Essen. Vor 100 Jahren wurde der Kabarettist und Komiker Jürgen von Manger geboren. Sein „Tegtmeier“ darf als Ahnherr vieler Ruhr-Komiker gelten.

Manchmal muss man von weit weg stammen, um näher dran zu sein. Da war am 6. März 1923 wenig an der Wiege gesungen für diese Pott-Karriere, mehr Distanz konnte man sich kaum denken, es lag ja nicht nur am Geburtsort Ehrenbreitstein. Da war kein Stäubchen Malocherschmiere an der Windel: der Vater Staatsanwalt, die Mutter von Adel – und so einer wagt es, den urigen Typen von Baukau bis Wattenscheid die Ruhr-Worte aus dem Mund zu nehmen.

Jürgen von Manger kam (er war neun, als die Eltern nach Hagen zogen), lauschte. Und schuf: Adolf Tegtmeier. Kein Bürgermeister, kein Ruhrbischof hat diesen frei erfundenen Kleinbürger als Revierbotschafter national je an Popularität übertroffen. Noch Jahrzehnte nach Tegt­meiers Geburt standen der Erfolg von Herbert Knebel, von Elke Heidenreichs Else Stratmann und Dr. Stratmanns „Jupp“ auf den breiten Schultern eines Typen, der in seinen besten Zeiten nur ein schiefmäuliges „Also ääährlich!“ ins Publikum schießen musste, um den Saal quietschen zu lassen. Der Erfolg begann als Gelegenheitsgeschöpf: Von Manger machte Schulfunk beim WDR, sponn in der Kantine aus Jux Revier-Monologe aus, jemand schnitt mit… Und doch war die Komik des Jürgen von Manger – Jura-Studium, wenn auch ohne Examen, Theaterschauspieler in Hagen, Gelsenkirchen und unter Hans Schalla in Bochum – listig ausgeklügelt.

Mehr als Taubenvatter-Einerlei

Denn es waren diese Stegreif-Geschichten aus dem Kohlenpott mitnichten bloß das tägliche Taubenvatter-Einerlei zwischen Flöz und Frühschoppen. Tegtmeier verhandelte furchtlos alles, vom Olympia -Boykott bis zur Handgranate in der Bundeswehrausbildung. Goethe kannte er auch: Von Beginn an ließ von Manger in seinem Tegtmeier auch den Bildungsbürger hausen. Und der schlichte Tegtmeier machte sich seinen Reim auf die Einflüsterungen der gebildeten Stände, denen sein geistiger Vater entstammte. Sicher war auch das ein Grund, warum die Kunstfigur außerhalb des Arbeitermilieus zunächst besser einschlug. Ganze Verbände beschwerten sich anfangs, wie plump der einfache Mensch von der Ruhr durch von Mangers Tegtmeier durch die Republik gereicht wurde. Immerhin: Dieser Typ ging „im Theater“, auch wenn Beckett (wo „se alle ausm Mülleimer rauskucken“) diesem Tegtmeier weniger lag als Wagners „Lohengrin“, wo „se mit ihre Trompeten zugange“ sind. Falsch aber war die Unterstellung, von Manger trampele auf dem einfachen Mann herum. Mit Karikaturen der Vereinsmeier und Personalräte ergriffen er viel eher Partei für die, die unter ihnen litten.

Die erste Qualität seiner Schöpfung aber war wohl die liebenswert-ungelenke Umständlichkeit, mit der Tegtmeier aus dem Leben erzählte, ob er den Benimmkurs für „fortgeschrittene Ehepaare“ buchte oder (in der vielleicht schwärzesten seiner Szenen) sich als „Schwiegermuttermörder“ um Kopf und Kragen redete, um sich am Ende doch „den Ausreden meines Verteidigers“ anzuschließen.

Warmherzige Botschaft

Ein schwerer Schlaganfall traf Jürgen von Manger im 62. Lebensjahr, er bedeutete den Rückzug von der Bühne. Neun Jahre später starb Tegt­meiers geistiger Vater. In seiner Wahlheimat Herne wird bis heute zu seinen Ehren der Preis „Tegtmeiers Erben“ verliehen. Apropos Erbe: Heute hätte es der Witz Jürgen von Mangers wohl nicht leicht. Dabei täte es dem oft seelenlosen Comedy-Gedröhn gut, kurz still zu werden, um Tegtmeiers schönste, weil warmherzigste Botschaft zu hören: „Bleibense Mensch!“

Büchskes zum 100. Geburtstach

Wer den Klassiker heiterer Ruhrgebietsliteratur nicht besitzt: Die Sammlung „Bleibense Mensch“ gehört mit ihrer Bandbreite vom „Schwiegermuttermörder“ bis zu „Maria Schtuart“ in jede Revier-Bibliothek. Tegtmeier-Raritäten finden sich in „Der Abschied und andere Stückskes aus dem Nachlass“. Joachim Wittkowski hat dafür Unveröffentlichtes aus dem Mainzer Kabarettarchiv geborgen. Beide Bücher (je 9,90 €) sind im Bottroper Verlag Henselowsky Boschmann erschienen.