Herne. Bunt, vielfältig, politisch, stimmungsvoll und wegen der Pandemie erneut nur virtuell: Das war der zweite Christopher Street Day in Herne.
Der zweite Herner Christopher Street Day war: bunt, vielfältig, nachdenklich, stimmungsvoll … – und wegen der Pandemie wie bei der Premiere 2020 leider nur virtuell. Unter den mehr als 20 Film-Clips gab es am Wochenende politische Botschaften, ehrliche Bekenntnisse und künstlerische Beiträge. Einige Schlaglichter auf den CSD 2.
Neuer Verein soll Vielfalt sichtbar machen
„Wir wollen einen Verein gründen, der sich stellvertretend für die Belange von queeren Menschen in Herne einsetzt“, verkündete das Orga-Team des Queeren Jugendforums. An dem über diverse Social Media-Kanäle ausgestrahlten Programms beteiligten sich zahlreiche Gruppen, Einzelpersonen, Institutionen, Vereine und Parteien. Das Ziel: Sie wollten Vielfalt sichtbar machen und positive Vibes verbreiten.
Für positive Schwingungen sorgte auch (mal wieder) das „Bündnis Herne“. In ihrem aus zahlreichen Einzel-Clips montierten Filmbeitrag reichten sie die Regenbogenflagge von Hand zu Hand weiter, um sich anschließend durch Jessica und Markus Gedanken über das queere Herne zu machen: „Vielfalt im Begehren und in der geschlechtlichen Identität waren in unserer Stadt lange Zeit wenig sichtbar“, so ihre Analyse.
Mit ihrer Teilnahme am CSD 2 wollten sie Solidarität gegenüber all jenen erklären, die auch heute noch schmerzlich von feindseligen Äußerungen betroffen seien. Die finale Botschaft an „schätzungsweise 10.000 queere Herner*innen“: „Niemand soll euch dafür anfeinden, wen ihr liebt und welcher geschlechtlicher Identität ihr euch zugehörig fühlt. In euren Kampf gegen Diskriminierung und für gleiche Rechte steht das Bündnis Herne an eurer Seite!“
Linkspartei erinnert an ermordeten Musiker
Sehr präsent war die evangelische Kirche. Superintendentin Claudia Reifenberger erklärte, dass der Kirchenkreis stolz sei und sich darauf freue, den dann hoffentlich „richtigen“ CSD 2022 mit einem Gottesdienst eröffnen zu können. Uwe Leising, evangelischer Pfarrer in Baukau, bekannte, dass er über viele Jahrzehnte „völlig falsche Ansichten“ über LGBT - Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender-Personen - vertreten habe. „Das tut mir heute sehr leid, darum setzte ich mich jetzt für die LGBT-Community ein.“ Er tue das, weil er der festen Überzeugung sei, „dass Jesus wenn er heute leben würde, nicht anders handeln würde“.
Die Linkspartei erinnerte an vergessene Opfer wie Hans Koch, „geboren am 25. August 1914 in Herne, katholisch, Musiker“. Anfang 1942 sei er von den Nazis als „Berufsverbrecher“ nach Paragraph 175 – dieser stellte (bis 1994) sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe - in das KZ Sachsenhausen bei Berlin transportiert worden: „Am 28. Juli 1942 wurde er von der SS ermordet.“ Vor dem früheren Wohnhaus Kochs an der Straßburger Straße 31 in Herne-Mitte gebe es leider keinen „Stolperstein“, der an den Musiker erinnere, betonte die Linkspartei. Andere NRW-Städte pflegten dagegen diese Art der Gedenkkultur.
Stadt gründet Regenbogennetzwerk
„Unsere Herner Stadtgesellschaft ist vielfältig – und das ist gut so“, erklärte Oberbürgermeister Frank Dudda in seinem Grußwort. Die Stadt wolle ein vorurteilsfreies und wertschätzendes Lebensumfeld in allen Bereichen schaffen. Diversity (Vielfalt) sei ein wichtiges Thema in Herne. Das soll nicht nur mit Worten dokumentiert werden: Der städtische Arbeitskreis Gender – ihm gehören die Jugendförderung, die Schulsozialarbeit und das Büro für Vielfalt und Gleichstellung an – berichtete von der Gründung eines „Regenbogennetzwerkes“ in Herne. Dieses solle unter Beteiligung von Kindern und Jugendlichen mit regelmäßigen Angeboten Vielfalt sichtbar machen.
Kein CSD ohne Musik: Als besonderer musikalischer Gast entsandte Oxa – bekannt unter anderem aus dem ProSieben-Format „Voice of Germany“ – aus Hamburg solidarische Grüße nach Herne und performte zwei Songs. Die Herner Sängerin Maryaka steuerte zur akustischen Gitarre ebenfalls einige Stücke bei, während Sven Hensel Poetry Slam sowie Tabauona einen DJ Set auf den Bildschirm brachten.
Katholischer Pfarrer: Unsere Kirche hat viele Menschen verletzt
(Selbst-)Kritische Worte fand der katholische Pfarrer Georg Birwer von der Dionysius Gemeinde. Ihm sei sehr bewusst, dass Lesben und Schwule „durch unsere, durch meine Kirche“ Ausgrenzung erfahren hätten und viele Menschen sich deshalb verletzt fühlten. Vor der Bonifatius-Kirche sei die Regenbogenfahne gehisst worden, um ein Zeichen der Solidarität zu setzen. Für ihn gehörten alle Menschen selbstverständlich dazu - unabhängig von der sexuellen Orientierung. Partnerschaften sollten wertgeschätzt und gesegnet sein, so Birwer.
Tina Jelveh wünschte sich für die Grünen, „dass der CSD Herne bald so groß wird wie der Cranger Kirmesumzug“, damit Herne bald zwei große Festumzüge feiern könne. Und Anna Schwabe forderte für die Grünen ein, dass queere Bildungs- und Jugendpolitik nicht mehr nur größtenteils im Privatbereich stattfinde, „sondern auch von der Kommune organisiert wird“.
Dem problematischen Feld „Islam und Homosexualität“ widmete sich Tuncay Nazik von der Islamischen Gemeinde Röhlinghausen. „Es mag sein“, dass Homosexualität aus theologisch-islamischer Sicht verwerflich sei, „es mag sein“, dass die islamische Vorstellung von Gott, Liebe, Mensch und Partnerschaft eine andere sei, sagte er. Das sollte und dürfe aber nicht dazu führen, homosexuelle Menschen als minderwertig zu behandeln: „Gott hat uns alle erschaffen.“ Gerade Muslime, die wegen ihres Aussehens, religiöser Praktiken oder eines Kopftuchs benachteiligt würden und dies kritisierten, dürften nicht die gleichen Fehler machen und andere Menschen diskriminieren.
Ernste Worte wählte auch CSD-Mitorganisator Laron Janus in seinem Fachbeitrag. „Bei aller Freude: Lasst euch nicht täuschen von Prince und Princess Charming, von Transmodels bei Germany’s Next Top Model, von schwulen Bürgermeistern und Ministern und den Regenbogen, die die großen Unternehmen im Juni überall draufklatschen.“ Strukturen der Benachteiligung existierten weiterhin. Und nicht zuletzt: Menschen, die auf die Anforderung einer modernen Zukunft mit Antworten aus der dunkelsten Vergangenheit reagierten, seien „mitten unter aus“.
CSD mit Hausschlappen und Mineralwasser
Diese gefährlichen politischen Strömungen sollten aber nicht dazu verführen, die Verantwortung für Systeme der Diskriminierung stets bei anderen zu suchen. Janus kritisierte ausdrücklich die Herner SPD-Bundestagsabgeordnete Michelle Müntefering und die gesamte SPD-Bundestagsfraktion, weil diese im Bundestag einen Linken-Antrag mit dem Titel „Fremdbestimmte Operationen an trans- und intergeschlechtlichen Menschen – Aufarbeiten, Entschuldigen und Entschädigen“ abgelehnt hätten – zum Wohle der Koalitionswahrung, so Laron Janus.
Schließlich: Der Grünen-Bundestagskandidat Jacob Liedtke sprach mit diesem Ausblick auf 2022 wohl allen Teilnehmern des virtuellen CSD 2 aus dem Herzen: „In diesem Moment trage ich Hausschlappen, die Pride-Flagge hängt am Kleiderschrank und in meinem Glas sprudelt Mineralwasser. Ich finde, es ist höchste Zeit, dass wir dieser Stadt einen CSD bereiten, wie sie ihn verdient hat und dass wir gemeinsam auf die Straße gehen.“
Das Fazit der Veranstalter
Die Zahl der Zuschauerinnen und Zuschauer der CSD-Beitrage seien leider deutlich niedriger als im vergangenen Jahr, erklärt Laron Janus am Sonntag auf Anfrage. Das liege aber vermutlich auch am Wetter und am EM-Spiel Deutschlands. Das Positive an Videoformaten sei, dass man sie auch künftig noch verbreiten könne.
Die „vielen tollen Beiträge“ zeigten zudem, dass sich zahlreiche Menschen über einen Herner CSD freuten. Und: Queere Themen seien mittlerweile stärker in der Stadtgesellschaft verortet. „Das lässt sich meiner Meinung nach an verstärkten Sensibilitäten und klareren Agenden festmachen“, so Janus.
>>> Grußwort vom SPD-Landesvorsitzenden
Der Christopher Street Day ist ein Fest-, Gedenk- und Demonstrationstag von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender-Personen, der erstmals 1970 in New York organisiert worden ist. In Deutschland fanden 1979 die ersten Veranstaltungen statt.
Am zweiten Herner CSD beteiligten sich mit Grußworten unter anderem auch: das Jugendzentrum Heisterkamp, der SPD-Landesvorsitzende Thomas Kutschaty, Arbeiter-Samariter-Bund Herne, HOT Juengerbistro, Linken-Bundestagskandidat Felix Oekentorp, das städtische Büro für Vielfalt Gleichstellung, der Verein IFAK und die Antidiskriminierungsstelle in Wanne-Eickel.