Herne. Westfalia Herne wird in einem NRW-Bericht über Diskriminierung im Fußball als Negativbeispiel genannt. Der Verein dulde die Extremisten sogar.
- Westfalia Herne wird in einem NRW-Bericht über Diskriminierung im Fußball als Negativbeispiel genannt.
- Es soll rassistische, homophobe und antiziganistische Vorfälle gegeben haben.
- Der Verein will die Vorwürfe so nicht stehen lassen.
Die „Meldestelle für Diskriminierung im Fußball in NRW“ (MeDiF) hat in ihrem Jahresbericht 2022 SC Westfalia Herne als besonders negatives Beispiel hervorgehoben. Das von der Landesregierung finanzierte Projekt verweist in dem Bericht nicht nur auf frühere Verbindungen von Anhängern zur rechtsextremen Szene, sondern führt gegenüber der WAZ auch rassistische, homophobe und antiziganistische Vorfälle aus der Saison 2022/23 an. Der Verein will die Vorwürfe so nicht stehen lassen.
Westfalia als Negativ-Beispiel in NRW
Im Jahresbericht 2022 wird Westfalia Herne eine zweifelhafte Ehre zuteil: Der Traditionsverein wird dort als „bad practice“ (schlechte Praxis) aufgeführt – als Gegenpol zur Hammer SpVgg („good practice“), deren Vereinsführung sich laut MeDiF gegen Nazistrukturen in der Anhängerschaft gestellt habe. Weniger ernst genommen worden sei die Problematik dagegen bei Westfalia, heißt es in dem Kapitel.
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Im Wortlaut: „Eine lange Recherche der Antifaschistischen Aktion Bochum deckte 2020 die engen Vernetzungen sowie die Überschneidungen von Herner Fans und bekannten Nazis aus dem Ruhrgebiet auf. Mehrere Spielbeobachtungen durch MeDiF-NRW bestätigen den Freiraum, der den rechten Fans innerhalb des Stadions am Schloss Strünkede zugestanden wird. Gegen diskriminierendes Verhalten wurde dabei weder vom Verein noch von anderen Fans eingeschritten, was wohl auch am martialischen und gewaltbereit wirkenden Erscheinen der rechten Fans liegen dürfte. Bis heute können diese ziemlich ungestört im Stadion wirken.“
SCW-Hooligans und die rechten Aufmärsche in Herne
„Westfalia Herne hat ein Naziproblem. Der Kristallisationspunkt: rechte Aufmärsche in Herne“: So lautete 2020 die Überschrift des von MeDiF erwähnten Online-Berichts der Antifa Bochum, in dem es um „die Problematik einer Ansammlung gewalttätiger Personen mit menschenverachtender Einstellung im Umfeld des SC Westfalia Herne“ geht. Die Antifa berichtete, dass „rechte Hooligans“ von Westfalia relativ zahlreich an den rechten Aufmärschen der „besorgten Bürger“ 2019/20 in der Herner Innenstadt teilgenommen hätten. Zu nennen seien hier die Gruppen „Division Herne“, „First Class Herne“, die zum großen Teil personenidentisch seien, aber auch die 2019 von jüngeren Anhängern gegründeten „Ultras Herne“. Der harte Kern der „Division“ besuche zudem überregionale Nazidemos, einer von ihnen bzw. seine Frau organisiere auch die rechten Aufmärsche der „Spaziergänger“ („besorgte Bürger“), hieß es damals.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kam der NRW-Verfassungsschutz in seinem Jahresbericht 2020. Im Kapitel „Rechtsextremistische Mischszene“ widmete die Landesbehörde den Herner Aufmärschen sogar ein kleines Unterkapitel, wie die WAZ 2021 berichtete. Die Kerngruppe der „Spaziergänger“ umfasse 30 Personen, von denen rund ein Drittel rechtsextremistische Bezüge aufweise, so die Landesbehörde. Ein Teil der „Spaziergänger“ stamme aus der Hooligan-Szene Westfalias. Zum Schluss ihres mit zahlreichen Namen und Personenfotos versehenen Online-Beitrags stellte sich die Antifa Bochum im Februar 2020 die Frage: „Wussten die Vereinsoffiziellen nicht über die rechten Einstellungen und Umtriebe der Ultras Herne Bescheid? Oder: Wurden die rechten Umtriebe geflissentlich ignoriert oder gar gebilligt?“
Fünf Spielbeobachtungen, elf Vorfälle
Teile der Fanlandschaft von Westfalia Herne seien in der Vergangenheit immer wieder mit zum Teil groben Grenzüberschreitungen in den Medien wahrnehmbar gewesen, begründet die Meldestelle nun auf eine aktuelle Anfrage der WAZ ihr Vorgehen. Das habe man zum Anlass genommen, die Situation vor Ort bei einer „anonymen Spielbeobachtung“ am 2. Oktober 2022 beim Westfalenliga-Heimspiel am Schloss Strünkede gegen Meinerzhagen zu überprüfen.
Die im Stadion dokumentierten Vorfälle hätten sie zum Teil überrascht: „Vollkommen unwidersprochen sind sexistische, antiziganistische und rassistische Ausrufe getätigt worden.“ Deshalb seien in der Folge mehrere Spielbeobachtungen durchgeführt worden. Es habe zwar nicht bei allen Partien Vorfälle gegeben, allerdings sei es dennoch zu „besonders niederträchtigen Vorfällen“ gekommen. Bis zum Saisonende im Mai 2023 seien drei weitere Heimspiele sowie ein Auswärtsspiel (in Hordel) anonym beobachtet worden. Bei den fünf Paarungen habe es elf Vorfälle gegeben, davon zehn durch Westfalia-Fans. Registriert worden seien sexistische, antiziganistische und queerfeindliche Gesänge und Ausrufe, rechtsaffine Szenekleidung, rassistische „Witze“ über Namen der Spieler sowie sexistische Schmierereien auf Toiletten.
Fazit: „Als Meldestelle sind wir der Meinung, dass der Verein, auch aufgrund der Berichterstattung in der Vergangenheit, seine Verantwortung wahrnehmen muss und zumindest einen ernstzunehmenden Versuch unternehmen sollte, ein Klima zu schaffen, in dem es nicht so einfach ist, vollkommen unwidersprochen öffentlich zu diskriminieren.“
Westfalia-Vorstand: „Wir sind weltoffen und Multi-Kulti“
Ingo Brüggemann, im November 2020 zum Vorsitzenden von Westfalia Herne gewählt, verwies auf Anfrage an Vorstandsmitglied Benny Backes, der auch für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. Im Gespräch mit der WAZ sagt Backes zum MeDiF-Bericht: „Das können wir so nicht stehen lassen.“
Der Verein werde zu Unrecht in eine rechte Ecke gestellt. „Wir sind weltoffen und akzeptieren Multi-Kulti.“ Westfalia habe sich in den vergangenen Jahren sehr verändert. Eine Reihe von Beispielen führt Backes an: von Spielern aus „aller Herren Länder“ über queere Menschen im Funktionsteam und in der Fan-Szene bis hin zu mit Pride-Flagge (in Regenbogenfarben) bedruckten Bällen. Und: „Es gibt keine aktive Fan-Szene mehr bei uns. Das ist vorbei.“ Solche Gruppen mögen auf dem Papier oder bei Whatsapp präsent sein, träten aber - wenn überhaupt - höchstens mal bei „Hochsicherheitsspielen“ in Erscheinung.
Was sagt Westfalia zu den Diskriminierungsvorwürfen? Die (ihm von der WAZ übermittelten) Angaben zu den von der Meldestelle aufgelisteten Vorfällen seien zu unkonkret, als dass er sich dazu konkret äußern könne, so Backes. Sein Beispiel: „Was ist szeneaffine Kleidung?“ Wenn nicht gerade „NSDAP“ auf der Kleidung stehe, seien Auffälligkeiten nicht erkennbar. Westfalia habe zudem keine professionelle Security: „Am Einlass sitzen ehrenamtliche Senioren, die beim Ticketing schon das erste Bier und Frikadellen rausgeben.“
Er bestreite aber nicht, dass es zu den geschilderten diskriminierenden Vorfällen gekommen ist: „Die Meldestelle lügt ja nicht und wird etwas beobachtet und gehört haben.“ Persönlich habe er nichts Derartiges wahrgenommen, sei jedoch bei Spielen nicht im Fanbereich. Zum Rechtsextremismus habe er eine klare Haltung, sagt er und unterfüttert dies mit einem Beispiel: „Ich gehe zu Punkrock-Konzerten und rufe, Nazis raus*.“
Der Vorstand hätte sich gewünscht, so Backes’ Fazit, wenn er vor einer Veröffentlichung durch MeDiF hätte Stellung nehmen und die aus Vereinssicht positive Entwicklung hätte darstellen können. Der Bericht der Meldestelle könne nun negative Folgen für Westfalia haben, zum Beispiel bei Verhandlungen mit potenziellen Kooperationspartnern.
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Die Meldestelle bestätigte gegenüber der WAZ, dass man bislang nicht den direkten Kontakt zum Westfalia-Vorstand gesucht habe. Warum nicht? „Zum einen verfolgten wir einen bisher eher passiven Ansatz, das heißt, wir dokumentieren und werten diskriminierende Vorfälle im Fußball in NRW generell aus.“ Und: Da die Vorkommnisse rund um das Stadion am Schloss Strünkede absolut nicht neu seien, könnten sie zudem davon ausgehen, dass der Verein selbst auch im Bilde sei. „Wir sind jederzeit bereit, dem Verein beratend zur Seite zu stehen in den (hoffentlich) zukünftigen Bemühungen, allen Personen ein Fußballerlebnis ohne Diskriminierung zu gewährleisten.“
>>> Die Meldestelle für Diskriminierung im Fußball
- Das Projekt will „eine Anlaufstelle für Vereine und ihre Mitglieder, Fans, Organisationen im Profi- und Amateurbereich oder sonstige Beteiligte im Fußballsport“ schaffen. Die Meldestelle ist angesiedelt bei der Landesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte in NRW.
- Betroffene sowie Zeuginnen und Zeugen von Diskriminierung können sich an die Meldestelle wenden und dort professionelle Unterstützung erhalten. Vorfälle werden nach wissenschaftlichen Standards dokumentiert und ausgewertet.
- Seit dem Start im Juli 2022 sind mehr als 900 Meldungen über diskriminierende Vorfälle im Fußball bei MeDiF eingegangen.
- Weitere Informationen, Meldung von Vorfällen und Kontakt: medif-nrw-de