Herne. Bei nur 9,5 Prozent lag 2014 die Beteiligung bei der Integrationsratswahl. Fünf Listen sind diesmal dabei. Das sind ihre Ziele und Forderungen.

Nicht nur der Oberbürgermeister, der Rat, die vier Bezirksvertretungen und das Ruhrparlament werden am 13. September in Herne gewählt, sondern auch der Integrationsrat. Fünf Listen treten bei dieser Wahl für in Herne lebende Menschen mit Migrationshintergrund an. Die Akzeptanz dieses Gremiums rutschte 2014 in den Keller: Nur 9,5 Prozent der Stimmberechtigten gingen an die Urne. Eine immer wieder im Vorfeld der Wahl laut werdende Forderung überrascht denn auch nicht: So wie bisher geht es nicht weiter, die Arbeit des Integrationsrats muss reformiert werden.

Migrantenbündnis Herne (MBH)

Muzaffer Oruc (Migrantenbündnis) tritt  nach vielen Jahren an der Spitze des Integrationsrates nicht mehr an.
Muzaffer Oruc (Migrantenbündnis) tritt nach vielen Jahren an der Spitze des Integrationsrates nicht mehr an. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

Mit 45,7 Prozent war das SPD-nahe Migrantenbündnis Herne (MBH) vor sechs Jahren zwar die mit Abstand stärkste Liste, verlor aber im Vergleich zu 2009 mehr als 17 Prozentpunkte. Die 63,2 Prozent von 2009 überbieten: Das ist das ehrgeizige Ziel von MBH-Spitzenkandidat Ibrahim Baltaci (37), der Nachfolger des bisherigen Integrationsratsvorsitzenden Muzaffer Oruc - er tritt nicht mehr an - werden möchte.

Um dieses Ziel zu erreichen, hat sich das Bündnis neu und vor allem breiter aufgestellt. „Die türkischstämmigen Mitglieder waren bisher zu dominant“, räumt das amtierende Integrationsrats-Mitglied Baltaci ein. Sie seien deshalb gezielt auf potenzielle Bewerber zugegangen, um sie für die Wahl zu gewinnen. Die Folge: Die mit 28 Kandidaten deutlich größte Liste bei dieser Wahl hat Mitglieder mit Wurzeln u.a. in der Türkei, Marokko, Rumänien, Bulgarien, Griechenland, Russland und Syrien.

35.500 Menschen dürfen wählen

Berechtigt zur Wahl des Integrationsrates sind in Herne rund 35.500 Menschen mit Migrationshintergrund. 2014 lag die Wahlbeteiligung bei 9,5 Prozent, 2009 bei 12,3 Prozent.

Dem Gremium gehören 23 Mitglieder an - 15 werden direkt gewählt, 8 weitere vom Rat bestellt. Aus der Mitte des Integrationsrates wird bei der konstituierenden Sitzung ein Vorsitzender/eine Vorsitzende gewählt.

Für die Durchführung der Integrationsratswahl stehen elf Wahllokale im gesamten Stadtgebiet zur Verfügung; natürlich ist auch Briefwahl möglich.

Und das Programm? „Sicherheit und Ordnung ist das A und O“, sagt Baltaci. Und etwas allgemeiner: „Wir wollen Gutes für Herne tun.“ Ein wichtiges Anliegen: Das Bündnis wolle mit dem - auch von Medien geschürten - falschen Bild des „kriminellen Migranten“ aufräumen, sagt der Arzt Youssef Benali. Die meisten seien in Deutschland geboren und prägende Mitglieder dieser Gesellschaft.

Auch das hat das Bündnis auf der Agenda: Nach der Wahl müsse über neue Strukturen im Integrationsrat nachgedacht werden, fordert Baltaci. Die Arbeit müsse inhaltlicher, der Austausch mit dem Rat und den Ausschüssen besser werden.

Interkulturelle Herner Migranten (IHM)

Die Top 3 der Liste 3: (v.li.) Chiara Cremon, Anna Brodsky und Jamila Lasshab von der Liste Interkulturelle Herner Migranten (IHM).
Die Top 3 der Liste 3: (v.li.) Chiara Cremon, Anna Brodsky und Jamila Lasshab von der Liste Interkulturelle Herner Migranten (IHM). © FUNKE Foto Services | Klaus Pollkläsener

Auch wenn es der Namen nicht unbedingt erwarten lässt: Auf der Liste IHM kandidieren ausschließlich Frauen, und zwar fünf an der Zahl. Spitzenkandidatin ist die Italienerin Chiara Cremon, die bereits 2014 am Start war und derzeit einziges Mitglied er IHM im Integrationsrat ist. „Es gibt viele engagierte Frauen in Herne“, sagt die 46-Jährige. Das wollten sie mit der italienisch-marokkanisch-russischen Liste widerspiegeln. Mindestens zwei Mandate strebten sie diesmal an.

Fünf zentrale Forderungen erhebt die „bunte Liste für unsere Stadt“. Ganz oben: „bessere Ausbildungsmöglichkeiten für Jugendliche mit Migrationshintergrund“ sowie „Förderung und Stärkung von Frauen und Familien mit Zuwanderungsgeschichte“. Zu letzterem Punkt ist IHM ein Anliegen besonders wichtig: Die Teilnahme von Frauen an Sprachkursen scheitere häufig daran, dass keine Kinderbetreuung angeboten werde. Das müsse sich dringend ändern, um die Integration zu verbessern, so Cremon.

Die Linke

Sie stehen auf den vorderen drei Plätzen der Linke-Liste: (v.re.) Daniel Kleibömer, Shahnaz Bayat und Mohamed Yousfi.
Sie stehen auf den vorderen drei Plätzen der Linke-Liste: (v.re.) Daniel Kleibömer, Shahnaz Bayat und Mohamed Yousfi. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

Die Linkspartei landete 2014 bei der Integrationsratswahl mit 20,2 Prozent einen Überraschungserfolg. Vier Mitglieder umfasst die aktuelle Kandidatenliste, darunter auch OB-Kandidat Daniel Kleibömer und Linke-Ratsfraktions-Chefin Veronika Buszewski. Ja, sie hätten Probleme gehabt, Kandidaten zu finden, räumt Kleibömer ein. Der 61-jährige Linke-Fraktionsgeschäftsführer steht sogar auf Listenplatz 1 - „um die grundsätzliche Bedeutung dieses Gremiums hervorzuheben“, sagt er. Zuletzt sei der Integrationsrat allerdings nur noch „ein Abnickverein“ gewesen und habe keine inhaltlichen Impulse gesetzt.

Für die gebürtige Iranerin Shahnaz Bayat ist das Gremium letztlich nur eine Notlösung. Ihre Idealvorstellung (und die ihrer Partei): „Alle in Herne lebenden Menschen müssten das kommunale Wahlrecht erhalten und so in alle Entscheidungen eingebunden werden.“ Vor Ort umsetzbar wäre dagegen die Forderung von Linke-Kandidat Mohamed Yousfi: Er wünscht sich einen Ausbau der Beratungsangebote für Migranten. Neben zahlreichen inhaltlichen Forderungen u.a. auch zur Unterstützung von Geflüchteten finden sich im Programm der Linke-Liste: die Gleichstellung des Integrationsrates mit Ratsausschüssen sowie die Bildung eines eigenständiges Amtes für Integration in Herne.

Integration. Gemeinsam. Herne (I.G.H.)

Necati Aydinli ist Spitzenkandidat der Liste I.G.H., die erstmals bei einer Integrationsratswahl antritt.
Necati Aydinli ist Spitzenkandidat der Liste I.G.H., die erstmals bei einer Integrationsratswahl antritt. © NA

Neu dabei ist die Liste Integration. Gemeinsam. Herne. Dass das Kürzel I.G.H. praktisch identisch mit dem der Islamischen Gemeinde Herne 2 ist, ist alles andere als Zufall. Der Großteil der 18 Bewerber auf der Liste gehöre der Moscheegemeinde an der Hauptstraße 330 an und habe einen türkischen Hintergrund, sagt I.G.H.-Spitzenkandidat Necati Aydinli (49).

Sie wollten bei ihren rund 500 Gemeindemitgliedern für eine Wahlbeteiligung werben, um den Integrationsrat zu stärken. Rund ein Drittel der Gemeinde wohne allerdings in Gelsenkirchen und sei deshalb in Herne nicht wahlberechtigt. Und welche Rolle spielt die Religion? „Der Glaube gehört zu unserer Identität - so wie die christlichen Werte bei der CDU“, so Aydinlis Vergleich.

AfD

Etwas überraschend tritt auch die AfD an - wenn auch nur mit einer zweiköpfigen Liste. Beim Nominierungsparteitag der AfD gaben Thomas Berning und Peter Grögler jeweils an, in binationalen Ehen zu leben und für Integration zu stehen. Den Integrationsrat sehe er als Gremium allerdings kritisch, weil hier zu viele Menschen mit verfassungsfeindlichen Einstellungen Wahlrecht hätten, sagte Berning, dessen Partei bekanntlich in Teilen vom Verfassungsschutz beobachtet wird.Weitere Bericht zur Kommunalwahl in Herne und Wanne-Eickel finden Sie hier.