Bochum. . Acht weitere Stolpersteine werden in Bochum verlegt. Sie erinnern an Ermordete im Dritten Reich. Auch Verfolgte aus Werne gehören dazu.
- 214 Gedenksteine erinnern in Bochum bereits jetzt an Opfer des Nationalsozialismus
- Der Berliner Künstler Gunter Demnig verlegte am Montag in Bochum weitere Stolpersteine
- Engagierte Bürger arbeiten die Schicksale der Opfer ehrenamtlich auf
Viele kennen die Situation: Man läuft durch die Straßen und plötzlich bleibt der Blick am Boden hängen. Goldfarbene Steine mit Namen und Lebensdaten ermordeter Menschen im Nationalsozialismus erinnern an ihre Existenz und die Schrecken des Dritten Reichs. Seit 1996 verlegt der Berliner Künstler Gunter Demnig (69) die sogenannten „Stolpersteine“ vor Orten, an denen die Ermordeten zuletzt lebten. Acht weitere werden nun in den Bochumer Boden eingelassen.
Paten arbeiten Geschichte auf
„Mittlerweile gibt es 214 Stolpersteine in Bochum“, sagt Angelika Karg vom Stadtarchiv. Privatleute, Schulklassen, Vereine oder Firmen finanzieren die Installation der Gedenksteine. Als Paten arbeiten sie die Geschichten hinter den Namen auf und recherchieren zu den jeweiligen Personen. Die Geschichte zweier Bochumer Widerstandskämpfer, denen am Montag Stolpersteine gewidmet wurden, hat die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BDA) – aufgearbeitet: Michael Jendrzejewski und Johann Stangl, zwei Männer aus Werne, starben als politisch Verfolgte.
Stangl, geboren 1885, kam aus der Oberpfalz. „Aus der strukturschwachen Gegend an der Tschechischen Grenze zog er ins Ruhrgebiet und wurde Bauarbeiter“, sagt Günter Gleising, Vorsitzender des VVN-BDA vor Ort. Mit seiner Frau Anna Dräxler zog er in das Haus am Werner Hellweg 407, das immer noch steht. „Damals war Werne eine rote Hochburg und Stangl Mitglied der KPD“, so Gleising. 1933 wurde er zum Stadtverordneten der Partei gewählt, konnte sein Mandat aber nicht antreten, da die Nazis an Macht gewannen. Er floh, wohin – unklar. Erst ab 1936 kann seine Spur historisch wieder hergestellt werden: Stangl kämpfte im Internationalen Bataillon im Spanischen Bürgerkrieg. „Als dieser als verloren galt, musste er erneut fliehen und suchte seine alte Heimat auf, die Tschechoslowakische Republik.“ Als seine Frau lange nichts mehr vom Ehemann hörte, wurde er Ende 1941 für tot erklärt.
Denkmal steht auf Werner Friedhof
„Und auch der Maschinist Michael Jendrzejewski war wahrscheinlich Mitglied der KPD“, vermutet Gleising. Sein Haus in der Waldthausen Straße 4 stand mitten zwischen Bahnanlagen und einer Zeche. 1870 in Preußen geboren, zog es auch ihn ins Ruhrgebiet. Auf der Schachtanlage Robert Müser fand er Arbeit. „Wann er verhaftet worden ist, wissen wir nicht. 1940 wurde er aber im KZ Sachsenhausen für tot erklärt“, so Gleising. An die beiden Männer und sechs weitere Personen erinnert ein antifaschistisches Denkmal am Werner Friedhof – und nun auch zwei Stolpersteine vor ihrem Wohnort.
Schüler recherchieren Familiengeschichte
Dieses Jahr wird Familie Wolff, Emma Schünke, Bertha und Wilhelm Rosenbaum, Siegfried Löwy, EAlfred Hess, Michael Jendrzejewski und Johann Stangl mit den kleinen Metallplatten gedacht.
Auch Schüler des Erich-Kästner-Gymnasiums haben eine Patenschaft übernommen und recherchierten zu den Familien Wolff und Spiegel.
Dafür haben sie im Bochumer Stadtarchiv und im Landesarchiv in Münster recherchiert.
Durch den Verkauf von Waffeln und Spenden kamen schließlich 840 Euro zusammen.
Gunter Demnig über sein Projekt zum Gedenken an die Opfer des Holocaust:
Wie kam die Idee zum Projekt Stolpersteine?
1990 habe ich eine Schriftspur an einem Haus in Köln angebracht: „Mai 1940: 1000 Roma und Sinti“, um an ihre Deportation zu erinnern. Eine ältere Dame, sichtlich eine Zeitzeugin, sagte mir im Vorbeigehen: „Was Sie machen, ist schön, hier wohnten aber keine Zigeuner“. Da wurde mir klar, dass sie es nicht gewusst hat, wer in ihrer Nachbarschaft wohnte. Ab da wollte ich die Namen da hinbringen, wo Menschen abgeholt und deportiert wurden. Mittlerweile gibt es über 60000 Steine in 21 EU-Ländern.
Im vergangenen Jahr wollten Sie sogar in Weißrussland Stolpersteine verlegen. Wo liegen die Grenzen Ihres Projektes?
In Weißrussland hat sich die Verwaltung der Stadt Minsk dagegen gesperrt, sie wolle selbst ein zentrales Denkmal errichten. Grenzen gibt es für mein Projekt nicht, aber Widerstände. Das ist verständlich, denn das bedeutet, sich mit der eigenen Vergangenheit auseinander zusetzen. Auch in den Niederlanden hatte ich anfangs Probleme, die sich aber schnell lösten.
Welche Wirkung erhoffen Sie sich von den Stolpersteinen?
Nach einem Projekt an einer Hauptschule fragte ein Reporter einen Schüler, ob Stolpersteine nicht gefährlich seien – man stolpere ja dabei. Seine Antwort fand ich sehr gut: Man stolpert ja nicht mit den Beinen, sondern mit dem Kopf und dem Herzen. Außerdem muss sich der Betrachter beugen, um die Beschriftung zu lesen. Damit verbeugt er sich gleichzeitig vor dem Opfer.
Welche Bedeutung haben die Steine in der heutigen Zeit?
Damals wie heute sind viele Menschen auf der Flucht. Auch wenn der Holocaust zum Glück vorbei ist, stellen sich junge Menschen die Frage, wie das damals passieren konnte. Krieg kann vorkommen, aber der Holocaust ist etwas Einmaliges, Unverständliches. Mit Aussagen wie denen von Björn Höcke müssen wir leben. Ich habe sogar Morddrohungen erhalten, es gehört dazu. Doch wir müssen uns mit ihnen auseinandersetzen.