Herne. Zwei Millionen Euro hat Herne aus dem NRW-Stärkungspakt für Bedürftige und soziale Zwecke erhalten. Warum nicht alles ausgegeben werden konnte.
Zwei Millionen Euro hat Herne im Frühjahr aus dem „Stärkungspakt NRW - gemeinsam gegen Armut“ erhalten. Vorrangiges Ziel dieses 150-Millionen-Sonderprogramms des Landes war es, in den Kommunen soziale Folgen der Energiekrise und der Inflation für besonders Bedürftige abzufedern sowie Unternehmen der sozialen Infrastruktur zu unterstützen. Komplett gelungen ist das in Herne nicht.
Rund 220.000 Euro dieser zwei Millionen Euro muss die Stadt nun ans Land zurückzahlen, weil sie dafür keine den Richtlinien entsprechende Verwendung gefunden hat. Und: Das Programm laufe Ende 2023 aus, eine Übertragung in das kommende Jahr sei nicht möglich, erklärt Stadtsprecher Patrick Mammen auf Anfrage. Die noch im August im Herner Sozialausschuss von Dezernentin Stephanie Jordan geäußerte Hoffnung auf eine Fristverlängerung durchs Land erfüllte sich demnach nicht.
Vorwurf aus Herne: Bürokratische Hürden sind zu hoch
Bereits vor Freigabe der Fördermittel hatte es aus Kommunen, von Wohlfahrtsverbänden und der Landtagsopposition Kritik gegeben. Zentraler Vorwurf: Die bürokratischen Hürden und der Aufwand seien für die Städte viel zu hoch. Patrick Steinbach teilt die Kritik. „Das Land hätte deshalb prüfen müssen, wie man noch Geld aus diesem Programm ins kommende Jahr retten kann“, sagt der Vorsitzende des Sozialausschusses und SPD-Stadtverordnete. In Herne wäre die Umsetzung ohne das große Engagement des Vereins „Herne hilft“ sogar noch wesentlich problematischer gewesen (siehe unten). „Das Land hat sich hier einen schlanken Fuß gemacht“, so der Sozialdemokrat über die schwarz-grüne Landesregierung.
In ihrer Stellungnahme gegenüber der WAZ hält sich die Stadt in Sachen Kritik am Land zurück. Stadtsprecher Mammen betont allerdings, dass der größere Teil der Anträge von Trägern der sozialen Infrastruktur erst deutlich nach dem 30. Juni gestellt worden sei. Und das sei „in hohem Maße“ auch erst durch die Präzisierung und Erweiterung der Richtlinien durchs Land möglich gewesen. Einige Anträge der Träger hätten dann aufgrund fehlender Förderfähigkeit abgelehnt bzw. zurückgezogen werden müssen. Laut Mitteilung des Landes hätten auch andere Städte ihre Mittel nicht in vollem Umfang verwenden können.
Der Stadt sei wegen der Rückzahlung ans Land kein Vorwurf zu machen, erklärt die Grünen-Stadtverordnete Dorothea Schulte. Auch der von ihr geführte Verein „Nachbarn“ hat Mittel aus dem Sondertopf erhalten. Das Herner Verfahren sei sehr unkompliziert gewesen. Ihr Verein habe das Geld unter anderem für Energiekosten und Lebensmittelgutscheine verwendet. Außerdem seien in der Tagesstätte für psychisch kranke Menschen Preise für Mittagsverpflegung bis Anfang 2024 gesenkt worden. „Das sind für uns sehr sinnvolle Maßnahmen. Nachhaltig sind sie aber nicht“, so Schulte. Das „Ad-hoc-Programm“ des Landes habe in Krisensituation geholfen, aber nichts verstetigt. Ihr wäre es lieber gewesen, wenn es bei den Ausgaben Einschränkungen gegeben hätte, die Mittel aber stattdessen auf mehrere Jahre verteilt worden wären.
Und wohin sind die knapp 1,8 Millionen Euro aus dem NRW-Stärkungspakt in Herne geflossen? Rund 481.000 Euro habe man als Förderleistungen an Träger der sozialen Infrastruktur – wie zum Beispiel Nachbarn e.V. – ausgezahlt, so die Stadt. Knapp 416.000 Euro wurden ortsansässigen Schulen als Beihilfen für die Reparatur und Anschaffung von Fahrrädern, Schulgrundausstattung und Ersatzbeschaffung überwiesen. Einen Teil dieser Summe erhielten Eltern für die Mittagsverpflegung in den Schulen sowie für die Finanzierung von sozialer Teilhabe. Voraussetzung war allerdings, dass die Betroffene nicht berechtigt waren, Sozialleistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) zu beziehen. Mit weiteren 280.000 Euro wurde die Obdachlosenhilfe gefördert.
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Tatkräftige Unterstützung gab es für die Stadt insbesondere durch den Verein „Herne hilft“, an den insgesamt 500.000 Euro für klassische Einzelfallhilfen überwiesen wurden. Geplant waren zunächst „nur“ 200.000 Euro. Nach Addition der Ausgaben in allen Bereichen sind nach Angaben der Stadt in Herne 1,3 Millionen Euro aus dem Stärkungspakt in Einzelfallhilfen geflossen. Dazu zählten unter anderem Gutscheine für Lebensmittel und Verbrauchsgüter des täglichen Bedarfs, Unterstützungsleistungen bei Energiesperren oder Mietrückständen sowie Beihilfen zur Kindergrundausstattung (unter anderem für Sportartikel) oder zur Mittagsverpflegung.
>>> Erich Leichner gab Rentnerdasein für „Herne hilft“ auf
Knapp 300 Einzelfallhilfen seien von ihnen bislang bewilligt worden, sagt Erich Leichner, Vorsitzender des Vereins „Herne hilft“. Möglich wurde dies vor allem durch den persönlichen Einsatz des früheren Bürgermeisters und SPD-Stadtverordneten. „Ich habe mich entschieden, mein Rentnerdasein aufzugeben und mich dieser Aufgabe zu widmen“, sagt er. Fünf bis sieben Stunden sei er unter der Woche ehrenamtlich im Einsatz – pro Tag. Von 10 bis 12 Uhr nehme er Anrufe entgegen, ab 14 Uhr bearbeite er mit Bedürftigen Anträge. „Ich führe mit jedem ein persönliches Gespräch. Da kommt der Sozialarbeiter wieder durch“, sagt der 72-Jährige, der bis Renteneintritt bei der evangelischen Kirche beschäftigt war.
In rund 200 bewilligten Anträgen ging es um die Vermeidung bzw. Aufhebung von Strom- oder Energiesperren. „Die Stadtwerke Herne sind hier sehr kooperativ“, lobt Leichner. In 65 Fällen galt es, eine Obdachlosigkeit zu verhindern. Weitere 40 Fälle drehten sich um hohe Nebenkostenabrechnungen und notwendige Anschaffungen in Form von weißer Ware (Waschmaschinen etc.).
Auffällig sei, so Leichner, dass nur etwa ein Drittel aller Antragsteller staatliche Leistungen bezögen. Und darunter seien auch noch zahlreiche Aufstocker zu finden. Sprich: Menschen, die von ihrer Arbeit allein nicht leben können und zusätzlich Bürgergeld beantragen müssen. Diese Zahl zeige, sagt Leichner, wie stark Arbeitnehmer mit niedrigem Einkommen von den Folgen der Energiekrise und Inflation betroffen seien.