Herne. Kaum Regeln, ständige Notbetreuung: Eltern liegen im offenen Zwist mit einer Kita-Leiterin. Was die Eltern erzürnt und die Leiterin entgegnet.
- Mit der Kita-Leitung im Streit sind Eltern der Kita Kunterbunt in Eickel.
- Vorwürfe: Ständige Notbetreuung, keine Regeln, freiwilliges Mittagessen und beißende Kinder.
- Kita-Leiterin sagt: „Wir begleiten die Kinder auf Augenhöhe.“
Eltern der Kita Kunterbunt in Herne-Eickel sind verzweifelt. Sie liegen im Dauerstreit mit der Leiterin der Einrichtung und klagen über dramatische Zustände. Notbetreuung als Dauerlösung, keine Regeln für die Kinder, freiwilliges Mittagessen und beißende Kinder – das sind nur einige Punkte, über die eine Gruppe von Eltern (alle Namen sind der Redaktion bekannt) stellvertretend gegenüber der WAZ spricht. Bereits vor einem Jahr haben sie sich in einem Brief an den Evangelischen Kirchenkreis als Träger und die Kita-Leiterin gewandt. Bisher ohne Besserung.
Verschärft hätten sich die Probleme seit der Corona-Pandemie. Zu dieser Zeit wurde das Prinzip der Notbetreuung in den Kitas offiziell eingeführt. Seitdem sei dieses „Notfall-Instrument“ zur Dauerlösung geworden, klagen die Eltern. 37 Mal habe die Kita im vergangenen Kita-Jahr zusätzlich zu den „normalen“ Schließ- und Urlaubstagen nur die Notbetreuung angeboten. Allein in diesem Kita-Jahr sind es schon 18 Tage – auch in dieser Woche hängt wieder ein entsprechender Info-Zettel an der Tür der Kita.
Herne: Ständige Notbetreuung macht Eltern massiv Probleme
Bei der Notbetreuung dürfen meist nur berufstätige Eltern ihre Kinder bringen oder alle Kinder müssen bereits mittags abgeholt werden. Teilweise komme die Information erst morgens, wenn die Kinder bereits in der Kita seien und sie müssten wieder abgeholt werden. „Zwei Mütter haben bereits ihren Job verloren, weil sie das Kind nicht betreut bekommen haben“, erzählt eine Mutter, die selbst einen Vollzeit-Job hat und ständig auf das Verständnis des Chefs angewiesen sei.
Das Schlimme aus ihrer Sicht: „Es ist kein Ende und keine Besserung in Sicht. Immer zu sagen, dass kein Personal da ist, reicht irgendwann nicht mehr.“ Zumal die Eltern die schlechte Stimmung in der Kita als Ursache dafür sehen, dass altes Personal gehe und kein neues zu dieser Kita wolle. Dieses Hin und Her hat Folgen für die Kleinen: „Unsere Kinder wollen gar nicht mehr in die Kita“, bedauert eine Mutter.
Corona und Fachkräftemangel als Problem für Kitas
Markus Mieberg, Geschäftsführer der Kitas im Evangelischen Kirchenkreis, kann den Unmut der Eltern verstehen: „Ich habe volles Verständnis. Wir schließen Betreuungsverträge mit den Eltern und sie haben natürlich Interesse an einem verlässlichen Verhältnis.“ Dennoch bittet auch er darum, die schwierige Situation der Kitas derzeit zu berücksichtigen: „In den Kitas brechen uns Mitarbeiter aufgrund von Erkrankungen weg und der Fachkräftemangel fällt uns zudem ganz massiv auf die Füße.“ Die Abwärtsspirale verschärfe sich aufgrund der Belastungssituation in der Kita. „Wir stellen fest, dass die Mitarbeiter auf dem Zahnfleisch gehen“, so Mieberg. Die personelle Situation sei auch in den anderen evangelischen Kitas in Herne sehr schwierig, in der Kita Kunterbunt allerdings überproportional.
Doch es geht den Eltern nicht nur um die Betreuungszeiten. „Der Kindergarten hat überhaupt keine Struktur mehr“, klagt eine Mutter. „Es gibt keine Regeln, die Kinder dürfen selbst entscheiden, was sie machen.“ Das pädagogische Konzept der Partizipation der Kinder werde, so die Meinung der Eltern, falsch ausgelegt. So gebe es kein gemeinsames Mittagessen, sondern die Kinder dürften selbst entscheiden, ob sie weiterspielen oder essen wollen. „Unser Sohn kommt immer komplett ausgehungert nach Hause“, sagt ein Vater. Die Kinder entscheiden laut der Eltern selbst, ob sie im Winter im Kleidchen rausgehen oder eine Jacke anziehen wollen. „Wo hört Partizipation auf und fängt Kindeswohlgefährdung an?“, fragt dazu eine Mutter.
Kita-Leiterin: „Wir begleiten die Kinder auf Augenhöhe. Sie dürfen selbst entscheiden“
Die Leiterin der Kita, Silke Haendel, betont, dass es natürlich Regeln gebe, diese aber nicht zum Selbstzweck existierten, sondern situativ angewandt werden. „Wir begleiten die Kinder auf Augenhöhe und arbeiten bedürfnisorientiert und partizipatorisch.“ Die Pädagogik habe sich geändert zu einem Bild von einem eigenständigen sich selbst bildenden Kind. „Wie ein Säugling schon schreit, wenn er Hunger hat, so kann man auch einem Kita-Kind vertrauen.“ Die Kita habe ein gleitendes System für das Mittagessen, wo die Kinder zwischen 11.15 und 13 Uhr selbst bestimmen könnten, wann sie essen wollen und die Kinder würden dazu eingeladen: „Wann und wie viel es isst, kann das Kind selbst entscheiden.“ Fotos der Kinder würden gemacht, um den Überblick zu behalten.
Die Eltern beklagen den Umgang mit einem Beiß-Problem, das es seit einiger Zeit in der Kita gebe. Dieses werde damit abgetan, dass das der Urinstinkt von Kindern sei. Ein Sohn sei mit blutiger Bisswunde nach Hause gekommen und fand das „normal“, sagt der Vater kopfschüttelnd. Nun beiße auch er, um Konflikte zu lösen. „Wir arbeiten nicht mit Strafen“, sagt die Kita-Leiterin dazu. „Wir sehen das Bedürfnis der Kinder und uns ist es wichtig, beide Kinder zu begleiten.“ Kinder in dem Alter hätten noch kein Empathie-Empfinden.
Träger stellt Konzept der offenen Pädagogik nicht in Frage
„Offene Pädagogik heißt nicht, dass jeder tun und lassen kann, was er will“, stellt Mieberg klar. Gewalt und Beißen gehöre nicht zu den Lösungswegen für Konflikte in den evangelischen Kitas. Das Konzept der offenen Pädagogik werde in allen evangelischen Kitas gelebt und jeweils vor Ort mit Leben gefüllt. Dieses Konzept sei den Eltern bekannt, wenn sie ihre Kinder in der Kita anmelden. „Das pädagogische Konzept werden wir nicht in Frage stellen“, betont der Chef der evangelischen Kitas in Herne, „aber die Art und Weise, wie es adaptiert wird, durchaus.“ Das gehe jedoch nur in einem engen Austausch mit den Eltern.
Bereits vor einem Jahr richteten die Eltern in ihrer Unzufriedenheit und zum Teil Verzweiflung einen vierseitigen Brief an den Träger und die Kita-Leitung, der auch der WAZ vorliegt. „90 Prozent der Eltern haben ihn unterschrieben“, sagt eine Mutter. Seitdem hat es vier Treffen mit Mediatoren gegeben. Geändert habe sich nichts, sagen die Eltern.
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Markus Mieberg setzt große Hoffnung in diese sogenannten Supervisionen. Er stellt klar: „Ich habe vollstes Vertrauen in Frau Haendel und wir müssen gucken, dass wir in dieser Gemengelage eine gute Lösung finden.“ Die derzeitige Situation sei für alle Seiten unbefriedigend. „Diese Baustelle – diese Kita – haben wir erkannt und arbeiten daran“, verspricht Mieberg. „Damit Eltern und Kinder eine schöne Kindergartenzeit haben.“