Herne. Auf der A 43 bei Herne steht eine riesige Schrankenanlage. Celal Güntürk und Helmuth Kordek warten in ihrem kleinen Container auf Falschfahrer.

Alarm! Celal Güntürk und Helmuth Kordek springen auf, schnappen sich den Tablet-Computer, Jacke und Leuchtstäbe und eilen aus ihrem Container nach draußen auf die A 43. Die Schrankenanlage hat ausgelöst. Ein Sattelzug hat die Sperrung für Fahrzeugeüber 3,5 Tonnen ignoriert. Auf zwei von drei Spuren stehen die Ampeln auf Rot. Jetzt muss alles ganz schnell gehen mitten im rauschenden Verkehr auf der A 43 bei Herne. Celal Güntürk winkt und dirigiert. „Knappe Minute“, bilanziert der 48-Jährige. Es rollt wieder auf der A 43.

  • Die Schrankenanlage wurde aufgebaut, um zu verhindern, dass schwere Fahrzeuge auf die beschädigte Brücke über den Rhein-Herne Kanal fahren
  • Ein Team aus 52 Überwachern steuert die Anlagen in Herne und Duisburg
  • Die „Schrankenwärter“ müssen so schnell wie möglich den Verkehr regeln, sobald die Anlage ausgelöst hat
  • Alle Fahrzeuge ab 3,5 Tonnen Gesamtgewicht werden abgeleitet, auch Gespanne mit Anhänger

+++ Alles zum Ausbau der A 43 in Herne, Bochum, Recklinghausen und Witten hier in der Übersicht +++

Arbeitsplatz Container auf der A 43: Wie als Leuchtturmwärter auf einer Hochseeinsel

Celal Güntürk (48, l.) und Helmuth Kordek (55) steuern mit ihrem mobilen Tablet-Computer die Schrankenanlage auf der A 43 bei Herne. Wenn die Anlage ein Fahrzeug gestoppt hat, muss der Falschfahrer binnen kürzester Zeit abgeleitet werden.
Celal Güntürk (48, l.) und Helmuth Kordek (55) steuern mit ihrem mobilen Tablet-Computer die Schrankenanlage auf der A 43 bei Herne. Wenn die Anlage ein Fahrzeug gestoppt hat, muss der Falschfahrer binnen kürzester Zeit abgeleitet werden. © WAZ | Arne Poll

Es ist wohl einer der ungewöhnlichsten Arbeitsplätze im Revier. Celal Güntürk und Helmuth Kordek (55) sind so etwas wie die Leuchtturmwärter auf einer einsamen Hochseeinsel – links Autobahn, rechts Autobahn, vorne und hinten Autobahn. Weil die Brücke einen guten Kilometer weiter keine Lastwagen mehr trägt, hatten sie hier im Januar 2022 eiligst Wiegestation und Ampelanlage aufgebaut. Das geht eigentlich nicht, weil hier alles so eng ist zwischen zwei Abfahrten, mitten in der Baustelle am Autobahnkreuz Herne. Es musste aber gehen, weil ohne Schranke immer noch zu viele schwere Fahrzeuge auf die Brücke fuhren. Also haben sie dann die Spuren getrennt, Ampelanlagen und Schranken aufgebaut und zwei Häuschen dazwischen gesetzt – eines für die menschlichen Bedürfnisse (getrennt nach Männlein und Weiblein) und eines mit Technik, Küche und Büro.

Die Schrankenanlage aus der Autofahrer-Perspektive: Das Häuschen steht zwischen den Fahrbahnen. Es ist der Arbeitsplatz von Helmuth Kordek und Celal Güntürk.
Die Schrankenanlage aus der Autofahrer-Perspektive: Das Häuschen steht zwischen den Fahrbahnen. Es ist der Arbeitsplatz von Helmuth Kordek und Celal Güntürk. © WAZ | Arne Poll

Güntürk und Kordek verbringen hier acht Stunden-Schichten – trotz, sagen wir mal, verkehrsgünstiger Lage – abgeschnitten von der Außenwelt. Zum Schichtbeginn liefert ein Shuttle-Service die beiden ab und nimmt die andere Schicht mit. Dann sind sie auf sich gestellt. Man wolle nicht meckern. „Wir können uns in der Mikrowelle etwas warm machen oder eine Suppe aufgießen“, sagt Helmuth Kordek. Aber: keine Kantine, kein Besuch beim Bäcker. Und der Pizzaservice kann auch nicht halten.

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Schrankenanlage auf der A 43: Ein Berg Ersatzschranken liegt schon bereit

Die Perspektive aus dem Container: Celal Güntürk (l.) und Helmuth Kordek haben auf den Monitoren alles im Blick. Die Daten werden nur bei Verkehrsverstößen aufgezeichnet.
Die Perspektive aus dem Container: Celal Güntürk (l.) und Helmuth Kordek haben auf den Monitoren alles im Blick. Die Daten werden nur bei Verkehrsverstößen aufgezeichnet. © WAZ | Arne Poll

Kordek sitzt nur einen guten Meter Luftlinie entfernt von der Fahrbahn und schaut auf die Monitore. Beton-Leitplanken schützen den Container. Bislang ist noch niemand hineingefahren. Toi, toi, toi. Anders als bei den Schranken: „Da kracht es häufiger“, sagt Güntürk. Und das ist wörtlich gemeint. Ein ganzer Haufen Ersatzschranken liegt griffbereit für den Fall, dass etwas passiert. Wie beim Formel 1-Boxenstop können die Aufpasser dann binnen Minuten die Technik tauschen. Auch Ersatzmotoren liegen immer bereit.

Direkt neben den Schranken liegt ein Haufen an Ersatzschranken bereit. Die Schranken können bei Unfällen binnen kürzester Zeit gewechselt werden.
Direkt neben den Schranken liegt ein Haufen an Ersatzschranken bereit. Die Schranken können bei Unfällen binnen kürzester Zeit gewechselt werden. © WAZ | Arne Poll

Gut 100.000 Fahrzeuge, schätzt die Autobahn GmbH Westfalen, rollen hier am Tag vorbei. Die ersten Kameras erfassen Autos und Lastwagen in Fahrtrichtung Münster schon vor Herne-Eickel. Zwischen Eickel und Kreuz Herne wird dann sortiert. Alle Fahrzeuge über 3,5 Tonnen sollen im Kreuz Herne auf die A 42 fahren. Wer nicht abfährt, wird von den Sensoren der Wiegeeinrichtung erfasst. Das sind unscheinbare Schleifen im Boden. Die Sensoren wiegen, messen und erkennen sogar, ob es ein Auto mit Anhänger oder zwei Autos sind. „Wir speichern keine persönlichen Daten“, sagt Darius Michalczyk. Der 45-Jährige leitet für die Autobahn GmbH Westfalen die Bauüberwachung für die A 43. Wer falsch fährt, hat Pech gehabt und wird auch fotografiert. Das Foto geht direkt an die Stadt Herne. 200 Euro kostet der Verstoß. Etwa 12.000 Fahrzeuge wurden innerhalb des ersten halben Jahres erwischt.

Anspruchsvolle Situation: Ein Falschfahrer und ein Rettungswagen gleichzeitig

Falschfahrer blinkt auf dem Monitor auf. Ein Alarm geht an. Die Schrankenanlage hat ausgelöst.
Falschfahrer blinkt auf dem Monitor auf. Ein Alarm geht an. Die Schrankenanlage hat ausgelöst. © WAZ | Arne Poll

Auf dem Tisch liegt eine Strichliste. Elf Falschfahrer waren es zwischen 6 und 11 Uhr. Das sei viel besser, seit die neuen LED-Schilder stehen. Vorher waren es im gleichen Zeitraum 40 bis 60, sagt Kordek. Mit dem Finanziellen haben Helmuth Kordek und Celal Güntürk nichts zu tun. Der nächste Alarm! Es piept drinnen und draußen. „Falschfahrer“ blinkt bei Günther Kordek auf dem Monitor auf. Daneben erscheint ein Lastwagen. Gleichzeitig kommt über die Leitstelle ein weiterer Alarm rein. Ein Rettungswagen muss durch. Der hat zwar über 3,5 Tonnen, darf aber mit Ausnahmegenehmigung nicht ausgebremst werden. Stress pur. Für die Überholspur übersteuert Güntürk die Anlage, so dass sie Dauer-Grün zeigt. Der Rettungswagen fährt durch. Die rechte Fahrbahn und auch die Abfahrt zur A 42 werden aber wie immer bei Falschfahrern dicht gemacht.

+++ Hintergrund: Neue Schilder auf A 43 ein Erfolg gegen Falschfahrer +++

Die Schrankenanlage hat ausgelöst. Die rechte Spur und die Zufahrt zur A 42 sind dicht. Aus dem Pulk der gestoppten Autos muss jetzt der Falschfahrer herausgefischt werden.
Die Schrankenanlage hat ausgelöst. Die rechte Spur und die Zufahrt zur A 42 sind dicht. Aus dem Pulk der gestoppten Autos muss jetzt der Falschfahrer herausgefischt werden. © WAZ | Arne Poll

Es ist ein ausgeklügeltes System. Ganz hinten stehen nun alle. In der Mitte befindet sich der Falschfahrer in einem Pulk von Autos. Zunächst öffnen Kordek und Güntürk mit dem Tablet die erste Schranke. Die Autos, die durch den Alarm mit „gefangen“ wurden, können durch. Dann kommt der Lastwagen an die Reihe. Er wird durch eine Lücke in den Leitplanken auf die extra für ihn gesperrte Abfahrt zur A 42 dirigiert.

Wiegeanlage ist 24 Stunden an 365 Tagen im Jahr besetzt

Der Fahrer macht das Fenster runter, will diskutieren. „Es kommt häufiger vor“, sagt Kordek. „Aber wir müssen Gas geben. Die Spur muss wieder frei werden.“ Er reicht schnell einen Prospekt hinein. „Wir haben die Flyer in acht Sprachen herausgegeben“, sagt Darius Michalczyk. Er setzt auf Aufklärung. Denn jedes Fahrzeug weniger, das in die Anlage gerät, mache auch weniger Stau. Geschimpft wird oft. „Es gibt aber auch Leute, die den Daumen nach oben zeigen“, sagt Helmuth Kordek. „Das tut gut.“

Ruhe tritt hier nicht ein, solange die Ersatzbrücken über den Rhein-Herne-Kanal nicht gebaut sind. Die Häuschen sind 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr besetzt. Für die Teams (immer zu zweit im Einsatz) heißt das: zwei Tage Frühschicht, zwei Tage Mittagsschicht, zwei Tage Nachtschicht und dann vier Tage frei. „In diesem Jahr sind wir zum ersten Mal auch Heiligabend hier“, sagt Kordek, der die Ruhe selbst ausstrahlt, wenn er nicht gerade aufspringen und rauslaufen muss. Weihnachten mit Falschfahrern…

Unternehmen VSV hat eine neue Sparte – 52 Überwacher in Herne und Duisburg

Hier wird gewogen: Sensoren im Boden erfassen die Fahrzeuge. Wer gegen die 3,5-Tonnen-Regel verstößt, muss zahlen.
Hier wird gewogen: Sensoren im Boden erfassen die Fahrzeuge. Wer gegen die 3,5-Tonnen-Regel verstößt, muss zahlen. © WAZ | Arne Poll

Der Betrieb der Schrankenanlagen ist ein kleines Jobwunder. 52 Überwacherinnen und Überwacher hat das beauftragte Unternehmen VSV aus Montabaur an der A 43-Schranke in Herne (und in Gegenrichtung in Recklinghausen) und an der Rheinbrücke in Duisburg im Einsatz. Dazu kommen vier aktive Schichtleiter, plus Menschen in der Verwaltung.

„Man muss im Team funktionieren und eine gewisse Technikaffinität haben“, sagt Nicky Leikauf. Der 48-Jährige ist Oberschichtleiter für Duisburg und Herne bei VSV und Zeppelin, die gemeinsam im Auftrag der Autobahn GmbH die Anlage betreiben. Schrankenwärter für die Autobahn sei bekanntermaßen kein Lehrberuf. Man suche aber gezielt Menschen, denen man diese Verantwortung auch zutraue, erklärt Leikauf. Eigentlich macht das Unternehmen Verkehrssicherung. Dann kam die Leverkusener Brücke. Und damit wuchs eine neue Sparte heran. „Wiegeanlagen“, heißt sie offiziell. Herne und Duisburg sind die Standorte zwei und drei. Und wer weiß, was noch kommt.

Eine vollautomatische Anlage ohne Personal sei aktuell eher ausgeschlossen. „Man kann nicht sicherstellen, dass sich alle an die Anweisungen halten“, sagt Nicky Leikauf. Das Risiko sei zu groß, dass jemand, der abgeleitet werden soll, nicht abfährt und dann viel länger als nötig den Verkehr aufhält.

Ein Autotransporter wird abgeleitet. Was viele nicht wissen: Die 3,5 Tonnen gelten fürs Gesamtgewicht. Anhänger fallen oft darunter.
Ein Autotransporter wird abgeleitet. Was viele nicht wissen: Die 3,5 Tonnen gelten fürs Gesamtgewicht. Anhänger fallen oft darunter. © WAZ | Arne Poll

Celal Güntürk und Helmuth Kordek sind unterdessen wieder zum nächsten Alarm draußen. „Weiterfahren“, brüllt Güntürk hart aber herzlich und gibt dem falschfahrenden Autotransporter klare Anweisungen mit der Leuchtkelle. Das kann so keine Automatik.
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