Herne. . Die Herner WAZ widmet eine Serie dem Ende des Steinkohlebergbaus. Zum Auftakt beschreibt WAZ-Redakteur Tobias Bolsmann seine Beziehung zur Kohle.

Glück auf - mit diesem bergmännischen Gruß beende ich - statt der üblichen freundlichen Grüße - seit einigen Jahren meine E-Mails. Er hat einige Mal seine Wirkung voll entfaltet: Empfänger, gerade jene, die nicht aus dem Ruhrgebiet kommen, sind aufmerksam geworden. Ich bin mit Menschen, die ich nicht kannte, schnell ins Gespräch gekommen. Doch wenn ich es genau überlege, muss ich mir heute eingestehen, dass hinter dem „Glück auf“ eher der Gedanke stand, sich abzuheben, als die Absicht, auf die eigene Tradition hinzuweisen.

Bislang hatte ich auch kein Bewusstsein für meine Beziehung zum Bergbau. Sie war immer von einer gewissen Distanz geprägt. Daran ändert auch nichts die Tatsache, dass die „Schachtzeichen“ für mich mit das Beste waren, was im Kulturhauptstadtjahr stattfand. Aber ansonsten? Auf den Pütt zu gehen, daran habe ich nach der Schule nicht den Hauch eines Gedanken verschwendet, amerikanische Literatur zu studieren kann thematisch kaum weiter entfernt sein.

Großvater arbeitete als Hauer auf Pluto

Doch vor dem Hintergrund des Abschieds von der Kohle zum Jahresende wird mir in meiner eigenen Rückschau plötzlich bewusst, wie eng mein eigenes Leben mit dem Bergbau verbunden war und ist - auch wenn ich kein Kumpel bin.

Allerdings - und hier finden sich sogar familiäre Spuren - war mein Großvater Bergmann. Auf Pluto. Meine Schwester hat im Keller - wie passend - eine Jubiläumsurkunde zu dessen 25-jähriger Betriebszugehörigkeit aufgehängt. Ich bin Hunderte Male an ihr vorbeigekommen, erst jetzt habe ich sie mir genau angeschaut. Meine Mutter wiederum war einige Jahre kaufmännische Angestellte auf Pluto-Wilhelm und später Rheinelbe.

Das Zechenhaus als Eigenheim

An meinen Großvater habe ich keine Erinnerungen mehr, aber in lange verschütteten Kindheitserinnerungen taucht ein Kohleofen auf, der in der Küche stand. Jahrzehnte später hat sich dieser Kreis quasi wieder geschlossen, als ich gemeinsam mit meiner Schwester ein Haus gekauft habe - es handelt sich um ein Zechenhaus, das selbstverständlich noch mit Koks geheizt wurde. Wir haben nach dem Kauf noch einige Zentner im Keller gefunden. Als wir sie per Kleinanzeige verschenken wollten, klingelte sonntags morgens gegen 7 Uhr zum ersten mal das Telefon. Unser Nachbar - ein ehemaliger Kumpel - hat bis vor wenigen Jahren immer noch Deputatkohle bekommen.

Dass ich selbst sehr früh die harte Arbeit auf der Zeche für mich persönlich ausgeschlossen habe, hängt auch mit einem Ferienjob zusammen: Mit einem Trupp der Baufirma Heitkamp war ich auf Auguste Victoria in Marl eingesetzt. In der Kohlenwäsche mussten wir mit Presslufthämmern Wände wegstemmen. Arbeitsbeginn 7 Uhr, erste Pause viertel vor neun. Meine Kollegen haben sich amüsiert, wie kaputt ich nach weniger als zwei Stunden schon war. Der Kohlenstaub kam mir noch nach Monaten aus irgendwelchen Poren. Aber: Ich hatte nie wieder einen so festen Händedruck wie nach diesen sechs Wochen.

Nie eine Grubenfahrt unternommen

Meine Beziehung zum Bergbau wurde aber auch durch ein ganz anderes Ereignis geprägt: meine Trauung. Meine Frau und ich gaben uns das Ja-Wort in der Lohnhalle der Zeche Zollern in Dortmund, das offizielle Hochzeitsfoto entstand in der Maschinenhalle.

Zollern ist ja eins der bekannten Beispiele für den Wandel - über den ich als WAZ-Redakteur schon vielfach geschrieben habe. Den Abschied vom Bergbau konnte ich teilweise vom Wohnzimmerfenster aus selbst mitverfolgen - beim Abriss des Förderturms auf General Blumenthal.

Und plötzlich fällt mir in meiner persönlichen Bilanz auf, dass ich - bis auf einen wenig spannenden Ausflug ins Bergbaumuseum in Bochum - nie unter Tage gewesen bin. Und jetzt ist es zu spät. Schade.

PS: Vielleicht frage ich mal meine Schwester, ob wir nicht eine prominentere Stelle für die Urkunde finden...

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Etwas mehr als zehn Monate noch, dann endet der Steinkohlebergbau in Deutschland. Ein prägendes Stück Industrie verschwindet.

  • Auch Herne ist vom Bergbau wesentlich beeinflusst worden. Ganze Stadtteile etwa entstanden nur auf Grund der Zechen.

  • Auch wenn in Herne keine Zeche mehr in Betrieb ist, will die WAZ den Abschied begleiten. Mit Rückschau, aber auch mit dem Blick nach vorn. Pluto bleibt ja neben Essen der einzige aktive RAG-Standort. Wir wollen Ihnen, liebe Leser, neben der Historie auch ungewöhnliche und überraschende Geschichten erzählen, die der Bergbau hervorgebracht hat.