Herne. Als eine von 94 SPD-Reichtstagsabgeordneten widersetzte sich Berta Schulz 1933 den Nazis. Wie ein neues Buch das Leben der Hernerin würdigt.
„This is a man’s world“, sang 1966 die US-Soul- und Bluesikone James Brown. Es ist eine Männer-Welt: Dies gilt auch für die Herner Parteien- und Politikgeschichte, die einst für Frauen allenfalls Nebenrollen vorsah. Mit seinem neuen Buch lenkt der Historiker Ralf Piorr nun den Blick auf eine Herner Sozialdemokratin, die mit ihrem Einsatz für Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Frauenrechte insbesondere in den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts Spuren hinterlassen hat.
„Berta Schulz – Von der Wäscherin zur Reichstagsabgeordneten der SPD“ heißt das in dieser Woche erscheinende Buch Piorrs. Ein Buch, das ohne Helmut Skiba niemals entstanden wäre. Der Herner Bauunternehmer legte mit seiner Wohnungsbaugesellschaft vor vier Jahren in Wanne den Grundstein für das Berta-Schulz-Quartier der Awo mit Kita, Pflegeheim und Wohnungen. „Mit der Namensgebung wollen wir eine große Sozialdemokratin würdigen, die auch Vorsitzende der Awo in Herne und im Unterbezirk Bochum war“, berichtete der Sozialdemokrat damals der WAZ.
1920 zog sie in den Reichstag ein
Anlässlich der Grundsteinlegung beauftragte Skiba Piorr mit einer Recherche zum Leben der Genossin (1878-1950), die damals in ein zwölfseitiges Papier mündete. „Ich fand das Thema dann so spannend, dass ich es immer weiter verfolgt habe. Ich wusste von Berta Schulz anfangs auch nicht viel“, sagt der 56-jährige Historiker.
Als Berta Wahle, als ältestes von zehn Kindern einer Arbeiterfamilie in Wetter geboren, war sie nach der Volksschule zunächst als Wäscherin und Plätterin tätig. Mit 20 Jahren bekam sie ihr erstes Kind und heiratete kurz darauf den Maurer Amandus Schulz. Sie bekam zwei weitere Söhne, zog mit der Familie mehrmals um. In Herne lebte sie von 1920 bis zur Machtübernahme der Nazis.
In die SPD war Berta Schulz 1906 eingetreten. Ab 1910 war sie Vorsitzende der SPD-Frauen im Unterbezirk Bochum. 1919 und 1920 war sie Stadtverordnete in Witten, von 1924 bis 1932 in Herne. Seit 1920 gehörte sie mit einer kurzen Unterbrechung bis 1933 als Mitglied dem Reichstag an.
Soweit die groben Eckdaten. Eine biografische Annäherung sei alles andere als einfach gewesen, räumt Piorr ein. Ein Grund: „Es gibt keine persönlichen Erinnerungen von ihr.“ Laut Familienangaben habe sie 1933 nach den Hausdurchsuchungen durch die Nazis alles vernichtet. Und: Wie bei vielen anderen Frauen sei nur wenig dokumentiert worden. Das sei erstaunlich, weil Berta Schulz in der Weimarer Republik zum erweiterten Führungskreis der Partei gezählt habe. „Es ist doch unfassbar, dass wir in Herne eine Person haben, die 1933 als eine von 94 SPD-Reichstagsabgeordneten Nein zum Ermächtigungsgesetz sagte - und man weiß kaum etwas darüber.“ Defizite sieht Piorr auch in der Herner SPD: „Gemessen an der Bedeutung der Partei in der Stadt hat sie ihre Geschichte zu wenig aufgearbeitet.“
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Ralf Piorrs Hommage an seine dreckige alte Stadt Herne
Sein Buch über Berta Schulz sei aufgrund der lückenhaften Quellenlage keine Biographie geworden, sondern eine Würdigung. Es würden drei Geschichten erzählt: „Zum einen die Geschichte von Berta Schulz als Proletarierin, ihre Emanzipation, der Weg in die Politik. Außerdem die Geschichte der Stadt Herne vor allem in den 20er-Jahren. Und die Geschichte der ersten deutschen Demokratie, die Berta Schulz geradezu personifiziert.“ Durch die Gründung der Weimarer Republik seien für sie politische Träume Wirklichkeit geworden.
Nicht nur bei der Beschäftigung mit Schulz und der SPD hat Ralf Piorr diese Erfahrung gemacht: „Es ist erschreckend, festzustellen - und da beziehe ich mich mit ein -, dass im Ruhrgebiet eine Narration der Männer herrscht: Es sind die Bergarbeiter, es sind die Stahlarbeiter, es ist ein Männlichkeitsbild, das immer und immer wieder reproduziert wird. Über das Leben von Frauen wissen wir so gut wie gar nichts.“
>>> Michelle Müntefering schrieb ein Vorwort
Ralf Piorr wird sein Buch am Donnerstag, 23. März, im Literaturhaus (Bebelstraße 18) bei einer Veranstaltung der Herner SPD zum 90. Jahrestag des Ermächtigungsgesetzes der Nazis vorstellen. Beginn ist um 18 Uhr.
Das in Piorrs Verlag adhoc erschienene Buch, zu dem die SPD-Bundestagsabgeordnete Michelle Müntefering ein kurzes Vorwort schrieb, ist an diesem Abend für 16 Euro und anschließend im Buchhandel oder über die Verlagshomepage erhältlich.
Finanzielle Unterstützung für sein Buchprojekt erhielt der Historiker von Helmut Skiba und der Initiative „Partnerschaft für Demokratie“ sowie vom LWL.