Herne. Wie können Bürgergeld-Empfänger in Arbeit gebracht werden? Das Herner Jobcenter geht dafür neue Wege: Zwei Mitarbeiter coachen jungen Kunden.

„Wir wollen uns jedes einzelnen Schicksals annehmen.“ Diesen Anspruch hatte Thomas Saponjac formuliert, als er vor rund einem Jahr die Leitung des Herner Jobcenters übernahm. Die Umsetzung begann fast zeitgleich - als eines der ersten Jobcenter in der Region: Seit Anfang 2023 kümmert sich ein zweiköpfiges Team ausschließlich um Kundinnen und Kunden, die jünger als 25 Jahre alt sind - inklusive Hausbesuch. Nun ziehen sie ein erstes Fazit.

Es ist erst ein paar Wochen her, als eine Diskussion um die Risiken und Nebenwirkungen des Bürgergelds kreiste. Der Verdacht: Die Höhe der Zahlungen und die im Vergleich zu den Hartz-IV-Regeln schwächeren Sanktionen führten dazu, dass Bürgergeld-Empfänger vermehrt Termine platzen lassen und Arbeit ablehnen. Gerade das Thema Sanktionen sieht Saponjac zwiespältig. Sie brächten niemanden in Arbeit. Vielmehr solle im Fokus stehen, Menschen zu motivieren.

Gerade die Jugendlichen dürfen wir nicht verlieren“
Olaf Schäfer und Faris Jawad - Jobcenter-Coaches

Die Rolle der Motivations-Trainer für die U25-Generation haben Olaf Schäfer (55) und Faris Jawad (47) übernommen. Das ist in Herne keine kleine Aufgabe. In der Datenbank des Herner Jobcenters sind mehr als 700 Menschen unter 25 Jahren registriert. Schäfer und Jawad - beide sind langjährige und erfahrene Fallmanager - nehmen besonders jene in den Blick, zu denen es seit längerer Zeit keinen Kontakt mehr gibt, weil sie auf Briefe oder Anrufe nicht reagiert haben. „Diese Menschen wollen wieder näher an den Arbeitsmarkt führen“, sagen die beiden im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion. „Gerade die Jugendlichen dürfen wir nicht verlieren“, heißt es.

Thomas Saponjac, Leiter des Herner Jobcenters, ist mit den Erfahrungen der Jobcoaches zufrieden.
Thomas Saponjac, Leiter des Herner Jobcenters, ist mit den Erfahrungen der Jobcoaches zufrieden. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Dafür warten die beiden nicht mehr, bis die fast Verlorengegangenen vielleicht doch irgendwann im Büro an der Koniner Straße auftauchen. Schäfer und Jawad machen sich selbst auf den Weg - zu Hausbesuchen. Die sollen keine argwöhnische Kontrolle sein. Die Besuche würden selbstverständlich angekündigt und fänden in erster Linie als Spaziergang um den Block statt, weil man nicht in die Privatsphäre der Menschen eindringen wolle. Im ersten Schritt gehe es darum, den Kontakt wieder herzustellen, Vertrauen aufzubauen und die Probleme zu ergründen, warum sich jemand aus dem Beratungssystem ausgeklinkt hat. Was Schäfer und Jawad erleben, ist in manchen Fällen weit von der sozialen Hängematte entfernt, vielmehr stießen sie teilweise auf echte menschliche Schicksale.

Kunde meldete sich nicht mehr, weil er seine Großmutter gepflegt hat

Wie im folgenden Fall: Ein Kunde hatte rund eineinhalb Jahre nichts mehr von sich hören, geschweige denn sich sehen lassen. Als Schäfer und Jawad bei seiner Adresse klingelten, habe er sie im Hausflur empfangen. Der Grund: Er habe seine Großmutter gepflegt. Es habe keine anderen Angehörigen gegeben, und er habe seine Großmutter selbst pflegen wollen. So sei es in diesem Fall zunächst darum gegangen, die Situation zu stabilisieren und den jungen Mann rund um die Pflege zu beraten, denn die Pflege von Angehörigen ist auch in der Bürgergeld-Gesetzgebung geregelt. „Wir unterstützen die Menschen dort, wo es möglich ist“, betonen beide. Bei der Frage nach einer Perspektive für den Arbeitsmarkt könnte die Pflege der Großmutter in Zukunft eine berufliche Perspektive eröffnen. Arbeitskräfte im Pflegebereich sind begehrt.

In einem anderen Fall zahlte sich die Hartnäckigkeit der beiden Fallmanager aus - und führte sogar zum Einstieg ins Berufsleben. Ein Klient hatte nicht mehr auf Anfragen reagiert, sodass die Coaches ebenfalls einen Hausbesuch machen wollten. Doch der Briefkasten sei überfüllt gewesen, ansonsten keine Spur. Später habe sich herausgestellt, dass der junge Mann sich hauptsächlich bei seiner Mutter aufgehalten habe. Eine Vorstellung von seiner beruflichen Zukunft habe er nicht gehabt. Ein Praktikum habe schließlich die Richtung gewiesen. Der junge Mann arbeitet mittlerweile bei einer Entsorgungsfirma.

Das Öffnen der Post kann schon eine zu hohe Hürde sein

„Manchmal reicht es schon, wenn man einfach nur ins Gespräch kommt“, schildern die Coaches ihre Erfahrungen. Doch sie haben auch andere gemacht: Viele Menschen scheuten sich, Behörden wie das Jobcenter anzurufen, weil sie es nicht gelernt hätten. Vielfach gebe es auch psychologische Auffälligkeiten. Für manche sei es schon fast eine zu hohe Hürde, die Post zu öffnen. Auch deshalb haben Schäfer und Jawad ihren Brief, mit dem sie den Hausbesuch ankündigen, in einer leichten Sprache verfasst.

Noch befindet sich diese Art der Betreuung in der Testphase, doch die erste Bewertung von Saponjac, Schäfer und Jawad ist positiv. Sie hätten mehr als die Hälfte der kontaktierten Kundinnen und Kunden angetroffen, eine vorsätzliche Verweigerung sei die Ausnahme. Gerade wenn die jungen Menschen noch bei ihren Eltern wohnten, gebe es eine große Offenheit gegenüber den Jobcenter-Beratern. Als Erfolg könne auch schon bewertet werden, wenn man mit den Menschen wieder ins Gespräch kommt. Saponjac verweist auf seinen Anspruch, sich jedes Schicksals anzunehmen. Der werde mit dieser Art der Betreuung erfüllt. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen wird der neue Beratungsansatz auch auf jene Kunden erweitert, die älter als 25 Jahre sind.

Ganzheitliche Betreuung seit Juli 2023 gesetzlich verankert

Seit Juli 2023 ist die ganzheitliche Betreuung junger Menschen - auch mit einem aufsuchenden Ansatz - Teil der Gesetzgebung. „Ziel der ganzheitlichen Betreuung ist der Aufbau und in der Folge die Stabilisierung der Beschäftigungsfähigkeit von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten. Zur Entwicklung der Ausbildungsfähigkeit junger Menschen richtet sich die ganzheitliche Betreuung auch auf die Heranführung an eine oder die Begleitung während einer Ausbildung“, heißt es im Gesetz. Die Teilnahme an der ganzheitlichen Betreuung sei freiwillig.