Herne. Das Pixelprojekt Ruhrgebiet wird 20 Jahre als. Gegründet wurde es von einem Herner: Peter Liedtke. Im Interview blickt er auf die Entwicklung.

Das Pixelprojekt Ruhrgebiet feiert runden Geburtstag. Vor 20 Jahren wurde die digitale Sammlung fotografischer Positionen als regionales Gedächtnis gegründet. Gründer und Leiter ist der Herner Peter Liedtke. Im Gespräch mit WAZ-Redakteur Tobias Bolsmann erläutert er die Idee und die Entwicklung des Pixelprojekts.

Herr Liedtke, was war der Impuls, ein fotografisches Gedächtnis für das Ruhrgebiet anzulegen? Sahen Sie die Gefahr einer fotografischen Demenz?

(lacht) Im Grunde genommen war es die Verlängerung meiner eigenen Arbeit. Gerade zu Zeiten der Internationalen Bauausstellung Emscherpark habe ich viel Ruhrgebiet und gerade den Wandel fotografiert. Ich habe schon in den 80er-Jahren eine Ausstellung mit dem Titel „Ruhrgebietsnatur“, zum Beispiel auf Halden und Industriebrachen, veranstaltet. Später habe ich auch im Auftrag der IBA fotografiert, ich habe zum Beispiel fast die gesamten zehn Jahre der IBA den Landschaftspark Duisburg-Nord und den Emscher Landschaftspark fotografiert. Zu Zeiten der IBA herrschte ein Klima, in dem innovative Ideen umgesetzt werden konnten, doch mit dem Abschluss der IBA war das vorbei, das Ruhrgebiet fiel in meiner Wahrnehmung um 20 Jahre zurück. So fehlte mir fotografisch die Resonanz, die ich in der IBA und in Karl Ganser gefunden hatte. Zeitgleich entwickelte sich das Internet, und ich habe selbst das Netz entdeckt. Mir war es wichtig, ein umfassendes Bild des Ruhrgebiets zu zeigen, parallel habe ich aber immer auch die Arbeiten der Kolleginnen und Kollegen gesehen. Ich habe mich dann gefragt, wie es wohl wäre, wenn man die Arbeiten zusammenfügt. Dann hätte man eine reelle Chance, ein authentisches Bild der Region zu entwickeln. All das zusammen ergab die Chance, etwas anzustoßen und Einfluss zu nehmen. Diese Auseinandersetzung von Fotografinnen und Fotografen mit der eigenen Region gibt es so nirgendwo anders in Deutschland.

Rohrgebiet: Auch eine Serie von Hendrik Lietmann ist Teil des Pixelprojekts.
Rohrgebiet: Auch eine Serie von Hendrik Lietmann ist Teil des Pixelprojekts. © Hendrik Lietmann

Wie war die Resonanz auf die Idee eines fotografischen Gedächtnisses?

Am Anfang musste ich Kolleginnen und Kollegen mit Engelszungen überreden, mitzumachen. Die Skepsis gegenüber digitaler Fotografie war sehr hoch. So gab es enorme Ängste vor dem Diebstahl der Fotos im Internet. Es war ein Vorteil, dass ich die meisten persönlich kannte und zu ihnen eine Vertrauensbasis hatte. So sind mir zunächst 26 Kolleginnen und Kollegen gefolgt und 2004 konnten wir die erste Ausstellung machen.

Wie hat sich die Zahl der Projektmitglieder entwickelt?

Nach der ersten Ausstellung 2004 hatte ich über Nacht 50 neue Bewerbungen. Es war, als ob die Region darauf gewartet hätte. Heute haben wir weit über 300 Fotografinnen und Fotografen mit fast 600 Fotoserien und über 10.000 Einzelfotografien. Wobei wir von Anfang an eine Jury hatten, die über die Aufnahme entscheidet. Nicht alle, die sich bewerben, kommen auch hinein.

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Gibt es mehr Bewerbungen als Aufnahmen?

Auf jeden Fall. Pro Jahr werden uns rund 100 Fotoserien vorgeschlagen, etwa 20 nehmen wir auf. Das Verbindende des Pixelprojekts ist die Auseinandersetzung mit bestimmten Themen in Form von Fotoserien. Es geht dabei schon um Erkenntnisgewinn und um Entdeckung, aber auch um das Eindringen in unbekannte Milieus.

Stand zu Beginn der Strukturwandel im Mittelpunkt oder kamen auch schon andere Themen hinzu?

Wandel war und ist immer ein Thema. Der Wandel zeigt sich ja auch in unseren Oberthemen Ökologie, Soziales, Kultur, Stadt, Wohnen, Sport oder Wirtschaft. Zugenommen hat in den letzten Jahren die Zahl der Arbeiten, die sich mit dem Thema Armut beschäftigen. Das gab es vor 20 Jahren nur am Rande.

Die Herner Fotografin Brigitte Kraemer ist unter anderem mit ihrer Serie  „Das große Warten - Flüchtlinge im Ruhrgebiet“ beim Pixelprojekt vertreten.
Die Herner Fotografin Brigitte Kraemer ist unter anderem mit ihrer Serie „Das große Warten - Flüchtlinge im Ruhrgebiet“ beim Pixelprojekt vertreten. © Foto: Martin Möller / Funke Foto | Martin Möller

Werden immer noch Klassiker wie die Bude, Tauben oder Leben am Rhein-Herne-Kanal vorgeschlagen?

Ja, und sie werden auch teilweise aufgenommen, wenn sie eine Ergänzung sind. Wir haben zum Beispiel im vergangenen Jahr eine Serie zu Stadttauben aufgenommen. Das hatten wir so noch nicht.

Neben den Themen hat sich aber auch die Fotografie geändert...

...genau. Vor 20 Jahren wurde noch ganz anders fotografiert als heute. Die aktuellen Bildsprachen ändern sich halt.

Inwieweit spielen die digitalen Möglichkeiten eine Rolle?

Sie spiegeln sich wider, werden aber bei der Auswahl nicht thematisiert. Wir fragen nicht danach, wie die Fotoserien entstanden sind. Ich bin gespannt, wann wir die erste Serie bekommen, die mit Künstlicher Intelligenz entstanden ist – und ob wir sie aufnehmen.

Das heißt, eine Serie, die mit dem Smartphone entstanden ist, hätte auch eine Chance?

Sicher, wenn sie uns künstlerisch und inhaltlich überzeugt. Insgesamt haben nicht nur Profis die Chance auf Aufnahme ins Pixelprojekt. Es interessiert uns nicht, ob jemand eine fotografische Ausbildung hat. Hauptsache, die Arbeit als solche überzeugt. Um aufgenommen zu werden, muss die Serie eine inhaltliche Relevanz haben, die Bilder müssen zum Verständnis für das Ruhrgebiet beitragen. Und man muss eine eigenständige und gute fotografische Handschrift haben.

Wenn Sie heute auf das Pixelprojekt schauen: Sind Sie überrascht, wie groß es geworden ist?

Ich habe zu Beginn nicht damit gerechnet, dass wir das 20 Jahre lang machen. Es gab ja auch nicht nur gute Zeiten. Vor drei Jahren stand das Projekt kurz vor dem Aus, weil wir keine Fördergelder mehr bekommen hatten. Zum Glück haben sich dann einige Institutionen hinter das Projekt gestellt. Im Moment ist die Finanzierung gesichert.

<<< ZUR PERSON

Peter Liedtke (1959 in Gelsenkirchen geboren), lebt seit rund 30 Jahren in Herne. Er hat an der Folkwang-Hochschule in Essen Kommunikationsdesign mit dem Schwerpunkt Fotografie studiert, außerdem in einem in Fernlehrgang Ökologie an der Universität Tübingen.

Liedtke hat seit 1993 verschiedene Projekte - vornehmlich im Bereich Fotografie - entwickelt. Als Fotograf hat er bundesweit und international ausgestellt.

In Herne ist Mitglied des Rates für die Grünen.