Herne. Hernes OB im Interview: Frank Dudda über die Cranger Kirmes, die neue Hochschule, die Ampel, Sängerin Michelle und Maßnahmen gegen wilden Müll.
Die WAZ traf sich zum Start der Cranger Kirmes auf dem Rummel mit Hernes Oberbürgermeister Frank Dudda (SPD) zum Sommerinterview. Der 60-Jährige über die Kirmes, die Stadtentwicklung und die Arbeit von Bundes- und Landesregierung.
Das Warten hat ein Ende. Die Cranger Kirmes startet. Worauf freuen Sie sich am meisten?
Auf die Begegnungen mit den vielen Menschen, die ich nicht so häufig sehe. Vor allem auch auf die, die aus Nachbar- oder Partnerstädten zu uns kommen. Da entsteht immer ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl.
Die beste Nachricht dieses Sommers dürfte das Ja zur Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung sei, die nach Herne kommt, auf dem Funkenbergquartier am Herner Bahnhof gebaut wird und spätestens zum Wintersemester 2027 öffnen soll. Sie sprachen von einem „großen Schub“ für diese Stadt. Warum?
Investiert wird im dreistelligen Millionenbereich. Im Ruhrgebiet gibt es in der nächsten Zeit keine vergleichbare Investition in dieser Größenordnung. Wenn man dem Münchener Architekturbüro Glauben schenkt, dann wird im künftigen Funkenbergquartier eine Hochschule im Goldstandard gebaut. Darin lernen dann 5000 Studierende, hinzu kommen 200 Mitarbeitende. Sie müssen verpflegt werden, irgendwo wohnen. Die Hochschule braucht Personal – von IT-Fachleuten bis hin zu Reinigungskräften. All das bedeutet zusätzliche Investitionen, neue Jobs, auch Gebäude. Hinzu kommt das Renommee, das eine Hochschulstadt hat. Wir sprechen hier immerhin von der größten Hochschule ihrer Art in Europa. Und nicht zuletzt bedeutet Wissenschaft neue Veranstaltungen, etwa Kongresse. Dafür brauchen wir auch ein bis zwei weitere Hotels. Ende August wollen wir die alten Mauern einreißen, die das Funkenbergquartier noch den Blicken der Öffentlichkeit entziehen. Dann erst wird die ganze Dimension des Areals sichtbar, das sich dahinter befindet.
Es gibt aber auch Kritik an dem Vorhaben. Eine Befürchtung ist, dass die Verkehrsbelastung rund um den Herner Bahnhof inklusive Westring viel zu groß wird. Ein Expertenbüro schlug einen Autotunnel unter dem Bahnhof vor, den haben Sie abgelehnt. Wie will die Stadt ein Verkehrschaos abwenden?
Das ist eine Herausforderung. Ich möchte den Modal Split, also die Verteilung der Verkehrsträger, in Herne verändern. Das heißt, dass der Anteil des motorisierten Pkw-Verkehrs in dem Quartier reduziert werden soll. Das macht auch klimapolitisch Sinn. Darüber möchte ich mit der Politik ins Gespräch kommen. Das Funkenbergquartier liegt in Bahnhofsnähe, und der Bahnhof ist ein Knotenpunkt des öffentlichen Nahverkehrs. Das wollen wir nutzen. Außerdem wollen wir die Innenstadt besser anbinden. Im Auge haben wir zwei sehr interessante Wegeverbindungen, so dass Menschen auch sehr schnell etwa mit dem Rad in die Innenstadt kommen.
Was sind das für Verbindungen?
Mir schwebt vor, dass wir die Brücke über die Fabrikstraße, die im Moment geschlossen ist, schnellstmöglich wieder öffnen. Interessant wäre auch eine Verbindung hinüber zur Dammstraße.
Apropos Verkehr. Sie sagten zuletzt, dass die geplante Seilbahn zwischen Wanne-Mitte und dem Blumenthal-Gelände, das zu einer Technologiewelt ausgebaut werden soll, aus städtischer Sicht kaum noch aufzuhalten sei. 2028 könnten die ersten Gondeln schweben. Kritiker sprechen von einer spinnerten Idee von Ihnen. Was entgegnen Sie ihnen: Warum braucht Herne so eine Seilbahn?
Die Kritiker müssen verstehen, dass sich die Mobilität der Zukunft ganz anders darstellt als heute. Es geht nicht mehr darum, Autos zu stapeln und in die Innenstädte zu bringen. Sondern es geht darum, sich möglichst klimaschonend fortzubewegen. Und: Die Seilbahn ist das klimafreundlichste Verkehrsmittel der Welt. Sie ist zudem die einzige in Deutschland, die in den öffentlichen Nahverkehr integriert wird und bis aufs Blumenthal-Gelände führt, auf dem mehreren tausende Beschäftigte arbeiten werden. Sie wird also mit hoher Wahrscheinlichkeit die Seilbahn sein, die die erste ihrer Art in Deutschland ist. Außerdem vergessen die Kritiker, dass man Wanne bislang schwer entwickeln kann, weil es tatsächlich in seinen sozioökonomischen Daten noch Nachholbedarf hat. Dieses Verkehrsmittel lenkt aber schon jetzt das Interesse großer Industrieunternehmen auf Wanne, die bisher gar nicht gewusst haben, wo auf der Investitionskarte diese Wanner Innenstadt überhaupt liegt.
Wie geht es mit der Planung der Seilbahn nun weiter?
Die erforderlichen Gutachten liegen in Kürze vor. Ab September gehe ich auf die Politik zu, damit in der Ratssitzung Ende Oktober hoffentlich der Beschluss gefasst wird, dass wir tatsächlich mit dem Bundesverkehrsminister und dem Landesverkehrsminister ganz konkret über die Finanzierung verhandeln sollen. Diese Verhandlungen werden dann schließlich über den Projekterfolg entscheiden.
Die schlechteste Nachricht des Sommers dürfte das Aus für die Sinterwerke Ende 2024 sein. Ein weiteres Traditionsunternehmen macht dicht, 140 Menschen verlieren ihre Jobs. Warum war das Werk nicht zu retten?
Mir tun vor allem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leid, weil sie sich wirklich in hohem Maße engagiert haben. Die Frage nach dem Warum muss der Eigentümer beantworten. Fest steht: Umso weiter die Konzernstrukturen räumlich entfernt sind, desto schwieriger tut man sich in der Analyse. Hier haben wir einen japanischen Besitzer. Er behauptet, in der Transformation der Autoindustrie sei dieses Werk nicht mehr zu halten. Ob das wirklich so ist, kann ich abschließend nicht beurteilen. Wir setzen jetzt alles daran, dass wir mit den Beschäftigten im Rahmen der Sozialpartnerschaft zumindest einen vernünftigen Übergang hinbekommen.
Corona liegt offenbar hinter uns. Die Folgen aber werden uns noch lange begleiten. Zuletzt klagten Sie, dass wilde Müllkippen, Vandalismus und Respektlosigkeit zugenommen hätten. Es müsse „an vielen Stellen nachjustiert“ und „einiges glatt gezogen“ werden. Wie wollen Sie das machen?
Wir haben in den Sommerferien ein umfangreiches Maßnahmenpaket erarbeitet, dass ich am 5. September im Rat ansprechen werde. Im Kern geht es um eine neue Kampagne, die die Menschen für diese Themen sensibilisieren soll. Aber es soll auch Veränderungen geben, sowohl was die Höhe von Bußgeldern als auch Struktur von Containerstandorten angeht.
Bußgelder für das wilde Verklappen von Müll dürften dabei vermutlich nicht sinken.
Nein. Das einzige, was manche Menschen abschreckt, sind leider höhere Bußgelder.
Der Ukraine-Krieg ist etwas in den Hintergrund gerückt. Wie sehr wirft der Krieg Herne zurück?
Nach wie vor befinden wir uns in Deutschland in einer ganz schwierigen Situation. Inflation und Energiepreise sind hoch, die wirtschaftliche Entwicklung stockt. Und in dieser Lage fällt es Städten wie Herne besonders schwer, in großem Umfang Menschen aufzunehmen und adäquat zu betreuen. Wir werden, das muss man wirklich sagen, hier von Land und Bund bislang weitgehend im Stich gelassen. Außer wohlfeilen Formulierungen gibt es viel zu wenig Unterstützung. Die Flüchtlingskrise fordert uns bis zur Belastungsgrenze.
Befürchten Sie soziale Probleme?
Wir sind, was die Unterbringung in Kitas und Schulen angeht, auf Kante genäht. Das ist ein Spiel gegen die Zeit. Wenn wir das verlieren, kommen wir nicht mehr nach mit der Schaffung ausreichender Kita- und Schulkapazitäten. Wie bereits gesagt: Da brauchen wir dringend Hilfe von Bund und Land. Insgesamt müsste die Bundesregierung die Lage besser kommunizieren. Natürlich fließen aus Deutschland ganz erhebliche Finanzmittel in den Ukraine-Krieg. Dazu gibt es auch keine Alternative, weil sonst die Gefahr besteht, dass wir uns eines Tages selbst im Krieg befinden.
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Der Kämmerer hat Alarm geschlagen: Im städtischen Haushalt droht zwischen 2024 und 2027 ein Loch von 60 bis 80 Millionen Euro. Müssen Steuern erhöht und freiwillige Leistungen, etwa für Kultur und Sport, weiter gestrichen werden?
Die Zahlen sehen düster aus. Aber wir arbeiten kräftig dagegen an. Ich sehe auch nicht, dass unsere Erfolgsspur zu Ende ist. So haben wir die Arbeitslosigkeit in Herne zuletzt weiter verringert. Damit sinkt die Zahl der Transferempfänger, und wir geben weniger Geld für Sozialaufwendungen aus. Außerdem nehmen wir mehr Gewerbesteuern ein als erwartet. Nicht zuletzt haben wir hier mehr Unternehmensgründungen als anderswo im Ruhrgebiet. Und der Umbau von Herne, den wir vorangetrieben haben, geht weiter. Die Hochschule kommt ebenso wie hoffentlich eine weitere Industrieansiedlung –, und der Ausbau des Gesundheitsstandorts Herne geht weiter. Also: Ich will weder Ausgabenstreichungen noch Steuererhöhung.
Die Staatsanwaltschaft hat im Januar Räume der Stadt Herne unter anderem im Rathaus und im Technischen Rathaus durchsucht. Hintergrund ist der Bau eines Wohnhauses auf einem Grundstück an der Bergstraße in Herne-Süd, das bislang in einem Landschaftsschutzgebiet lag. Welchen Schaden haben die Durchsuchungen angerichtet?
Das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren hat uns stark zurückgeworfen und die Handlungsfähigkeit der Stadtverwaltung in weiten Teilen doch stark eingeschränkt. Hinzu kommt die Belastung für unsere Mitarbeitenden, die sich unter Generalverdacht gestellt sehen. Immer wieder tauchen neue Fragestellungen der Ermittlungsbehörden auf, die von uns beantwortet werden müssen. Und das angesichts von einem Dutzend Großprojekte, die wir gerade bearbeiten. Außerdem hat das Verfahren auch dazu geführt, dass wir Prozesse in der Verwaltung noch mehr absichern mussten. Ich hoffe, dass die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen bald abschließt. Ich bleibe dabei: Wir haben uns nichts zuschulden kommen lassen.
Schauen wir auf die Bundespolitik. Ende 2022 gaben Sie der Arbeit der Bundesregierung im WAZ-Interview eine 3+. Die Note dürfte sich im letzten Halbjahr kaum verbessert haben, oder?
Nein. Jetzt liegt sie bei einer glatten 4.
Woran liegt die Verschlechterung?
Über die Versäumnisse bei der Migrationspolitik haben wir schon gesprochen. Das Thema muss die Bundesregierung sofort nach der Sommerpause anpacken. Bei einem gemeinsamen Willen aller staatlichen Einheiten – also Kommune, Land und Bund – kann man das Problem lösen. Aber ich vermisse den politischen Konsens: Dieses Thema ist das drängendste Problem, und die Kommunen dürfen damit nicht alleingelassen werden. Stattdessen geht’s um die Themen Heizung und Wärmepumpe. Darüber unterhalte ich mich ja auch gerne. Aber was eingebaut werden muss, das kann doch kein Wirtschaftsminister anordnen. Lieber würde ich über Genehmigungsverfahren reden. Die sind in Deutschland ein Wahnwitz. Keiner kann mir erklären, warum LNG-Terminals in einem Jahr gebaut werden. Wenn wir aber auf Blumenthal etwas entwickeln und bauen wollen, dauert das Jahre.
Und welche Note geben Sie Schwarz-Grün im Land?
Die haben offenbar die Gelassenheit weg. Schulfinanzierung, Flüchtlingsunterbringung, Kitafinanzierung, Digitalisierung – da passiert gar nichts. Immerhin hat die Landesregierung angedeutet, dass sie sich um das Thema Altschulden kümmern will. Und man muss sie loben für die Ansiedlung einer Hochschule im nördlichen Ruhrgebiet. Also Note 4 auch hier.
Sie sind gerade 60 geworden. Was bedeutet diese Zahl für Sie?
Das ist schon eine Zäsur. Die Zahl gibt mir einen anderen Blick auf das, was da noch kommt. Es kommen noch einige gute Jahre, aber das Ende der beruflichen Laufbahn ist irgendwo auch schon erkennbar.
Das Ende als Oberbürgermeister? Treten Sie 2025 nicht noch mal an?
Das weiß ich noch nicht. Diese Frage werde ich Ihnen voraussichtlich im nächstes Jahr beantworten können. Mein gesetzliches Rentenalter beträgt 67. Mit 60 hat man das irgendwo im Blick, aber dass ich bald beruflich aufhöre, ist ausgeschlossen.
Überlegen Sie, noch mal was Neues zu machen? Etwa die Direktorin des Regionalverbands Ruhr (RVR), Karola Geiß-Netthöfel, zu beerben? Man sagt Ihnen Ambitionen auf diesen Posten nach.
Da kann ich klipp und klar sagen: Das will und werde ich nicht.
>>> Entweder/Oder
Cranger Kirmes oder Weihnachtszauber?
Ganz klar: Cranger Kirmes. Sie ist authentisch, hat Tradition.
Wer wäre Ihnen lieber bei einem Fassanstich auf 2026? Ein Kanzler Wüst oder ein Kanzler Merz?
Besser Scholz, sonst ganz klar Wüst. Friedrich Merz vermittelt ein Lebensgefühl, eine Ausstrahlung, mit der ich nicht klar komme. So ist es für mich etwa nicht nachzuvollziehen, wie er zur Hochzeit von Christian Lindner nach Sylt mit einem Privatflieger anreisen kann.
„Wer Liebe lebt“ oder „In 80 Küssen um die Welt“?
Sind das Filme?
Nein, Hits von Michelle, die zum Crange-Start im Bayernzelt singt.
Dann „Wer Liebe lebt“. Das hab ich doch schon mal gehört.
Riesenrad oder Achterbahn?
Ganz klar: Riesenrad.
Fritz-Pin oder Crange-Tasse?
Fritz-Pin. Auch das ist Tradition. Die Künstler, die sich jedes Jahr ein neues Motiv überlegen, beweisen Leidenschaft.
Pommes-Currywurst oder Fischbrötchen?
Fischbrötchen – ein Klassiker, der Urlaubserinnerungen weckt.
>> Zur Person: Oberbürgermeister seit 2015
Seit 2015 ist Frank Dudda Oberbürgermeister in Herne. Davor war er unter anderem Geschäftsführer des Bundesverbands selbstständiger Physiotherapeuten (IFK e.V.) mit Sitz in Bochum. Von 1994 bis 2015 war er SPD-Ratsherr in Herne und seit 2004 SPD-Fraktionsvorsitzender.
Abitur machte der OB am Otto-Hahn-Gymnasium. Nach dem Grundwehrdienst studierte er Jura an der Ruhr-Uni Bochum, 1996 promovierte er. Er ist verheiratet und hat einen Sohn.