Herne. Vergesst Fleisch! Das fordert der Herner Wissenschaftsjournalist Christian Weymar. Seine Überzeugung: Fleischalternativen sind alternativlos.
Diese Aufforderung dürfte für manche Menschen einer Provokation gleichkommen: „Vergesst Fleisch!“ fordert der Herner Wissenschaftsjournalist Christian Weymayr in seinem neuen gleichnamigen Buch. Darin erläutert er, „wie wir klug die Welt ernähren“.
Erstaunlich: Da diskutieren Politik und Interessenverbände teilweise hitzig, mit welchen Maßnahmen das Klima besser geschützt werden kann: Tempolimit, Elektromobilität oder der industrielle Einsatz von Wasserstoff. Doch ein Aspekt ist in der öffentlichen Debatte bislang weitgehend unbeachtet geblieben: Ernährung. Weymayr wirft mit seinem Büchlein - die 127 sehr aufschlussreichen Seiten sind an einem Nachmittag gelesen - einen intensiven Blick auf dieses Thema.
Für ihn habe es zwei Impulse gegeben, sich diesem Thema zu widmen. So habe er für das Wirtschaftsmagazin „Brand Eins“ bereits über Fleisch aus dem Labor geschrieben, „außerdem gehöre ich als Flexitarier zu 100 Prozent zur Zielgruppe“, so Weymayr im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion.
Autor bezeichnet sich selbst als Flexitarier
Als Wissenschaftsjournalist arbeitet der promovierte Biologe streng faktenbasiert, doch Leserinnen und Leser müssen sich nicht durch endlose Daten und Statistiken quälen. Vielmehr nimmt der Autor seine Leserschaft mit auf eine kleine „Heldenreise“ und lässt die wissenschaftlichen Erkenntnisse quasi nebenbei einfließen. Bei diesem Helden handelt es sich um Godo Röben. Diesen Namen werden die wenigsten kennen, doch sein Einfluss auf eine klimaschonendere Ernährung ist erheblich. Er war Geschäftsführer für Forschung und Entwicklung sowie Marketing bei der Rügenwalder Mühle und stieß 2013 gemeinsam mit seinem Chef Christian Rauffus den radikalen Wandel des Wurstproduzenten an. Längst ist Rügenwalder einer der großen Anbieter von Fleisch-Alternativen wie veganer Mortadella, Schnitzel oder Hackfleisch. Weymayr zeichnet diese Entwicklung nach.
Fleischalternativen sind für Weymayr in Zukunft sprichwörtlich alternativlos, sein Fazit nach dem Blick über den Tellerrand hinaus fasst er so zusammen: „Der derzeitige Fleischkonsum kann so nicht weitergehen.“ Der sei schon jetzt gigantisch und werde weiter steigen, etwa in mittelamerikanischen und asiatischen Staaten. Für ein Kilogramm Rindfleisch entstünden 100 Kilogramm Kohlendioxid, und dafür müssten mehr als 130 Kilogramm pflanzliche Nahrung und 260 Liter Wasser verbraucht werden. Dass Massentierhaltung Leid verursacht, sei hier nur am Rande erwähnt. Zu Weymayrs vielen Quellen zählt auch das Good Food Institute. Das kommt zu dem Schluss: „Regierungen können die Pariser Klimaziele nicht erreichen, ohne nachhaltigere Ernährungssysteme aufzubauen.“ Und der Trendbericht „Fleisch der Zukunft“ des Umweltbundesamtes stellt fest, dass die weltweite Tierhaltung für mehr als 15 Prozent der vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen verantwortlich ist.
Also den Verzehr von Fleisch verbieten? Genau das will Weymayr nicht, er selbst wisse ja, dass ihm das Wasser im Mund zusammenlaufe, wenn er an einem Grill vorbeilaufe. Der Ausruf „Vergesst Fleisch“ kann auch so gedeutet werden: Die Alternativen müssen so gut und attraktiv sein, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher vergessen, dass sie zum Beispiel einen pflanzenbasierten Burger essen und keinen aus Rindfleisch. Weymayr: „Den Abschied leichter zu machen, ist die einzige Möglichkeit, große Teile der Bevölkerung zu gewinnen.“
Fleischkonsum sinkt, die Branche mit Alternativen boomt
Es bewegt sich tatsächlich etwas: 2018 aß jede Person in Deutschland im Schnitt 61 Kilogramm tierisches Fleisch, 2022 waren es noch 52 Kilogramm. Auf der anderen Seite boomt die Branche der alternativen Fleisch- und Milchprodukte. 2022 setzte sie in Europa 5,7 Milliarden Euro um - eine Steigerung von 22 Prozent in zwei Jahren. Ein Hemmnis für ähnliche Steigerungen in der Zukunft könnte der Preis sein. Der liegt bei Alternativ-Produkten häufig noch höher als bei Fleisch. Weymayr hofft in dieser Hinsicht auf Anstöße der Politik.
Der Boom der Branche spiegelt sich auch in der Vielzahl der neu gegründeten Unternehmen wider, von denen der Autor einige mit ihren unterschiedlichen Herstellungsansätzen vorstellt.
Dass es noch ein weiter Weg ist, bis sich Fleisch-Alternativen durchgesetzt haben, hat Christian Weymayr in Herne selbst festgestellt. Er entdeckte ein neu eröffnetes Restaurant, das auch mit dem Vegan-Logo wirbt. Doch als einziges tierfreies Hauptgericht hatte es einen Falafel-Teller im Angebot. Ansonsten sei die Speisekarte eine „Fleischorgie“.
>>> ZUR PERSON
Christian Weymayr ist freier Wissenschafts- und Medizinjournalist und Autor verschiedener Bücher, unter anderem zu den Themen Krebsvorsorge und Homöopathie.
In Herne ist er zudem als Autor und Regisseur des Kleinen Theaters Herne bekannt.