Herne. In einer Ausstellung präsentiert ein Herner die „hässlichsten Trinkhallen des Ruhrgebiets“. Welche Büdchen er aus seiner Stadt auswählte.

Das Paradies? Nur wenige Treppenstufen entfernt: Als Kind wuchs Peter Hesse in einem Dortmunder Sechsfamilienhaus mit Büdchen im Erdgeschoss auf. Knapp 50 Jahre später kommt der Neu-Herner mit seiner Foto-Ausstellung „Die hässlichsten Trinkhallen des Ruhrgebiets“ groß raus. Diesen zweifelhaften Titel verlieh er zahlreichen Büdchen, darunter auch einigen aus Herne und Wanne-Eickel.

Die den ganz speziellen Trinkhallen-Charme vermittelnden Bilder sind seit Anfang Dezember im Kulturort „Wuckenhof“ in Schwerte zu sehen. Was sich vor der Eröffnung dieser Foto-Schau abspielte, lässt Hesse auch heute noch staunen: In Berichten, Interviews, Live-Schalten und Fotostrecken griffen diverse Medien „Die hässlichsten Trinkhallen des Ruhrgebiets“ auf – vom WDR über WAZ, tagesschau.de, Münchner Merkur bis hin zu RTL, um nur einige zu nennen.

Peter Hesse (54) hat „Die hässlichsten Trinkhallen des Ruhrgebiets“ fotografiert.
Peter Hesse (54) hat „Die hässlichsten Trinkhallen des Ruhrgebiets“ fotografiert. © Daniel Sadrowski

Am Anfang war nicht die Kindheitserinnerung, sondern eine fixe Idee. Peter Hesse begann 2019 täglich ein neues Trinkhallen-Foto auf seinem Instagram-Account zu posten. In der Corona-Zeit hatte der freiberufliche Journalist, Autor und Filmemacher dann die Muße, sich im Ruhrgebiet ausführlicher dieser Leidenschaft zu widmen.

Museumsreif wurde das Ganze durch seine langjährige Bekanntschaft mit „Wuckenhof“-Leiterin Andrea Reinecke. Diese war Ende 2022 zu Gast in der 80er-Jahre-Ausstellung „Immer wieder aufstehn“ im Heimatmuseum Unser Fritz, die Hesse zusammen mit Ralf Piorr kuratiert hatte. „Sie fand die Ausstellung sensationell geil und überlegte damals, sie nach Schwerte zu holen.“ Daraus wurde zwar nichts, aber mit den „hässlichsten Trinkhallen“ als Ergänzung einer Literaturveranstaltung klappte es dann gut ein Jahr später doch noch.

Mit Ralf Piorr (rechts) fing Peter Hesse Ende 2022 den Zeitgeist der 80er-Jahre mit der Ausstellung „Immer wieder aufstehn“ im Herner Heimatmuseum ein.
Mit Ralf Piorr (rechts) fing Peter Hesse Ende 2022 den Zeitgeist der 80er-Jahre mit der Ausstellung „Immer wieder aufstehn“ im Herner Heimatmuseum ein. © FUNKE Foto Services | Dietmar Wäsche

Nach vielen Jahren in Bochum hat Peter Hesse seit 2019 in Herne nicht nur Foto-Motive, sondern auch eine Heimat gefunden. Bei der Suche nach einer Eigentumswohnung ist er dank des Tipps eines Bekannten auf eine Dachgeschosswohnung in Herne-Mitte gestoßen. Bochum-Ehrenfeld sei zwar sein Wunschort gewesen, gesteht er, doch die dortigen Immobilienpreise seien für ihn nicht erschwinglich. In Herne reichte das Budget dagegen sogar noch für die zusätzliche Anmietung eines Schrebergartens in der Horsthauser Anlage „Im Stichkanal“.

Die „Underdog-Stadt“ Herne gefällt ihm

„Herne ist eine Underdog-Stadt, das gefällt mir“, sagt er über seinen neuen Lebensmittelpunkt. Und es gebe hier anders als in Bochum-Ehrenfeld keine „Bionade-Architekten, die über die Straße gehen und denken, sie schreiten durchs Düsseldorf des Ruhrgebiets“.

Seine bisherigen Erinnerungen an Herne vor seinem Umzug kann der 54-Jährige an einer Hand abzählen. 1993 führte er mal in Herne fürs Dortmunder Stadtmagazin „Kaleidoskop“ ein Interview mit der britischen Punkband „Leatherface“, konkret: im damaligen Hauptquartier des legendären Labels und Vertriebs „Rough Trade“ an der Eickeler Straße 25. Heute ist dort übrigens ein Edeka-Markt. Und Ende der 90er-Jahre spielte er als Schlagzeuger der Psychobilly-Band „Raymen“ in einem Cranger Tonstudio das Album „Hollywoodhell“ ein. „Das war zur Zeit der Kirmes. In der Mittagspause standen wir immer an der Fischbude“, erinnert er sich.

Ausstellung ist 2024 am „Tag der Trinkhallen“ in Herne zu sehen

Zurück an den Kiosk: Das mit den „hässlichsten Trinkhallen“ sei natürlich nicht bierernst gemeint, betont Hesse. „Es geht nicht darum, sich darüber lustig zu machen.“ Schließlich sei die Büdchen-Kultur ein fester Bestandteil der Ruhrgebietsnostalgie und -identität. Mit allzu romantischen Betrachtungen, so wie sie ihm in einigen Gesprächen mit Medien entgegenschlugen, kann er allerdings wenig anfangen. Einige stellten sich Kioskbetreiber noch immer als „eine Mischung aus Tana Schanzara und Jürgen von Manger vor“, sagt er.

Neben Trinkhallen aus Bochum, Gelsenkirchen und Dortmund haben insgesamt sechs Kioske aus Herne und Wanne-Eickel Aufnahme in Hesses augenzwinkernde „Hall of shame“ gefunden. Im Einzelnen sind das diese Standorte: Corneliusstraße in Wanne-Eickel, Germanenstraße in Baukau, Kronenstraße in Sodingen und Dorstener Straße in Crange (diese vier Buden sind im Foto oben von oben links im Uhrzeigersinn zu sehen) sowie Jean-Vogel-Straße in Herne-Mitte und Altenhöfener Straße in Altenhöfen.

Auch ein Foto des Kiosks an der Altenhöfener Straße landete in der Ausstellung.
Auch ein Foto des Kiosks an der Altenhöfener Straße landete in der Ausstellung. © Peter Hesse

Im August sind die Fotos dieser sowie aller anderen „hässlichsten Trinkhallen des Ruhrgebiets“ auch in Herne zu bestaunen. Am „Tag der Trinkhallen“ am Samstag, 17. August, ist die Ausstellung im Hof des Heimatmuseums an der Unser-Fritz-Straße 108, zu sehen.

Brauner Bär und Lord Extra

  • Langnese-Eis im Allgemeinen und Brauner Bär im Besonderen - das waren einst die Favoriten des kleinen Peter Hesse in der Trinkhalle vor seiner Haustür in Dortmund. Der Klassiker „gemischte Tüte“ zählte nicht dazu: „Ich war und bin nicht so der Süßigkeitenfuchs.“
  • Im Auftrag seines Vaters habe er damals Zigaretten der Marke Lord Extra gekauft, die er trotz seines Alters auch erhalten habe: „Heute würde deswegen der Polizeihubschrauber kommen ...“. Weil er das Design von Lord Extra („sah aus wie eine Frauenzigarette“) so gar nicht gemocht habe, habe er einmal zum Ärger seines Vaters Roth-Händle gekauft - wegen der „coolen Packung“.
  • Von den Betreibern des Büdchens seiner Kindheit hat Peter Hesse heute noch ein recht genaues Bild: „Das waren zwei Ehepaare, die eine gewisse Ähnlichkeit mit den Mitgliedern von ABBA hatten.“