Herne. Das große Erdbeben hat auch in Herne eine große Welle der Solidarität ausgelöst: beim Gebet, einer Spendensammlung und einem Benefiz-Turnier.

Über 28.000 Tote, unzählige Verletzte, Zehntausende ohne Obdach: Die Folgen der Erdbebenkatastrophe in der Türkei und in Syrien bewegen auch in Herne viele Menschen. Wie sich die Solidarität am Samstag darstellte – zu Gast bei einem Gebet, einer Spendensammlung und einem Benefiz-Fußballturnier.

10.55 Uhr, Kreuzkirche in Herne-Mitte

Herner Kirchen und Religionsgemeinschaften luden für Samstagmorgen zum Friedensgebet ein.
Herner Kirchen und Religionsgemeinschaften luden für Samstagmorgen zum Friedensgebet ein. © loc

Die Glocken läuten zum Friedensgebet für Opfer der Katastrophe im türkisch-syrischen Grenzgebiet. Es ist ein Schulterschluss der Vielen: Eingeladen haben die evangelische und katholische Kirche, die islamische Gemeinde Röhlinghausen, der alevitische Herner Kulturverein Bektas-i und die Syrisch-Orthodoxe Kirche von Antiochien in Herne & Ruhrgebiet.

Nach der Begrüßung der rund 100 Menschen vor der Kirche durch den evangelischen Pfarrer Uwe Leising findet Tuncay Nazik bewegende Worte. Ob türkisch oder kurdisch, arabisch oder deutsch sowie unabhängig von der Religion – „wir stehen hier heute zusammen als Menschen“, sagt der Vorsitzende der islamischen Gemeinde Röhlinghausen. „Wir weinen heute zusammen für die Opfer. Wir leiden heute mit den Hinterbliebenen. Wir frieren heute mit den 100.000 obdachlos gewordenen Menschen. Und wir halten heute mit Mesut Hancer die Hand seiner 15-jährigen toten Tochter Irmak in Kahramanmaraş. Aber wir freuen uns, dass im Nordwesten Syriens ein unter den Trümmern geborenes Baby gerettet worden ist.“

Mesut Hancer hält nach dem Erdbeben im türkischen Kahramanmaraş die Hand seiner unter den Trümmern liegenden 15-jährigen Tochter. Auch dieser menschlichen Tragödie gedachten die Teilnehmenden des Friedensgebets in Herne.
Mesut Hancer hält nach dem Erdbeben im türkischen Kahramanmaraş die Hand seiner unter den Trümmern liegenden 15-jährigen Tochter. Auch dieser menschlichen Tragödie gedachten die Teilnehmenden des Friedensgebets in Herne. © AFP | ADEM ALTAN

Eine Dreiviertelstunde dauert das Friedensgebet. Es wird gesungen, gebeten, getrauert und geschwiegen. Eine Grußbotschaft der Herner Bundestagsabgeordneten Michelle Müntefering wird verlesen, die zurzeit auf Dienstreise in Südkorea und Japan ist. Und am Ende spenden Teilnehmerinnen und Teilnehmer – „auch wenn wir wissen, dass Sie alle schon gespendet haben“, so die Ansage am Mikrofon. 1586,78 Euro landen schließlich in der Box.

13.10 Uhr, Rheinische Straße 25 in Röhlinghausen

Während Frauen in den Räumen der islamischen Gemeinde Röhlinghausen Paket für Paket packen, schleppen knapp 20 junge Männer die verpackten Spenden in einen vor dem Haus abgestellten Lkw. Erst vor wenigen Tagen hat die Gemeinde mit Herner Kooperationspartnern wie Gesellschaft für Integration (GFI), „Herne steht zusammen“ und TV Röhlinghausen zur Hilfe für die Erdbebenopfer aufgerufen.

Was sie seitdem erlebt hätten, sei kaum in Worte zu fassen, sagt Tuncay Nazik: „Wir sind überwältigt. Diese Solidarität ist unglaublich. Es gibt Omas, die selbst wenig Geld haben, aber für zehn Euro eingekauft haben für die Erdbebenopfer.“ Um die Sachspenden lagern zu können, hätten sie alle Aktivitäten im Haus der Gemeinde vorübergehend einstellen müssen.

Frauen der islamischen Gemeinde Röhlinghausen verpackten am Samstag die Sachspende in Umzugskartons.
Frauen der islamischen Gemeinde Röhlinghausen verpackten am Samstag die Sachspende in Umzugskartons. © FUNKE Foto Services | Uwe Ernst

Ab Anfang der Woche sollen die Herner Spenden in drei Lkw auf den rund 3500 Kilometer langen Weg ins Erdbebengebiet geschickt werden. Bis zur Mitte der Woche erwarteten sie noch weitere Sachspenden von Herner Schulen und Firmen, berichtet Nazik. Die Federführung bei dieser gemeinsamen Hilfsaktion habe der Verein „Lohmar hilft“, mit dem ihr Bochumer Kooperationspartner Kollektiv e.V. bereits häufiger zusammengearbeitet habe und der international sehr gut vernetzt sei.

15.25 Uhr, Fußballzentrum in Horsthausen

Kicken für den guten Zweck: 42 Teams der G-, F- und E-Jugend waren beim Benefizturnier von Rot-Weiß Türkspor und Trabzonspor in Horsthausen am Start.
Kicken für den guten Zweck: 42 Teams der G-, F- und E-Jugend waren beim Benefizturnier von Rot-Weiß Türkspor und Trabzonspor in Horsthausen am Start. © FUNKE Foto Services | Sebastian Sternemann

Immer wieder stockt der Verkehr auf der Horsthauser Straße vor dem Fußballzentrum, freie Parkplätze gibt es schon längst nicht mehr. Kein Wunder, denn: Seit 9 Uhr kicken hier 42 Vereins-Teams der G-, F- und E-Jugend aus Herne und anderen Städten wie Recklinghausen, Bottrop und Essen beim großen Benefizturnier von Rot-Weiß Türkspor und Trabzonspor Herne.

Nach der spontanen Idee für das Turnier hätten sie zwei Tage lang die teilnehmenden Vereine kontaktiert, um dann am Freitag alles Weitere zu organisieren. „Wir waren über die große Resonanz überrascht“, erzählt Fatih Kurt, Jugendleiter von Rot-Weiß Türksport. Zahlreiche Lebensmittelspenden sowie finanzielle Unterstützungen von Firmen hätten sie erhalten. Was für das am Eingang des Sportplatzes aufgestellte (riesige) Buffet noch fehlte, steuerten schließlich Eltern bei.

Fast schon eine Gastro-Meile: Beim großen Buffet konnten sich die Teilnehmenden in Horsthausen stärken. Alle Einnahmen gehen an Erdbebenopfer.
Fast schon eine Gastro-Meile: Beim großen Buffet konnten sich die Teilnehmenden in Horsthausen stärken. Alle Einnahmen gehen an Erdbebenopfer. © FUNKE Foto Services | Sebastian Sternemann

Die Einnahmen aus dem Verkauf der Speisen wollten Vertreter der Vereine persönlich ins Erdbebengebiet bringen. „Man sieht ja sonst nicht, wo das Geld landet. Es gibt Betrüger, die falsche Spendenkonten eröffnet haben“, sagt Kurt.

Die Vereinsvorstände hätten beschlossen, in die Türkei zu fliegen und den Erlös des Benefizturniers vor Ort den Behörden zu übergeben und auch bei Aufräumarbeiten zu helfen. „Rund 17.000 Euro sind zusammengekommen“, berichtet Kemal Sari, Vorsitzender von Rot-Weiß Türkspor.

Fatih Kurt (2.v.li.), Jugendleiter bei Rot-Weiß Türkspor, und die weiteren Organisatoren des Turniers: (v.li.) Timur Baloglu, Osman Daysol, Kemal Sari und Onur Cetinbas.
Fatih Kurt (2.v.li.), Jugendleiter bei Rot-Weiß Türkspor, und die weiteren Organisatoren des Turniers: (v.li.) Timur Baloglu, Osman Daysol, Kemal Sari und Onur Cetinbas. © FUNKE Foto Services | Sebastian Sternemann

Die Familie von Jugendleiter Kurt ist auch persönlich betroffen. Die Mutter seiner Frau und weitere Verwandte hätten mitten im türkischen Erdbebengebiet gewohnt. „Ein Cousin meiner Frau ist gestorben: Er ist lebend aus den Trümmern geholt worden, starb aber im Krankenhaus. Und eine Tante wird noch vermisst“, berichtet der 34-Jährige. Seine Schwiegermutter und weitere Familienmitglieder hätten die Katastrophe überlebt, weil sie die Stadt vor dem zweiten Beben verlassen und sich in Sicherheit gebracht hätten. Ihre Heimat war Kahramanmaraş, also jener Ort, in dem ein Vater die Hand seiner unter Trümmern begrabenen toten Tochter hielt.

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