Herne. Jeden Tag rund 50 Corona-Impfungen, seit Wochen auch samstags. Wie eine Herner Arztpraxis das bewältigt und was sie am Impf-System kritisiert.

Arm freimachen, desinfizieren, kurzer Piks und Pflaster drauf – keine Minute dauert es, ehe Andrea Walter (56) ihre Booster-Impfung erhalten hat. „Endlich“, sagt sie. „Viel zu viel Bürokratie“, sagt der Arzt. In seiner Arztpraxis am Herner Hauptbahnhof impft Dr. Markus Bruckhaus-Walter gemeinsam mit seinem Kolleginnen und Kollegen nun schon seit Monaten Tag für Tag etliche Menschen. Das größte Ärgernis für ihn dabei sind nicht etwa diejenigen, die sich erst jetzt für eine Immunisierung entscheiden, da ist er Pragmatiker: „Jeder Geimpfte ist einer mehr.“ Es ist die Bürokratie, die seinen Arzthelferinnen Zeit, Kraft und letztlich auch die Freude an der Arbeit raube.

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An diesem Samstag herrscht in der großzügig zugeschnittenen Praxis an der Bahnhofstraße geschäftiges Treiben. „Ahoi“, begrüßt Bruckhaus-Walter die Patientinnen und Patienten. Er und seine Kollegin Dr. Astrid Schwarz begleiten die Impflinge für die Immunisierung gegen das Coronavirus in die Behandlungszimmer. Dem geht allerdings ein mühsamer Prozess der Anmeldung voraus. „Wo wurden Sie bisher geimpft? Bei uns oder woanders“, fragen die Arzthelferinnen Lina Mieling (22) und Larissa Hillmeister (39) am Empfang. Die Antworten darauf ganz unterschiedlich: Im Impfzentrum, bei Ihnen, im Impfbus. . .

Hernerinnen und Herner halten Impftermine zuverlässig ein

„Lesen Sie sich bitte das Aufklärungsmerkblatt durch und fühlen Sie den Anamnesebogen und die Einwilligung aus“, bitten die beiden Arzthelferinnen die Impflinge am Samstagvormittag mehrfach. „Die jüngeren Leute bringen das meistens schon alles ausgedruckt mit“, sagt Larissa Hillmeister. „Dann geht es etwas schneller.“ Bringt eine Patientin oder ein Patient die Papiere nicht bereits ausgefüllt mit, ziehe das die Anmeldung in die Länge. Zeit, die die Menschen mit anderen, möglicherweise infektiösen Menschen, im Wartezimmer verbringen. „Obwohl wir es immer dazu sagen, vergessen die Leute ganz oft die Rückseite“, sagt Hillmeister und ruft ins Wartezimmer: „Herr Grüning, bitte!“ Von dort schalt es zurück: „Ich bin noch gar nicht fertig!“ Larissa Hillmeister lächelt wissend, „den Rest können Sie im Behandlungszimmer ausfüllen.“ Sie antwortet freundlich, aber bestimmt.

In der Herner Arztpraxis an Bahnhofsstraße gab es für die gesamte Woche fünf Dosen des Impfstoffs von Biontech. „Wir können aus einer Ampulle im Schnitt fünf bis sechs Impfdosen ziehen“, so Dr. Bruckhaus Walter.
In der Herner Arztpraxis an Bahnhofsstraße gab es für die gesamte Woche fünf Dosen des Impfstoffs von Biontech. „Wir können aus einer Ampulle im Schnitt fünf bis sechs Impfdosen ziehen“, so Dr. Bruckhaus Walter. © FUNKE Foto Services | Walter Fischer

„Die Patienten erscheinen sehr zuverlässig zu ihren Impfterminen“, berichtet Dr. Bruckhaus-Walter. Die Quote liege bei 99 Prozent. Er wendet sich an Lina Mieling, fragt: „Wo stehen wir?“ „Bis jetzt waren alle da“, antwortet die junge Arzthelferin, die hinter eine durchsichtigen Scheibe sitzend emsig am Rechner arbeitet und zwischendurch aufblickt, wenn neue Impflinge zur Anmeldung eintrudeln. In einer ruhigen Minute erzählt sie: „Das Telefon klingelt unter der Woche eigentlich durchgängig. Seit letzter Woche ist es wieder massiv geworden mit der Nachfrage.“ Einige Menschen seien sehr unhöflich, wenn sie nicht sofort einen Termin kriegten. „Das kann ja nicht sein, was ist das für ‘ne Praxis“, heißt es dann. „Und das ist noch harmlos.“

Herner Arzt: Anmeldungsprozess ist zu kompliziert

In der Gemeinschaftspraxis der vier Hausärzte werden aktuell 20 Arzthelferinnen beschäftigt. Markus Bruckhaus-Walter weiß um die enorme Belastung, der „meine Damen“, wie er sie nennt, ausgesetzt sind. „Da bleibt keine Zeit für eine freundliche Nachfrage, für ein ,Wie geht es Ihnen?’“, sagt er. „Dabei brauchen das viele Menschen gerade in dieser Zeit, vor allem die älteren Mitbürger.“ Es sei unpraktisch, dass eine Impfung, die an sich gerade mal eine Minute dauere, so kompliziert in der Anmeldung sei.

„Bei neuen Patienten dauert die Anmeldung circa acht Minuten, bei bekannten Patienten etwa fünf“, erklärt der Mediziner. „Unsere Damen geben das alles händisch ein. Die vorherigen Impfungen, die Patientendaten. Das läuft übers Land und nicht über die Krankenkassen.“ Dabei, merkt er an, wäre es viel einfacher, wenn die Impf- und Personendaten mit Eingabe einer identifizierenden Kennung, wie der Krankenversicherungsnummer, in einer Software abrufbar wären.

Arztpraxis an der Bahnhofstraße impft täglich rund 50 Menschen

Trotz des enormen Aufwands – in der Bahnhofstraße werden unter der Woche täglich rund 50 Patientinnen und Patienten gegen das Coronavirus geimpft. Alles neben dem normalen Praxisbetrieb. Seit sechs Wochen werden auch samstags Termine angeboten, von 9 bis 12 Uhr. Alle fünf Minuten ein neuer Impfling, das macht 50 insgesamt. „Falls jemand seinen Termin versäumt, haben wir eine Stand-by-Liste. Die Menschen werden informiert, dass Sie sich für alle Fälle bereit halten sollen.“

Auf die Frage, ob er nicht müde, es leid sei, antwortet Bruckhaus-Walter: „Ich bin traurig und ich bin frustriert.“ Er denkt kurz nach. „Weil Menschen gestorben sind, die sich nicht in die Praxis getraut haben. Corona sorgt dafür, dass die originäre hausärztliche Arbeit versauert“, sagt er. „Ich sehe aber auch viel Dankbarkeit, gerade bei Menschen mit Behinderung oder alten Menschen.“ Er wendet den Blick ab, geht die paar Schritte zum Wartezimmer rüber. „Herr Drossel, Frau Molzahn, die zehn Minuten sind um. Raus mit Ihnen! Nicht, dass Sie sich hier noch einen Schnupfen holen!“

>>> So viel verdienen die Praxen an der Impfung

  • Laut Kassenärztlicher Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) legt das Bundesgesundheitsministerium in seiner Coronavirus-Impfverordnung fest, wie hoch die Vergütung für ärztliche Leistungen bei der Corona-Schutzimpfung ist.
  • Demnach erhalten Ärztinnen und Ärzte 28 Euro je Impfung. An Samstagen, Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen sowie am 24. und 31. Dezember kommt noch ein Zuschlag von acht Euro hinzu.