Herne. . „Dreckige alte Stadt“ - das klingt nicht nach Liebeserklärung. Bei Ralf Piorr, den es vor 30 Jahren nach Herne zog, ist es das sehr wohl.
„Seit dreißig Jahren lebe ich in dieser Stadt. Freiwillig.“ Mit diesen Worten beginnt der gebürtige Einbecker Ralf Piorr seinen Essay „My dirty old town“ (meine dreckige alte Stadt), mit dem der Historiker und Stadtmitarbeiter den in der kommenden Woche erscheinenden Bildband „Herne 50 I 80 Fotografie“ (wir berichteten) einleitet.
Musikkenner wissen: „Dirty old town“ ist ein 1949 geschriebener Song, der später vor allem in der Version der Band The Pogues bekannt wurde. Auch wenn der Verfasser in der vierten Strophe seinem „alten Drecknest“ den Untergang prophezeit, so ist das Lied doch als eine ambivalente Liebeserklärung an eine Industriestadt zu verstehen – so wie Piorrs mit Stadtfotograf Thomas Schmidt herausgegebener Band.
Raumpatrouille Stadtplanung
Die Brüche und Schattenseiten von (ehemaligen) Industriestädten wie Herne sowie die „Brutalität der Entwicklung“ verschweigt der 50-Jährige nicht. Über Jahrzehnte sei an den Städten herumgedoktert worden. „Aber aller Unwirtlichkeit zum Trotz herrschte zwischen den Baulücken vitales Leben, fanden sich Menschen, die aus den Gegebenheiten das Beste machten, sich einrichteten und improvisierten“, schreibt der Historiker.
Mit Zwischentiteln wie „Eine Stadt erfindet sich neu“, „Raumpatrouille Stadtplanung“, „Sieger sehen anders aus“ und „Ein starkes Stück Deutschland“ gliedert Piorr die kritisch-reflektierte Auseinandersetzung mit Herne, in der er sich vor allem dem Strukturwandel und dem Selbstverständnis der Stadt und seiner Bürger widmet.
Kühne Visionen aus den 70er Jahren
Prägende Ereignisse, drastische Einschnitte und „Schwerstverbrechen der Innenstadtsanierung“ beleuchtet er ebenso wie kühne Visionen der frühen 70er. So schrieb die Stadt in einer Imagebroschüre: „Überlegen Sie es sich gut, bevor Sie nach Herne kommen. Nachher wollen Sie gar nicht wieder weg!“ Auch das Wanne-Eickeler Befinden greift er in Zusammenhang mit der Stadtehe mit Alt-Herne auf.
Piorrs Essay endet versöhnlich. Herne sei „uneitel, bodenständig, intensiv, manchmal unwirtlich, fast immer herb“. Er lebe gerne in Herne, dieser dreckigen alten Stadt.
>> INFO: Die Fotografen des historischen Bildbandes
Vor allem aus Archiven von neun Fotografen haben Ralf Piorr und Thomas Schmidt „Herne 50 I 80 Fotografie“ zusammengestellt.
Rolf Baumann übernahm 1959 das Stadt-Bildarchiv. Nach der Herner Zeit arbeitete er als Kameramann.
Robert Grabski (1912-1990) kam nach dem 2. Weltkrieg nach Herne. Der Autodidakt verfasste auch Gedichte und arbeitete als Journalist.
Horst Guth (Jg. 1939) studierte Fotografie in Köln, arbeitete von 1964 bis 1966 als Stadtfotograf. Lebt heute in Süddeutschland.
Günter Jendrny (1930-2012) war Fotovolontär und Redakteur der WAZ. Seine Fußball-Foto erschienen u.a. auch im „Kicker“.
Richard Kopitzko (Jg. 1938) wurde durch einen Berufsunfall auf der Zeche Fotograf. 1967 wurde er Leiter des Bildarchivs der Stadt.
Peter Monschau (1945-2013) arbeitete 40 Jahre als Foto-Redakteur der WAZ Herne.
Gerd Peters war Pressefotograf und wurde 1954 Stadtfotograf in Herne. 1958 wechselte er als Kameramann zum Fernsehen.
Christian Stiebling arbeitete von 1977 bis 1982 als Fotograf und Texter für die WAZ. Seit 1996 ist er Chef von Reifen Stiebling.
Anton Tripp (1911-1991) gründete 1951 ein Fotoatelier in Düsseldorf. Sein Nachlass findet sich im Fotoarchiv der Stiftung Ruhr Museum.
Der Bildband wird am Donnerstag in der Buchhandlung Koethers & Röttsches offiziell vorgestellt. Er kostet im Buchhandel 30 Euro. Erscheinungstag ist Samstag, 1. April. An diesem Tag feiert die Stadt Herne 120. Geburtstag.