen auf dem Festgeldkonto stapeln. Ja, sie hätten in dieser Zeit gutes Geld verdient. Doch einen großen Teil hätten sie davon wieder investiert, zum Beispiel in die Modernisierung der Fahrzeugflotte. Das habe sich gelohnt - anderes weniger bis gar nicht: So kauften Möllmanns zehn mobile Saunen, um sie zu verleihen. Doch das Geschäft läuft schleppender als erhofft. Auch fünf große Familienwohnwagen haben Möllmanns angeschafft, um mit dem Leihgeschäft verbliebenen Mitarbeitern eine weitere Beschäftigung zu geben. Vor wenigen Tagen wurde einer der Wohnwagen geklaut... Dazu der Tankdiebstahl, Tausende verlorene Euro für Ausbildungen.
Möllmanns streiten mit der Kassenärztlichen Vereinigung um Honorare
Was am schwersten wiegt: Möllmanns erzählen, dass die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe ihnen noch Honorar für Tests schulde. Der Streit drehe sich darum, dass Möllmanns von der Stadt Herne als ärztlich geführtes Testzentrum anerkannt worden sei. Dies stelle die KVWL jedoch infrage. Die ausstehende Summe sei beträchtlich und dafür verantwortlich, dass sie heute hart dafür arbeiten müssten, damit ihre Firma überlebt. „Wir haben in dieser Zeit ja Löhne und Material bezahlt.“
So leiden sie unter einer Art finanziellem Long-Covid. Dennoch: Das Testen sei die richtige Entscheidung gewesen, betonen Möllmanns. Ohne das Testen wäre HospiTrans wohl pleite gegangen, außerdem hätten sie sehr viele Menschen und die Stadt unterstützten können. Da sei es schon etwas enttäuschend, dass es für diese Hilfe keine Wertschätzung gebe und einem noch an mehreren Stellen Steine in den Weg gelegt würden.