Herne. Es war eine nüchterne Polizeimeldung am 3. Januar: Fußgänger nach Unfallflucht schwer verletzt. Nun schildert das Opfer die dramatischen Minuten.
Der frühe Abend des 2. Januar war einer dieser ungemütlichen Tage zu Jahresbeginn. Die Temperaturen bewegen sich im einstelligen Bereich, es regnet immer wieder in Strömen. Till Kaiser, der auf der Bielefelder Straße wohnt, schnappt sich seinen Schirm und verlässt das Haus, um an der Bude kurz Zigaretten und etwas zu Trinken zu kaufen. Doch an der Bude wird er an diesem Abend nie ankommen...
...denn auf dem Weg zur Bude muss er die Kreuzung an der Dorstener Straße überqueren. Als die Fußgängerampeln grün zeigen, geht Kaiser los. Nachdem er die Mittelinsel passiert hat und fast die andere Straßenseite erreicht hat, bemerkt er, wie ein Auto auf ihn zurauscht. „Ich konnte noch einen Schritt rennen und wegspringen, damit der Fahrer mich nicht ganz erwischt, aber er hat dann doch meinen Oberschenkel erwischt. Dann bin ich im Flug mit dem Kopf gegen die Ampel geknallt“, erinnert sich der 34-Jährige an den Unfall. Zu seinem Entsetzen muss er feststellen, dass der Fahrer nicht anhält, um sich um den Verletzten zu kümmern, sondern einfach weiterfährt. Und so kann Kaiser kein Kennzeichen erkennen, auch eine Marke nicht. Später wird er der Polizei zu Protokoll geben, dass es ein SUV gewesen sein muss mit silbernen Zierleisten.
Doch diese Details schossen dem Herner zunächst gar nicht durch den Kopf. Er bemerkte, dass er sich gar nicht regen kann. „Als ich mein Ohr und meinen Hinterkopf auf Blutungen untersucht hatte und nichts gemerkt hatte, wollte ich aufstehen aber das klappte nicht“, erinnert sich Kaiser. Der Grund: Im Krankenhaus werden später ein Schambeinbruch sowie Prellungen an Kopf und Hand diagnostiziert. Und was ist mit inneren Verletzungen? Kaiser hat bereits einen schweren Eingriff hinter sich.
Und so liegt er zunächst im Regen auf dem Bürgersteig. Die Stelle an der Ampel ist gut zu sehen, doch kein Fahrzeug hält an, um der hilflosen Person am Boden zu helfen. Und Kaiser ist sich sicher: „Das müssen viele mitbekommen haben.“ Doch es geschieht nichts, der Regen durchnässt Kaiser nach und nach, ihm wird kalt. Da schießen einem schon Gedanken durch den Kopf.
„Ich habe mich wie ein Stück Müll gefühlt und mich gefragt, ob mein Leben anderen so egal ist. Warum hat der Fahrer nicht angehalten oder zumindest ein Krankenwagen gerufen? Warum hilft mir generell keiner, der an mir vorbei gelaufen ist?“ Nach etwa zehn Minuten schafft es Kaiser doch, aufzustehen, doch Hilfe bleibt nach wie vor aus. Ein Wagen hält an, doch als Kaiser sie bittet, einen Krankenwagen zu rufen, winken die beiden Personen ab und verschwinden. Warum ruft Kaiser nicht selbst Hilfe? „Ich wollte doch nur zur Bude, da habe ich mein Handy nicht mitgenommen.“
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Nach etwa einer halben Stunde, die sich für Kaiser wie eine halbe Ewigkeit anfühlen, kommt ganz zufällig ein Nachbar vorbei. Endlich Hilfe - doch noch nicht ganz. Denn der Nachbar kann unter der 112 niemanden erreichen, also ruft er die Polizei, die auch sehr schnell zur Stelle ist und das Geschehen protokolliert. Schließlich kommt ein Rettungswagen der Johanniter und bringt Till Kaiser ins Marien Hospital Herne. Dort kennt man ihn, er hat dort in der Pflege gearbeitet.
Inzwischen hat er das Krankenhaus wieder verlassen können, ein paar Krücken stützen ihn noch beim Gehen, doch in ein paar Tagen wird er sie wegstellen können. Ende Januar stehen für ihn Prüfungen an der Hochschule für Gesundheit in Bochum an, Kaiser lernt zurzeit. Er glaubt nicht, dass der Unfall Einfluss auf seine Prüfung haben wird. Insofern: „Ich hatte Glück, dass nicht noch mehr passiert ist.“ Doch die Gedanken spuken weiter in seinem Kopf herum. Die vergangenen Jahre waren nicht leicht für Till Kaiser, deshalb hat er sich so etwas wie eine Alles-egal-Haltung zugelegt. Doch die ist nun weg. „Ich hatte das erste mal in meinem Leben Todesangst. Ich muss etwas aus meinem Leben machen. Jeder Tag ist kostbar.“
Von Hinweisen auf den möglichen Unfallverursacher hat Kaiser bislang nichts gehört. Das Verkehrskommissariat ermittelt weiter. Hinweise unter 0234 909-5206.