Herne/Dortmund. Nach dem Rauswurf des Herners Till Beckmann am Dortmunder Theater Fletch Bizzel spitzt sich die Debatte zu. Im Fokus: die Rolle des Vermieters.
Der Trägerverein des freien Dortmunder Theaters Fletch Bizzel hatte dem im Februar eingestellten Leitungsteam - der Herner Till Beckmann und Cindy Jänicke - nach nur wenigen Wochen aus für Außenstehende undurchsichtigen Gründen fristlos gekündigt, das Duo klagt nun dagegen. Der erste Gütetermin für Beckmann vor dem Dortmunder Arbeitsgericht fiel kurzfristig aus, doch neue Hinweise dürften die Position der geschassten Leiter stärken.
Noch nie Einfluss auf die Kunst genommen?
Nach WAZ-Informationen sollen schriftliche Belege aufgetaucht sein, die bestätigen, dass Jochen Niemeyer, Eigentümer und Vermieter des Fletch-Gebäudes, gegenüber dem Trägerverein vor der Kündigung Einfluss auf das Programm nehmen wollte und eine Drohkulisse bezüglich der Verlängerung des Mietvertrags aufgebaut hatte. Dabei hatte das Internet-Portal „Nordstadtblogger“ Niemeyer im Mai unter anderem mit dieser Aussage zitiert: „„Auf die Kunst haben wir überhaupt noch nie Einfluss genommen.“
Wie berichtet, hatte der Herner Verein Pottporus im April die (schon weit gediehenen) Vorbereitungen für eine Urban-Art-Ausstellung im Fletch nach Intervention des Eigentümers - er sprach von Sachbeschädigung - abbrechen müssen. Wenig Raum für Spekulationen lässt ein weiteres Zitat Niemeyers in dem Bericht der „Nordstadtblogger“, das sich auf die Arbeit der neuen Fletch-Leitung bezieht: „Mit Theater hat das ja nichts mehr zu tun.“
Die erste Runde der Klage von Till Beckmann gegen den Trägerverein soll nun voraussichtlich erst im August am Dortmunder Arbeitsgericht nachgeholt werden. Den für Donnerstag angesetzten ersten Gütetermin hatte der Trägervereinsvorsitzende Horst Hanke-Lindemann aufgrund von „Nebenwirkungen einer verabreichten Corona-Schutzimpfung“ bei seiner Anwältin kurzfristig abgesagt.
Vereinsvorsitzender unterbreitet ein Gesprächsangebot
In einem Kommentar unter einem Beitrag von Kabarettist Martin Kaysh (Geierabend) auf Facebook hat Hanke-Lindemann den Vorwurf der mangelnden Transparenz zurückgewiesen und ein Angebot zu einem Austausch unterbreitet. Der Trägerverein lade „alle Interessierten zum Gespräch über die Entwicklung des Fletch Bizzel als weiterhin wichtige und notwendige Spielstätte für Freies Theater in Dortmund ein“. Moderiert werden solle ein solches Gespräch vom Kulturbüro der Stadt Dortmund, erklärt Hanke-Lindemann, der das Fletch vor Beckmann & Jänicke mehr als 35 Jahre geleitet hatte.
Die Nachfrage des Dortmunder Musikers Tommy Finke auf Facebook, ob das Gespräch öffentlich geführt werden solle, blieb unbeantwortet. Und auch das erklärte Finke: Angesichts der Umschreibung „als weiterhin wichtige und notwendige Spielstätte für Freies Theater“ habe er kurz lachen müssen. Denn: „Erst freies Theater verhindern und dann so tun, als ob man es befürworten würde“.
Auch die Journalistin Sabine Brandi, die mit Regisseur Adolf Winkelmann und zwei weiteren Unterzeichnern einen offenen Brief in dieser Angelegenheit an den Dortmunder Kulturdezernenten Jörg Stüdemann geschrieben hatte, reagierte kritisch auf das Angebot Hanke-Lindemanns. Die Einladung enthalte einen gravierenden Konstruktionsfehler: „Das Gespräch soll die Entwicklung des Fletch betreffen. Damit wird ignoriert, dass die jüngste Vergangenheit noch nicht aufgearbeitet ist.
Correctiv-Chef fragt nach der Verantwortung der Stadt
David Schraven, Chef des gemeinnützigen Recherchezentrums „Correctiv“, hält das Gesprächsangebot für reine Taktik. „Das ist aus dem sozialdemokratischen Kultur-Effeff. Verfahren verzögern, Diskussionsangebote machen, aber immer unter der Voraussetzung: alles nicht öffentlich, alles privat, alles hinter verschlossenen Türen“, sagte er am Sonntag im Podcast „Wir und Heute“, den er gemeinsam mit Martin Kaysh betreibt. Mit dieser Masche werde Zeit gewonnen, um die Skandalkurve abflauen zu lassen. Wenn man dann im September sage, „ihr habe im Februar aber Scheiße gebaut“, spiele das schon keine Rolle mehr.
Schraven wirft zudem die Frage nach der Rolle und Verantwortung des Kulturdezernenten Stüdemann „in diesem Skandal“ auf. Der Journalist legt sogar noch eine Schüppe drauf: Man müsste sich mal die gesamte Förderpraxis in der Dortmunder Kulturszene genau anschauen, fordert der Journalist und stellt in Aussicht, dies selbst übernehmen zu wollen.
Kulturdezernent Jörg Stüdemann hatte es in seiner (der WAZ vorliegenden) Antwort auf den offenen Brief von Winkelmann, Brandi Co. unter Verweis auf das laufende Verfahren vermieden, Partei zu ergreifen. Vor der Kündigung seien er und die Leiterin des städtischen Kulturbüros in „den externen Konflikt mit dem Vermieter“ sowie „in den internen Konflikt zwischen neuer Leitung und Verein“ eingebunden gewesen, berichtete er. Alle Versuche, moderierend und deeskalierend auf den Prozess und seine Beteiligten einzuwirken, hätten aber leider nicht gefruchtet.