Herne. Von Alf über den Ghettoblaster bis zur Zündapp: Wie die Schau „Immer wieder aufstehn“ den Zeitgeist und die Herner Historie der 80er einfängt.

  • „Immer wieder aufstehn“: Neue Ausstellung wurde im Heimatmuseum Unser Fritz eröffnet.
  • Schau im Kontext der 125-Jahre-Feier zeigt die Welt der 1980er-Jahre.
  • Ausstellung an der Unser-Fritz-Straße ist bis 26. Februar 2023 geöffnet.

Alf, Nena-LP, Commodore B 296, Zauberwürfel, RAF-Fahndungsplakat, Ghettoblaster, Zündapp … : In die (aus heutiger Sicht) schräg anmutende Welt der 1980er-Jahre entführt in Herne eine neue Ausstellung, die jetzt eröffnet wurde. „Immer wieder aufstehn“ heißt sie, und sie ist im Heimatmuseum Unser Fritz zu sehen. Die Kuratoren Ralf Piorr und Peter Hesse verbinden die (bei älteren Jahrgängen) Erinnerungen auslösenden Exponate mit Schlaglichtern auf die „neue Stadt Herne 1980 bis 1989“, deren Entwicklung in dieser Dekade wie die im gesamten Ruhrgebiet „ein Desaster“ gewesen sei, sagt Piorr.

Herner Chronik mit der „Sonne“, Theo, Hausbesetzern und einem Flüchtlingsschiff

Die Ausstellung sei im Kontext zur Herner 125-Jahr-Feier zu sehen. Es sei nun an der Zeit, auf dieses für Herne bisher nicht aufgearbeitete Jahrzehnt zurückzublicken, erklärt Historiker und Stadtmitarbeiter Ralf Piorr. „Immer wieder aufstehn“ – benannt nach dem Hit von Rainer Koslowskis Band Herne 3 – sei der Versuch, dieses Jahrzehnt aus lokaler Sicht zumindest ein Stück weit greifbar zu machen.

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In der in zwei Museumsräumen eingerichteten Ausstellung wird der lokale Ansatz allerdings häufig nur angekratzt. Zum Beispiel durch eine launige Chronik in Wort und Bild. Piorr und Hesse spannen dabei den Bogen von der legendären Kneipe „Sonne“ im Jahr 1980 bis hin zur Unterbringung von Geflüchteten auf einem Kanal-Schiff 1989. Dazwischen platziert das Duo einen wilden Herner Themen-Mix: Die Welturaufführung des Films „Theo gegen den Rest der Welt“, Hausbesetzungen und Proteste Jugendlicher, die Eröffnung des i-Punkts auf der Bahnhofstraße, der Start der Aids-Hilfe, der Umweltskandal in der Baukauer Leibnizstraße, die Eröffnung der Kornmühle und und und.

Der Fotograf Wolfgang Quickels begleitete 1983 und 1984 Jugendliche, die sich im „Brockenhaus“ der Gesellschaft Freie Sozialarbeit trafen. Einige Bilder sind in der Ausstellung zu sehen.
Der Fotograf Wolfgang Quickels begleitete 1983 und 1984 Jugendliche, die sich im „Brockenhaus“ der Gesellschaft Freie Sozialarbeit trafen. Einige Bilder sind in der Ausstellung zu sehen. © FUNKE Foto Services | Dietmar Wäsche

Die optischen Höhepunkte der Schau bilden zwei Foto-Reihen: Der (2014 verstorbene) Fotograf Wolfgang Quickels setzte in eindrucksvollen Schwarz-Weiß-Bildern Jugendliche in Szene, die sich in dem 1981 von der Gesellschaft Freie Sozialarbeit übernommenen „Brockenhaus“ getroffen haben. Und Brigitte Kraemer präsentiert Fotos, die in gewohnter Brillanz vor allem die migrantische Szene der damaligen Zeit spiegeln.

Auch bewegte Bilder sind zu sehen: Im Museums-Hof wird in dem zum „Panic Room“ umfunktionierten Kiosk ein 20-minütiger Ruhrgebiets-Film von Peter Hesse gezeigt. Und in der 1. Etage läuft in Dauerschleife die erste Folge der TV-Serie „Hans im Glück aus Herne 2“.

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Wer mehr über die 80er-Jahre und vor allem über die Herner Historie „zwischen Untergang und Aufbruch“ wissen möchte, dem ist der Ausstellungskatalog ans Herz zu legen. Das liebevoll gestaltete Buch bietet neben vertiefenden Einblicken auch ergänzende Kapitel zur Schau im Heimatmuseum. Zum Beispiel? Geschichten über den unvergessenen Pfarrer Harald Rohr und das Sodinger Café Osmann. Oder Interviews mit Ex-Kämmerer Heinz Drenseck („Der Ritter von der traurigen Gestalt“) und ZDF-Moderator Rudi Cerne. Der renommierte Sportjournalist Christoph Biermann liefert eine Exklusiv-Geschichte über den „kulturellen Aufbruch zwischen Spielhalle und New Wave“. Der frühere Stadtsprecher Horst Martens befasst sich mit dem „letzten Volkstribun“ Willi Pohlmann. Und Wolfgang Berke beleuchtet die Folgen der Städte-Ehe zwischen Herne und Wanne-Eickel.

Die Kuratoren: Ralf Piorr (re.) und Peter Hesse im Herner Heimatmuseum Unser Fritz.
Die Kuratoren: Ralf Piorr (re.) und Peter Hesse im Herner Heimatmuseum Unser Fritz. © FUNKE Foto Services | Dietmar Wäsche

Politisch kreisten sie in der Ausstellung und im Katalog um ein Thema, so Piorr, ohne es in den Fokus zu nehmen. Und zwar: „Die SPD.“ Die Partei sei in den 80ern die Macht in der Stadt gewesen. Selbst der im Katalog beleuchte Aufstieg der Herner Grünen sei irgendwie sozialdemokratisch gewesen: „In ihrem Kern waren viele Grüne ursprünglich Sozialdemokraten, die damals bei den Jusos abgehauen waren.“ Der SPD-Nachwuchs habe 1981 den Laden dichtgemacht und erst 1984 ein Comeback gefeiert: „Ulrich Klonki war Vorsitzender, Frank Dudda sein Stellvertreter.“

Und warum war das Jahrzehnt für Herne (und das Ruhrgebiet) ein „Desaster“? Kämmerer Drenseck habe vorwiegend mit dem Rotstift arbeiten müssen, sagt Piorr. Und: Das Thema Altlasten habe für Riesenprobleme gesorgt.

„Immer wieder aufstehn“ ist die erste Zusammenarbeit von Piorr und Hesse. Der Zufall stand Pate: „Ich habe Ralf Anfang des Jahres angerufen, weil ich etwas über ,Hans im Glück in Herne 2’ für die Obdachlosenzeitschrift ,Bodo’ schreiben wollte“, sagt der freie Autor und Filmemacher Peter Hesse, der erst seit wenigen Jahren in Herne lebt. Ralf Piorr suchte damals Unterstützung für dieses Ausstellungsprojekt – und fand sie mit Hesse.

Für das Ausstellungsplakat wurde ein Foto von Jungen bearbeitet, die einst am Wanner Scharpwinkelring mit ihrem Ghettoblaster posierten. Ihr (mögliches) Vorbild findet sich im Katalog: Ein Ghettoblaster-Foto aus New York mit den HipHop-Acts Run DMC, Whodini und Beastie Boys.
Für das Ausstellungsplakat wurde ein Foto von Jungen bearbeitet, die einst am Wanner Scharpwinkelring mit ihrem Ghettoblaster posierten. Ihr (mögliches) Vorbild findet sich im Katalog: Ein Ghettoblaster-Foto aus New York mit den HipHop-Acts Run DMC, Whodini und Beastie Boys. © FUNKE Foto Services | Dietmar Wäsche

Vom Ergebnis ihrer Kooperation kann sich die Öffentlichkeit erstmals am Donnerstag, 24. November, ab 19 Uhr ein Bild machen. Bei der Ausstellungseröffnung im Heimatmuseum sorgen der Gitarrist Christian Donavan und eine Pottporus-Formation für den musikalisch-tänzerischen Rahmen.

>>> Ausstellung läuft bis Ende Februar

Die Ausstellung ist ab Freitag, 25. November, bis zum 26. Februar zu den üblichen Öffnungszeiten und Eintrittspreisen (1,50/0,50 Euro) im Heimatmuseum an der Unser-Fritz-Straße 108 zu sehen: dienstags bis freitags von 10 bis 13 Uhr und 14 bis 17 Uhr, samstags von 14 bis 17 Uhr sowie sonntags und an Feiertagen von 11 bis 17 Uhr.

Den im adhoc-Verlag erschienenen Katalog gibt es für den „volksnahen Preis“ (Piorr) von 12 Euro – eine Förderung durch die Kulturinitiative und den LWL macht es möglich – im Museum sowie auf Bestellung im Buchhandel.