Herne. . Ein Gespräch mit Tuncay Nazik, Vorstand der Islamischem Gemeinde Röhlinghausen, über die Anforderungen an Muslime und wichtige Zukunftsaufgaben.
Die Situation der Muslime in Deutschland steht im Mittelpunkt der aktuellen Islam-Konferenz, zu der am Mittwoch Bundesinnenminister Horst Seehofer verschiedene Akteure nach Berlin geladen hat. Die WAZ sprach mit Tuncay Nazik von der Islamischen Gemeinde in Röhlinghausen.
Bundesinnenminister Horst Seehofer fordert „einen Islam für Deutschland, einen Islam der Deutschen.“ Was halten Sie davon?
Nazik: Der Minister zielt darauf ab, dass das Land einen Islam braucht, der die Grundwerte der Gesellschaft anerkennt. Da kann ich nur zustimmen, ich würde aber nicht von einem deutschen, sondern von einem europäisch geprägten Islam sprechen. Es gibt ja schließlich auch keinen türkischen oder arabischen Islam. Es muss darum gehen, dass für Muslime, die in Europa leben, die Grundfeste von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit eine Selbstverständlichkeit sind.
Und das ist nicht durchgängig der Fall?
Der überwiegende Teil der Muslime respektiert und akzeptiert die Normen und Werte der westlichen Gesellschaft, auch und gerade bei so viel diskutierten Themen wie der Gleichstellung von Frau und Mann, Frieden oder Menschenrechte. Aber wir haben es bekanntlich auch mit einzelnen Gruppen zu tun, die das westliche System ablehnen oder ihm sehr distanziert gegenüberstehen.
Wie kann man mit dieser Situation am besten umgehen?
Grundsätzlich halte ich es für ganz entscheidend, dass eine gesellschaftliche Atmosphäre herrscht, in der sich Muslime und alle Angehörigen von Religionen wohlfühlen können. Sie sollten sich mit Toleranz und Verständnis begegnen. Wenn man ein solches Miteinander überzeugend lebt, dürften besagte Kritiker oder Gegner Schwierigkeiten haben, mit ihren Argumenten Gehör zu finden.
Nun gibt es aber zahlreiche Stimmen, die auch im Islam selbst eine Ursache dafür sehen, dass seine Anhänger das Wertesystem hierzulande in Frage stellen. Wie stehen Sie zu solchen Aussagen?
Die Geschichte zeigt, dass der Islam sich immer wieder verschiedenen kulturellen Einflüssen angepasst hat. Daher ist auch ein moderner und offener Islam meines Erachtens eine Selbstverständlichkeit.
Die Islamkonferenz befasst sich zudem mit der Frage, welchem Einfluss von anderen Staaten die Moscheegemeinden ausgesetzt sind. Wie verhält es sich bei der Gemeinde in Röhlinghausen?
Wir sind ein unabhängiger Verein, dem rund 50 Familien angehören. Sie bezahlen den Imam, der etwa beim Freitagsgebet spricht und sich um die Seelsorge in der Gemeinde kümmert. Das Amt hat derzeit mein Bruder Ibrahim inne, der an der angesehenen Al-Azhar-Universität in Kairo studiert hat. Er hat sich unter anderem an der Uni Osnabrück weitergebildet und kennt die hiesige Gesellschaft gut.
In die Kritik sind die Ditib-Moscheegemeinden geraten. Die dort lehrenden Imame werden in der Türkei ausgebildet. Nun lautet der Vorwurf, die jetzige Regierung in Ankara nehme über sie nicht nur Einfluss auf hier lebenden Türken, sondern wolle sie auch kontrollieren. Wie denken Sie darüber?
Meines Erachtens nach haben die Ditib-Gemeinden bislang schon wertvolle Arbeit geleistet, und ihnen kommt auch nach wie vor noch große Bedeutung zu. Daher hilft generelle Kritik nicht weiter, sondern es muss konstruktiv miteinander gearbeitet werden. Dabei sollten Probleme selbstverständlich offen angesprochen werden.
Wie ist eigentlich das Verhältnis der verschiedenen islamischen Gemeinden in Herne untereinander?
Wir treffen uns zwar nicht regelmäßig, aber es gibt durchaus einen Austausch und man kennt Vertreter aus den einzelnen Gemeinden.
Welche Aufgaben sehen sie für die Zukunft als besonders wichtig an?
Zum einen müssen wir uns immer wieder ganz klar gegen jedwede Form von Extremismus stellen. Zum anderen sollten wir uns darum kümmern, die eigene Arbeit auch in der Öffentlichkeit dazustellen. In Röhlinghausen veranstalten wir beispielsweise regelmäßig offene Diskussionsrunden zu aktuellen Themen, haben vor kurzem im Schulterschluss mit dem DRK eine Blutspendeaktion organisiert. Wir sollten unser Programm aber durchaus noch ausweiten und auf Menschen zugehen als aktive Mitglieder der Gesellschaft.
>> ZUR PERSON: TUNCAY NAZIK
Tuncay Nazik (43) ist Vorstandsmitglied der Islamischen Gemeinde Röhlinghausen und zugleich dort Jugendleiter. Er ist verheiratet und hat vier Kinder.
In Herne gibt es noch weiterer Moscheevereine, u.a. den Alevitischen Bektasi Kultur Verein in Altcrange und das Bildungs- und Kulturzentrum Herne-Horsthausen. Zum türkisch-islamische Kulturverein Ditib gehören die Moscheen an der Hauptstraße in Wanne und an der Mont-Cenis-Straße.