Herne. Ein Jahr Corona in Herne: OB Frank Dudda im Interview über die aktuelle Lage, Wege aus der Pandemie, die Cranger Kirmes 2021 und Kritik am KOD.

Vor einem Jahr trat in Herne der erste Corona-Fall auf. Seither hat sich viel verändert in der Stadt. Ein Jahr Corona – darüber sprach die WAZ mit Hernes Oberbürgermeister Frank Dudda (SPD).

Anfang März 2020 hat sich der erste Herner mit Corona infiziert. Ein Jahr später sind es 6400. Wo steht Herne ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie?

Herne steht nach wie vor unter Druck. Mit erheblichem Kraftaufwand haben wir die Pandemie im Griff. Das ist eine schwierige Aufgabe, weil wir immer wieder neue Wendungen erleben. Im Moment kämpfen wir gegen die britische Mutation. Aber insgesamt standen wir mit unseren Systemen durchgehend stabil da. Wir hatten den festen Willen, Stand zu halten – und wir haben Stand gehalten. Und: Wir werden die Pandemie auch in ihren nächsten Etappen mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung bewältigen.

Das lief bislang schlecht: die Abstimmung zwischen Stadt und Land in der Schulpolitik, sagt OB Frank Dudda. Im Bild: Joud (10) aus der 4a der Freiherr-vom-Stein-Grundschule in Herne.
Das lief bislang schlecht: die Abstimmung zwischen Stadt und Land in der Schulpolitik, sagt OB Frank Dudda. Im Bild: Joud (10) aus der 4a der Freiherr-vom-Stein-Grundschule in Herne. © FUNKE Foto Services | Alexa Kuszlik

Was ist gut gelaufen bei der Corona-Bekämpfung, was schlecht?

Schlecht war zum Beispiel im Schulbereich die Abstimmung des Landes mit den Kommunen. Das hat uns als Stadtverwaltung immer wieder vor Herausforderungen gestellt und führte zu Unmut in der Bevölkerung. Gut lief, dass wir in Herne zu keiner Zeit in der Situation waren, die Kontrolle zu verlieren. Wir konnten immer die richtigen und wichtigen Schritte zur Pandemie-Bekämpfung einleiten. Gut lief auch, dass unsere Mannschaft mit hoher Konzentration, großem Leistungswillen und enormer Zähigkeit auch Rückschlägen standgehalten hat – selbst als wir im November bei einer Inzidenz von über 350 bis zur Halskrause strapaziert waren.

Die 300er-Marke hatte Herne auch zu Weihnachten übersprungen.

Ja, wir waren auch über die Feiertage alle eingespannt, von Ordnungsdienst über Gesundheitsamt oder Feuerwehr, Pressestelle und Rettungsdienst bis hin zu den Krankenhäusern, außerdem der Leiter des Krisenstabs, Dr. Burbulla, und Gesundheitsdezernent Chudziak. Wir haben uns in dieser Hochphase quasi alle zwei Stunden abgestimmt. Ich muss ehrlich sagen: Irgendwann war ich soweit und habe gedacht: Jetzt ist es genug. Trotzdem: Wir haben uns geschüttelt, und danach ging es weiter.

Kann die Cranger Kirmes so wie geplant im August stattfinden?

Ein 1:1-Format mit Eröffnungsveranstaltung im Festzelt und Festumzug wird es im Jahr 2021 noch nicht geben können. Mitte März schauen wir, wohin die Reise gehen könnte. Im Moment läuft die Zeit gegen Großveranstaltungen. Aber: Eine wie auch immer geartete Veranstaltung im Sommer auf Crange ist im Moment unser Ziel.

In diesem Jahr, kündigt der OB an, kann es keine Cranger Kirmes wie üblich geben.
In diesem Jahr, kündigt der OB an, kann es keine Cranger Kirmes wie üblich geben. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Auffällig ist, dass die Inzidenz in Herne oft höher liegt als in anderen Städten. Woran liegt das?

Für dieses Phänomen gibt es unserer Meinung nach viele Faktoren. Neben vielen Großbaustellen liegt es derzeit auch daran, dass wir mit sechs Krankenhäusern auf 51 Quadratkilometern die dichteste Krankenhauslandschaft in Nordrhein-Westfalen haben. Das ist in nicht-pandemischen Zeiten ein Segen für Herne. Aber in Anbetracht von Corona eben auch ein Risiko, das man nicht gänzlich abschalten kann. Unsere Krankenhäuser haben eine regionale Versorgungsfunktion, und mit den Tausenden Patienten, die aus anderen Städten täglich nach Herne kommen, tragen wir eine Kontakt-Sonderlast. Zum Vergleich: In Studentenstädten gibt es ein ganz anderes Bild. Da sind die Inzidenzen oft geringer, weil sich die Studenten seit Monaten gar nicht mehr dort aufhalten, sondern zu Hause, wo sie herkommen. Dort tragen sie zur Kontaktdichte bei. Und nicht zuletzt: Herne liegt mitten im Ruhrgebiet. Sehr viele Menschen pendeln in der Region.

Erst Fraktionschef, dann Oberbürgermeister

Frank Dudda (57) ist seit 2015 Oberbürgermeister in Herne. Zuvor war er Geschäftsführer des Bundesverbands selbstständiger Physiotherapeuten (IFK e.V.).

Von 1994 bis 2015 war Dudda SPD-Ratsherr in Herne und seit 2004 SPD-Fraktionsvorsitzender.

Sein Abitur machte er am Otto-Hahn-Gymnasium in Herne. Nach dem Grundwehrdienst studierte er Jura an der Ruhr-Uni Bochum. 1996 promovierte er. Frank Dudda ist verheiratet und hat einen Sohn.

Im Dezember 2020 wurde Dudda im ersten, direkt gewählten Ruhrparlament, der Verbandsversammlung im Regionalverband Ruhr (RVR), zum neuen Vorsitzenden gewählt. Außerdem ist Dudda seit November Vorsitzender des Rates der Emschergenossenschaft.

Wie stark hat Corona die Stadt in einem Jahr ausgebremst?

Corona bremst uns doch alle jeden Tag aus. Das ist nicht gut für die Psyche der Menschen – und das ist nicht gut für die Psyche der Stadtgesellschaft. Ich nehme in der Bevölkerung mittlerweile eine Mischung aus Unverständnis, Wut und Erschöpfung wahr. Und natürlich wird auch die Verwaltung ausgebremst. 90 Prozent des Tages ist mit Corona-Pandemiebekämpfung gefüllt. Deshalb liegt vieles auf Eis, nehmen wir als Beispiel Großprojekte oder Umwelt- und Verkehrsthemen. Das ist auch kein Wunder: Mitarbeiter werden woanders eingesetzt, etwa für Kontrolldienste oder die Kontaktverfolgung. Aber: Ich nutze jede freie Minute, um die Projekte, die wichtig für die Zukunft der Stadt sind, voranzutreiben. Und da sieht man ja auch Resultate, etwa die positive Entwicklung auf der Bahnhofstraße mit den Neuen Höfen oder dem Startschuss für den Bau des Europagartens. Aber klar ist auch: Ob alle Investoren ihre geplanten Projekte starten können, weiß niemand.

Viele über 80-Jährige sind frustriert bis entsetzt über die Terminvergabe für die Impfungen. Manche aus der ersten Impfgruppe haben noch immer keinen Termin. Wie bewerten Sie die Terminvergabe, die ja von der Kassenärztlichen Vereinigung organisiert wird?

Dafür kann man sich nur schämen. Ich habe dafür geworben, dass wir als Kommunen die Impftermine vergeben. Das Land hat aber gesagt, dass die Kassenärztliche Vereinigung das besser könne. Das Ergebnis sieht man – und wir als Stadt bekommen täglich bitterböse Briefe, dass wir die Terminvergabe nicht hinbekämen. Dabei haben wir damit nichts zu tun. Immerhin: Bei den unter 80-Jährigen soll die Terminvergabe nun anders laufen. Das ist gut so.

Schwierige Terminvergabe. Im Bild: das Herner Impfzentrum im Revierpark Gysenberg.
Schwierige Terminvergabe. Im Bild: das Herner Impfzentrum im Revierpark Gysenberg. © FUNKE Foto Services | Klaus Pollkläsener

Kommt Herne beim Impfen insgesamt voran?

Herne kommt voran, auch Dank des DRK. Wir kämen aber besser voran, wenn man uns die Impfstoffmengen gäbe, die man ankündigt. Beim Thema Impfdosen-Lieferung bin ich nicht so optimistisch: Die Landesregierung hat den Menschen gerade wieder viel Hoffnung gemacht. Die Impfstoffe, die wir dafür in Aussicht gestellt bekommen haben, sehe ich noch nicht. Für April stehen die Lieferzusagen derzeit noch gänzlich aus. Insgesamt ist aber natürlich ein Fortschritt festzustellen: Besonders freut es mich, dass es in den Alten- und Pflegeheimen seit Wochen nur noch einzelne Infektionen gibt. Die Inzidenzzahlen spielen dabei insgesamt eine immer geringere Rolle. Wir führen die Maßnahmen ja nicht durch, um Inzidenzen zu senken, sondern die Belastung unseres Gesundheitssystems. Und das gelingt durch die Impfungen. Das konnten wir zuletzt in einem ASB-Heim gut beobachten. Dort wurden Menschen, die nach der ersten Impfung positiv getestet wurden, nicht mehr krank.

Als nächstes können nun Erzieher in Kitas und Lehrer in Grund- und Förderschulen geimpft werden.

Davon bin ich ein Anhänger. Wir werden übrigens nicht nur das Lehrpersonal und Erzieherinnen impfen, sondern auch das weitere Personal in Schulen und Kitas, wie zum Beispiel Hausmeister und Reinigungskräfte. So ist auch meine klare Botschaft für die weiterführenden Schulen: Ohne ein Impf- und Testkonzept ist eine unbegrenzte Öffnung ein großes Risiko. Für diese Lehrer aber gibt es momentan noch keine Impfstoffe.

Was erwarten Sie von den Corona-Tests, die nun alle Bürger regelmäßig machen lassen können?

Bei dem Thema Testen bin ich ebenfalls zurückhaltend. Die Kommunen wissen weder, wer die vom Land versprochenen Tests hat, noch, wo sie herkommen, wer sie bezahlt oder wo sie vorgenommen werden. Mit so vielen unbeantworteten Fragen in die Testungen zu gehen, ist schwierig. Bei den Kitas ist uns bereits die Geduld abhanden gekommen, und da haben wir selbst reagiert, als die Kitas ohne Testungen vom Land geöffnet wurden: Da haben wir als Arbeitgeber zusammen mit den übrigen Trägern die Testungen organisiert. Für die Schulen mit Tausenden Schülern und Lehrern können und dürfen wir das so ohne Weiteres nicht. Das hat uns das Land bereits mitgeteilt.

Alle Angestellten in Kommunalverwaltungen haben 2020 einen einmaligen Corona-Bonus bekommen, sprich Geld. Bei anderen Menschen sind wegen Corona Existenzen bedroht. Halten Sie den Bonus für angemessen?

Das ist eine bundesweite tarifvertragliche Lösung, da hat die einzelne Kommune kein Mitspracherecht. Fest steht: Es gibt Mitarbeitende in der Stadtverwaltung, die noch einen zweiten und dritten Bonus verdient hätten, weil sie eine sehr große Last für unsere Stadtgesellschaft auf ihren Schultern tragen. Lautet die Frage: Leistet der öffentliche Dienst in dieser Pandemie etwas Besonderes? Dann kann ich das eindeutig mit Ja beantworten. Viele Mitarbeiter sind quasi an sieben Tagen die Woche 24 Stunden im Dienst. Von daher ist der Bonus das richtige Signal.

Die Menschen zieht es wieder nach draußen, wie hier in den Revierpark Gysenberg. Der Kommunale Ordnungsdienst (KOD) kontrolliert dort die Einhaltung der Maskenpflicht.
Die Menschen zieht es wieder nach draußen, wie hier in den Revierpark Gysenberg. Der Kommunale Ordnungsdienst (KOD) kontrolliert dort die Einhaltung der Maskenpflicht. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

Gerade auch der Kommunale Ordnungsdienst (KOD) arbeitet auf Hochtouren, erntet aber viel Kritik. Tenor: Er geht nicht konsequent gegen Maskenverweigerer vor.

Unsere Mitarbeiter im KOD müssen sich tagtäglich mit den Menschen auseinandersetzen, die durch aggressives Verhalten auffallen, die ablehnen, wie wir die Pandemie bekämpfen. Natürlich macht auch der KOD mal Fehler, vielleicht auch in der Einschätzung, ob man in Einzelfällen eingreifen soll oder nicht. Unterm Strich räumen die Kollegen aber in der Stadt auf. Das ist eine großartige Leistung. Wir hätten nicht bislang 150.000 Euro an Bußgeldern von Maskenverweigerern eingenommen, wenn wir nichts tun würden. Ich bin froh, dass wir den KOD haben und kann nur eine Lanze für die Kolleginnen und Kollegen brechen.

Haben Sie sich schon auf Corona testen lassen?

Schon mehrfach, weil ich Kontakt mit meinen Eltern und Schwiegereltern habe. Mein markantester Tag war Heiligabend: Nach dem ganzen Stress an diesem Tag konnte ich am Abend mit der Familie Weihnachten feiern – nach einem negativen Test. Schlimm war aber die Viertelstunde, in der ich auf das Ergebnis warten musste. Da ging mir vieles durch den Kopf. Nach dem Motto: Wenn du jetzt auch noch positiv getestet wirst, was machst du dann? Daran sieht man: Die Tests machen auch etwas mit den Menschen, bringen sie zum Nachdenken. Das ist nicht nur ein Stochern in der Nase.

Haben Sie Ihren Sommerurlaub gebucht? Gebrauchen können Sie ihn bestimmt?

Ja. Ich muss aber beim Urlaubsquartier erst eine Woche vorher Bescheid sagen, ob ich meinen Urlaub antrete. Ich möchte auf jeden Fall in die Sonne und ans Meer – ob es letztlich im Mittelmeerraum sein wird oder in Deutschland, das ist am Ende in diesem Jahr egal.

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