Herne. Frank Burbulla leitet den Krisenstab, der Herne durch die Pandemie führt. Das sagt er über die Lage und seine Arbeit, über Kirmes und Kanzlerin.

Mit dem Ausbruch der Pandemie hat Rechtsdezernent Frank Burbulla die Leitung des Herner Krisenstabs übernommen. Im Interview mit WAZ-Redakteur Lars-Oliver Christoph bewertet der 51-Jährige die aktuelle Situation in der Stadt, spricht über Lockerungen und wagt (k)einen Ausblick.

Sie leiten in einer Pandemie den Krisenstab einer Stadt mit 160.000 Einwohnern. Führt diese große Verantwortung auch schon mal zu schlaflosen Nächten?

Frank Burbulla: Schlaflose Nächte hatte ich Gott sei Dank bisher noch nicht. Ich will aber nicht verhehlen, dass man die Gedanken, die man tagsüber im Büro hat, natürlich mit nach Hause nimmt. Es bleibt einem derzeit aber auch nichts anderes übrig: Egal, was man macht – man ist immer mit dem Thema Corona befasst.

Anfang März hat die Stadt den Krisenstab einberufen, nachdem sich zwei Herner infiziert hatten. Hatten Sie damals schon eine Ahnung davon, welches Ausmaß diese Krise annehmen wird?

Bilder aus dem chinesischen Wuhan Anfang Februar nach dem Corona-Ausbruch. Rechtsdezernent Frank Burbulla hätte sich damals nicht vorstellen können, dass die Pandemie in Herne und Deutschland ähnliche Ausmaße annehmen könnte.
Bilder aus dem chinesischen Wuhan Anfang Februar nach dem Corona-Ausbruch. Rechtsdezernent Frank Burbulla hätte sich damals nicht vorstellen können, dass die Pandemie in Herne und Deutschland ähnliche Ausmaße annehmen könnte. © dpa | Xiao Yijiu

Nein. Man kannte die Bilder aus China – mit Ausgangssperren und Überwachung durch den Staat. Das war aus unserer freiheitlich-demokratischen Sicht damals nicht nachvollziehbar. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass wir Wochen später in einer zwar nicht so restriktiven, aber vergleichbaren Situation leben werden.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage in Herne?

Wir müssen feststellen und können auch sehr froh darüber sein, dass sich schlimmste Befürchtungen in Herne nicht bewahrheitet haben. Wir sind in der guten Situation, dass sich die Zahl der Infizierten, aber auch die der schwerst Erkrankten auf sehr niedrigem Niveau bewegt. Es stimmt mich ein Stück weit positiv, dass Maßnahmen greifen.

Wagen Sie heute eine Prognose, wie sich die Lage in sechs Wochen darstellen könnte?

Nein, das ist nicht möglich. Wir beobachten immer Prognosen und Tendenzen von anerkannten Virologen und des Robert-Koch-Instituts. Und wir tauschen uns natürlich auch mit Medizinern vor Ort aus und bilden uns eine Meinung. Wir fahren auf Sicht und denken darüber nach, was uns in den nächsten zwei, drei, vielleicht auch sieben oder vierzehn Tagen bevorsteht und was sich entwickeln könnte.

Sie können in vielen Punkten als Krisenstab nur reagieren auf das, was Bund und Land Ihnen vorgeben. Könnten Sie auch Maßnahmen beschließen, die darüber hinaus gehen wie zum Beispiel Ausgangssperren oder andere Verschärfungen?

Ich würde das nicht so sehen, dass wir nur passiv reagieren können. Ich glaube, ein Teil der guten Entwicklung in Herne ist darauf zurückzuführen, dass es uns gelungen ist, uns bereits frühzeitig auf zu erwartende Beschlüsse vorzubereiten.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Wir haben uns bereits vor vier Wochen mit der Frage befasst, wie wir Teile der Verwaltung wieder öffnen. Und zur Frage, ob wir über die Vorgaben des Gesetzgebers hinausgehen können: Ja, es gibt nach der Coronaschutzverordnung die eine oder andere Möglichkeit, über das hinauszugehen, was uns – in der Regel – das Land vorgibt.

Woran mangelt es zurzeit bei der Bekämpfung des Coronavirus in Herne am meisten?

Ehrlich gesagt: im Moment eigentlich an nichts. Woran es ein wenig mangelt, das ist die Verlässlichkeit der gesetzlichen Vorgaben. Ein Beispiel: Die Vereinbarung der Kanzlerin und der Ministerpräsidenten, bis Ende August alle Großveranstaltungen abzusagen, ist schon ein paar Tage alt. Wir haben in Nordrhein-Westfalen bisher aber nur die Regelung, dass Veranstaltungen bis zum 3. Mai untersagt sind – mehr gibt es nicht. Wir wissen nicht, was eine Großveranstaltung konkret ist und wie der Landesgesetzgeber das umsetzten wird. Ich kenne zurzeit noch keine ausformulierte Regelung.

Regelmäßige Sitzungen im Ratssaal

Der Krisenstab, dem neben der Verwaltung auch Feuerwehr und Polizei angehören, tagt regelmäßig im Herner Ratssaal. „Ereignisbezogen“ würden auch Vertreter der Ärzte, der Verkehrsunternehmen oder der städtischen Tochtergesellschaft hinzugezogen, so Krisenstab-Chef Frank Burbulla. Neben ihm sind aus der Stadtspitze auch OB Frank Dudda und Gesundheitsdezernent Johannes Chudziak feste Mitglieder des Krisenstabs.

Rund ein Drittel der Stadtmitarbeiter sei grundsätzlich in der Lage, im Homeoffice zu arbeiten. „Davon haben zuletzt auch recht viele Gebrauch gemacht“, so Burbulla. Die Stadt habe dies gefördert, um Infektionsketten zu verhindern und stets genug Teams in einzelnen Bereichen vorhalten zu können. Das mobile Arbeiten werde nun aber wieder etwas zurückgefahren, weil die Verwaltungsleistung wieder hochgefahren werde, zum Beispiel in den Bürgerdiensten.

Positiv stimmt den Beigeordneten nicht nur die relativ niedrige Zahl der Herner Neuinfektionen, sondern auch diese Zahl: „In den Herner Altenheimen hat es noch keinen einzigen Corona-Fall gegeben.“ Das zeuge von dem sensiblen Umgang der Einrichtungen mit dem Virus. Und: Massenhafte Covid-19-Infektionen in Krankenhäusern - wie zuletzt bundesweit aus mehreren Kliniken gemeldet - seien in Herne bisher ausgeblieben.

Gibt es in Herne genug Masken und Schutzmaterial?

Wir haben das sehr früh als Thema für uns erkannt und sind mindestens in jeder zweiten Krisenstabsitzung damit befasst, wie die Ausstattung mit Schutzmaterial ist. Es wird nie so sein, dass wir jede Hernerin und jeden Herner täglich mit Masken und Schutzmaterial ausstatten. Das ist aber auch nicht unsere Aufgabe. Wir müssen dafür sorgen, dass das Gesundheitssystem mit den dafür geeigneten Masken ausgestattet ist. Wir haben sehr früh eine sehr verlässliche Lieferquelle gehabt. Wir können deshalb für die nächsten Wochen und sogar Monate gewährleisten, dass der Rettungsdienst und das Gesundheitsamt vernünftig aufgestellt sind. Die örtlichen Krankenhausträger haben haben unser Angebot angenommen und große Mengen an Masken erhalten. Das gilt auch für die niedergelassenen Ärzte, von denen aus den Medien bekannt wurde, dass ein Mangel herrscht.

Hattinger, Volljurist und Christdemokrat

Frank Burbulla ist im Mai 2015 von Herner Rat für acht Jahre zum Dezernenten für Recht, Bauordnung, Bürgerdienste und Feuerwehr gewählt worden.

Der gebürtige Hattinger hat in Bochum Rechtswissenschaften studiert, ist Diplom-Verwaltungswirt und Volljurist. Seit 1990 gehört er der CDU an.

Von 2001 bis 2015 gehörte Burbulla dem Verwaltungsvorstand in Hattingen an; zuletzt war er Erster Beigeordneter und Kämmerer. 2004 scheiterte er als CDU-Kandidat in Hattingen bei der Bürgermeisterwahl knapp in der Stichwahl an der damaligen Herner Kultur- und Schuldezernentin Dagmar Goch (SPD).

Wie sieht es im Pflegebereich aus?

Über den Fachbereich Soziales sind Masken und weiteres Schutzmaterial an die Träger der Seniorenheime weitergeleitet worden. Im Einzelfall wird es bei dem einen oder anderen sicherlich mal kneifen, aber grundsätzlich können wir sagen: Es ist Material da. Und wir haben ja auch den Schulen für den ersten Tag Mund- und Nasenschutz zur Verfügung gestellt.

Können Sie alle Entscheidungen, die in der Corona-Krise auf Bundes- und Landesebene beschlossen werden, nachvollziehen.

Ich wäre wohl der Einzige, der alle Entscheidungen nachvollziehen kann. Ich will das hier aber nicht als Kritik platzieren. Wir befinden uns in einer mehr als außergewöhnlichen Situation, für die es keine Blaupausen gibt. Die Wissenschaft hat Erkenntnisse, aber auch Unsicherheiten. Und Politik geht es ebenso. Man wird erst mit der Zeit wissen, was richtig und falsch war.

Zurzeit wird vor allem über das Für und Wider von Lockerungen diskutiert. Die Kanzlerin hat sogar von „Öffnungsdiskussionsorgien“ gesprochen. Was sagen Sie?

Der Krisenstab tagt im Herner Ratssaal - unter Leitung von Frank Burbulla (re.) und OB Frank Dudda (2.v.re.).
Der Krisenstab tagt im Herner Ratssaal - unter Leitung von Frank Burbulla (re.) und OB Frank Dudda (2.v.re.). © Stadt Herne | Nina-Maria Haupt

Mit dem Begriff „Orgien“ ist die Kanzlerin vielleicht etwas zu weit gegangen. Ich kann aber nachvollziehen, dass die Frage der Lockerungen derzeit so konträr diskutiert wird. Ich persönlich finde den Kurs, den Nordrhein-Westfalen zurzeit fährt, vernünftig. Man tastet sich in kleinen Schritten an etwas heran, was vertretbar ist. Man konnte das öffentliche Leben ein Stück weit wiederherstellen, weil sich die Zahl der Erkrankungen und die Geschwindigkeit der Neuerkrankungen auf einem niedrigen Niveau befinden. Ich finde das wichtig und bin froh über diese Entwicklung. Eine Fortsetzung der Situation der vergangenen Wochen bis zum Jahresende oder sogar bis ins nächste Jahr hätte ich mir nur schwer vorstellen können. Auch die Entscheidung, die Schulen mit einigen Klassen starten zu lassen, finde ich klug. Aus den Erfahrungen muss man nun ableiten, ob wir den nächsten Schritt gehen können. Das muss sehr behutsam geschehen.

Gibt es eigentlich auch im Herner Krisenstab Kontroversen oder herrscht hier stets Konsens?

Natürlich werden auch unterschiedliche Meinungen vorgetragen. Es gibt aber keine Kampfabstimmungen. Am Ende wird festgelegt, was gemacht wird. Das ist bisher noch nie streitig gewesen.

War auch die Cranger Kirmes Thema im Krisenstab?

Natürlich.

Der Oberbürgermeister schließt derzeit eine Verschiebung des Volksfestes von August auf Oktober zumindest nicht aus. Ist das realistisch, ist das Wunschdenken oder ist das Wahlkampf?

Das fragen Sie ihn doch selbst. Wir waren im Krisenstab der Meinung, dass die Absage der Cranger Kirmes für Herne eine gewisse existenzielle Frage ist. Das ist unsere Großveranstaltung schlechthin, eine gewachsene und gelebte Tradition, die man nicht leichtfertig komplett absagt. Deshalb haben wir uns darauf verständigt, zumindest zu prüfen, ob es eine Alternative gibt. Auch das wird die Zeit bringen.

Wie bewerten Sie das bisherige Verhalten der Herner Bevölkerung in der Corona-Krise?

Am Montag öffneten auch auf der Herner Bahnhofstraße wieder die Geschäfte. Frank Burbulla begrüßt die Lockerungen.
Am Montag öffneten auch auf der Herner Bahnhofstraße wieder die Geschäfte. Frank Burbulla begrüßt die Lockerungen. © Kathrin Meinke

Sehr gut. An den ersten Tagen hat es sicher mal etwas gehakt. Es gab einzelne Personen, die sich nicht an Vorgaben gehalten und über die Strenge geschlagen haben. Das ist aber sehr überschaubar. Die Polizei und der Kommunale Ordnungsdienst berichten regelmäßig, dass die Bevölkerung sich in jeder Hinsicht vernünftig verhält. Und das ist super.

Befürchten Sie, dass die Stimmung kippen könnte und die Vorgaben nicht wie bisher befolgt werden?

Ich glaube, so lange sich alle im Grundsatz einig sind, dass man sich solidarisch dieser gesundheitspolitischen Herausforderung entgegenstellen muss, wird die Bevölkerung diesen Weg mitgehen.

Eine persönliche Frage zum Abschluss: Welcher Verzicht fällt Ihnen zurzeit besonders schwer? Was vermissen Sie am meisten?

Das gesellige und unbeschwerte Zusammensein mit Freunden und Familie, aber auch politische Veranstaltungen und gesellschaftliche Ereignisse – das ist der Verzicht, der mich am meisten belastet.

Die Schlussrunde: Lob für Angela Merkel

Bundeskanzlerin Angela Merkel handelt in der Corona-Krise …

… sehr besonnen.

Krisenmanagement: Armin Laschet oder Markus Söder?

(kurze Denkpause) Armin Laschet.

Richtig oder falsch: Wenn die Karten nach der Kommunalwahl neu gemischt werden, könnte ich mir auch vorstellen, andere Aufgaben in der Verwaltung zu übernehmen.

Vorstellen kann ich mir das – unabhängig von jeder Kommunalwahl – immer, so wie ich ja aktuell auch den Krisenstab und den Fachbereich Kultur übernommen habe.

Konkret gefragt: Könnten Sie sich vorstellen, in Herne Kämmerer zu werden - so wie Sie einst in Hattingen?

Ich habe gar nicht die Zeit, darüber nachzudenken. Und wir haben mit Hans Werner Klee einen guten Kämmerer. Ich bin froh, wenn er das auch weiterhin gut macht.

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