Heiligenhaus. Das Heiligenhauser Rathaus wird 100 Jahre – und verbirgt einige Geheimnisse. Gastautor Jan Heinisch geht auf Spurensuche. Was er dabei entdeckt.

Am Anfang war das Rathaus gar kein Rathaus und der Rathausplatz kein Rathausplatz. Auch der Ort, an dem das Rathaus heute steht und der dadurch Stadtmittelpunkt geworden ist, wurde nur durch Zufall gewählt. Dieses Jahr feiert das Heiligenhauser Rathaus seinen 100. Geburtstag. Die WAZ gratuliert mit einer kleinen Spurensuche.

Bis zum heutigen 1. April des Jahres 1897 war Heiligenhaus gar keine eigenständige Gemeinde, sondern nur ein Anhängsel von Velbert. Ein eigenes Rathaus war also unnötig. Alles wurde von Velbert aus entschieden und verwaltet. Zu dieser Zeit war Heiligenhaus allerdings auch kaum mehr als eine kleine Häuserkette entlang der heutigen Hauptstraße.

Heiligenhaus brauchte eine neue große Schule

In den 1920er Jahren, kurz nach der Fertigstellung, hatten zeitweise auch Menschen im Rathaus gewohnt. Hier eine Familie bei der Wäsche im jetzigen Rathaus-Innenhof. Hier war auch ein Rangierplatz der kleinen Straßenbahn, der Püffer.
In den 1920er Jahren, kurz nach der Fertigstellung, hatten zeitweise auch Menschen im Rathaus gewohnt. Hier eine Familie bei der Wäsche im jetzigen Rathaus-Innenhof. Hier war auch ein Rangierplatz der kleinen Straßenbahn, der Püffer. © WAZ | Stadtarchiv

Gut ein Jahrzehnt vor der Eigenständigkeit wollte man in Heiligenhaus mehrere kleine Schulen zu einer Großen zusammenlegen. Auf der Suche nach einer Baulücke entlang der Hauptstraße stieß man auf die Stelle, wo heute das Rathaus steht. Natürlich wurde auch ein Schulhof benötigt. Also wurde das Schulgebäude, das später zum heutigen Rathaus umgebaut wurde, ein wenig zurückversetzt gebaut – anders als alle anderen Häuser, die direkt an der Hauptstraße standen und stehen. Zwischen Schulgebäude und Hauptstraße entstand so ein Schulhof, der heutige Rathausplatz.

Ein Germania-Denkmal war vor dem Rathaus errichtet worden.
Ein Germania-Denkmal war vor dem Rathaus errichtet worden. © WAZ | Stadtarchiv

Heute ist das Rathaus mit diesem Platz der klare Stadtmittelpunkt, auf dem zum Beispiel der Wochenmarkt und viele Veranstaltungen stattfinden. Zum ersten Mal entwickelte er sich in Richtung Stadtmittelpunkt, als 1886 der örtliche Krieger-Verein „König Wilhelm“ ein Germania-Denkmal errichten wollte, aber keinen geeigneten, würdigen Platz entlang der engen Hauptstraße fand. So wich man mit dem Denkmal auf den Schulhof aus, die fortan „Schule am Denkmal“ hieß. Erst die Nazis demontierten das Denkmal wieder, die Haltestelle am Rathaus nannte sich trotzdem noch lange Zeit „Am Denkmal“.

Mit der Eigenständigkeit brauchte man nun auch ein Rathaus

Nachdem also Heiligenhaus durch Trennung von Velbert heute vor 126 Jahren eine eigenständige Gemeinde geworden war, brauchte man schließlich auch ein eigenes Rathaus. Mangels Alternativen fiel die Wahl für den Start der kleinen Gemeindeverwaltung auf einige Räume in der Schule. Die Gemeinde wuchs in den folgenden Jahren heran, ihre Verwaltung ebenfalls. Schließlich wurde die Schule ausquartiert und man baute das bisherige Schulgebäude aufwendig und mit gänzlich neuer Architektur zu dem Rathaus um, wie wir es heute kennen. Eröffnet wurde es mit einer Ratssitzung im August 1923, wie ja auch die Inschrift im Giebel verrät.

Im Pavillon auf dem Rathausplatz war viele Jahre lang ein Tabakgeschäft.
Im Pavillon auf dem Rathausplatz war viele Jahre lang ein Tabakgeschäft. © WAZ | Stadtarchiv

Der Bau mit seiner neoklassizistischen Fassade inklusive großer Uhr erinnert viele Kinofans seit dem Jahr 1985 an das Rathaus der fiktiven Stadt Hill Valley aus dem Film „Zurück in die Zukunft“. Grün gestrichen wurde das Rathaus übrigens erst im Jahr 2006, als Fundament und Fassade aufwendig saniert werden mussten. Der über lange Jahre an der Fassade rankende wilde Wein hatte mit seinen Wurzeln für feuchte Keller und mit seinen Haftwurzeln an den Wänden das Mauerwerk stark geschädigt. Nach der Außensanierung folgte damals eine umfangreiche Innensanierung mit einem ebenfalls neuen Farbkonzept.

Rathaus schaffte es 1923 in die Deutsche Bauzeitung

2006 musste das Rathaus aufwendig saniert werden.
2006 musste das Rathaus aufwendig saniert werden. © WAZ | Sonja Glaser-Stryak

Die Sanierung 2006 sollte dem Rathaus ein Stück weit die architektonische Klasse wiedergeben, die es zu Anfang gehabt hatte und mit der sich das junge Heiligenhaus stolz schmücken wollte. Immerhin gab es quasi keine markanten Gebäude in der kleinen Stadt. Das Rathaus, das Gemeindebaumeister Ferdinand Diedering unter Mitwirkung von Prof. Klotzbach aus Barmen entworfen hatte, schaffte es daher im Jahr 1923 sogar in die Deutsche Bauzeitung.

In späteren Jahren hatte man indes wenig Gespür für diese Qualität bewiesen. Die schönen Holzfenster, die 2006 mit der Sanierung zurückkehrten, waren zum Beispiel irgendwann durch schmucklose und hässliche weiße Kunststofffenster ersetzt worden, die grünen Natursteinelemente der Fassade nicht gepflegt worden. Um das Rathaus auch nachts in Szene zu setzen, wurde 2006 eine stromsparende LED-Beleuchtung der Fassade installiert, deren Farbspiel man per Fernbedienung steuern kann.

Ratssaal ist das Herzstück des Hauses

Die Besuchertribüne haben die Nazis verbannt. Erst in den 70er Jahren wurde sie wieder geöffnet (hier ein Bild aus einer Ratssitzung 2017).
Die Besuchertribüne haben die Nazis verbannt. Erst in den 70er Jahren wurde sie wieder geöffnet (hier ein Bild aus einer Ratssitzung 2017). © FUNKE Foto Services | Heinz-Werner Rieck

Herzstück des Rathauses war und ist natürlich der Ratssaal im ersten Obergeschoss. Für die junge Demokratie der Weimarer Republik wurde er 1923 mit Zuschauertribüne errichtet, damit die Bevölkerung die Beratungen ihrer gewählten Ratsmitglieder verfolgen konnte. Dem setzten die Nazis allerdings ein Ende. Sie gestalteten den Ratssaal aufwendig um, so wie er bis heute aussieht: Ein großes und einschüchterndes Eingangsportal, Holzvertäfelung und Holzparkett, Deckenbalken, Bleiglasfenster und schwere schmiedeeiserne Leuchter sollten altdeutsch-germanische Assoziationen wecken.

Vor allem aber entfernten sie die Tribüne, damit man als Bürgerschaft nicht mehr „von oben“ auf die Volksvertretung schaute. Im Nationalsozialismus sollte man, wenn überhaupt, höchstens noch unten auf einem Stuhl an der Wand platznehmen. Die Tribüne wurde erst in den 1970er Jahren wieder eröffnet. Stück für Stück diente der Ratssaal fortan nicht mehr nur als Sitzungsraum, sondern wurde auch zum Ort für Kultur mit Kleinkunstveranstaltungen, für die später sogar ein hochwertiges Klavier aus Spendengeldern der Bürgerschaft finanziert wurde.

Rathausplatz von den Nazis ganz speziell genutzt

Die Nazis nutzten übrigens auch den Rathausplatz sehr zielgerichtet und ließen ihn zu diesen Zwecken erstmalig befestigen. Kundgebungen und auch die Übertragung von Reden des Führers mithilfe von Radiolautsprechern, die man in die offenen Fenster des Rathauses stellte, zelebrierten vor Ort den Nationalsozialismus.

Weihnachtlich und LED-beleuchtet zeigte sich das Rathaus dann rund um die Kulturhauptstadt-Jahre 2010, hier ein Bild aus 2008.
Weihnachtlich und LED-beleuchtet zeigte sich das Rathaus dann rund um die Kulturhauptstadt-Jahre 2010, hier ein Bild aus 2008. © WAZ | Detlev Kreimeier

Nach dem Krieg wurde der Platz lange auch als Parkplatz genutzt, bis er einmal in den 1990er Jahren und dann noch einmal vor den Aktivitäten zur Kulturhauptstadt RUHR.2010 umgestaltet wurde. Baumbepflanzung, neue Beleuchtung, schließlich Fahnenmasten und eine technische Grundausstattung machten ihn multifunktional nutzbar von Alltag über Wochenmarkt bis hin zum Stadtfest, Weihnachtsmarkt und Vielem mehr – vor allem seit die Verkehrsmassen von der Hauptstraße verschwanden und Ruhe in den Innenstadt einkehrte.

In den 1960er Jahren sollte Betonklotz das Rathaus ersetzen

Das Holzmodell eines Rathauskomplexes aus den 1960er Jahren für Heiligenhaus: Grundlage war ein Bebauungsplan von 1965, der den Abriss des alten Rathauses vorsah. Gebaut werden sollte ein dreigeschossiger Unterbau mit sieben Geschossen; das Gebäude sollte ein Pendant zum Sparkassenbau sein.
Das Holzmodell eines Rathauskomplexes aus den 1960er Jahren für Heiligenhaus: Grundlage war ein Bebauungsplan von 1965, der den Abriss des alten Rathauses vorsah. Gebaut werden sollte ein dreigeschossiger Unterbau mit sieben Geschossen; das Gebäude sollte ein Pendant zum Sparkassenbau sein. © Stadtarchiv Heiligenhaus | Repro FFS

Beinahe verschwunden wäre das Rathaus übrigens beim Stadtumbau in den 1960er Jahren. Aufwändige, jahrelange Planungen für ein großes Betongebäude an gleicher Stelle waren fertig, wurden aber doch wieder verworfen, wie es in der Nachkriegszeit so häufig mit Planungen und Ideen in Heiligenhaus passierte. Immerhin blieb Heiligenhaus dadurch ein Rathaus erspart, wie es viele andere Städte in dieser Zeit bauten.

Schon fast vergessen ist die Straße, die früher über den Rathausplatz verlief, hier ein Bild aus 2009.
Schon fast vergessen ist die Straße, die früher über den Rathausplatz verlief, hier ein Bild aus 2009. © WAZ | Sonja Glaser-Stryak

Grund war damals, dass man eine Umgehungsstraße hinter dem Rathaus entlangführen wollte, für die das neu geplante Gebäude zur damaligen Gießerei Hitzbleck hin aber keinen ausreichenden Platz mehr gelassen hätte. Übrigens: Gebaut wurde die Straße dann aber auch nicht, sondern erst fast 50 Jahre später.

Anbau und Rathauscenter entstehen Ende der 1980er Jahre

Allerdings erfuhr das Rathaus schließlich doch noch eine Veränderung. Die vielen Teile der wachsenden Stadtverwaltung, die über Jahrzehnte in verschiedenen Gebäuden verteilt untergebracht wurden, fanden 1989 im Rathausanbau und damit endlich unter einem Dach Platz. Dieser Neubau wurde gemeinsam mit einem „Rathaus-Center“ als eine neue Mitte der Stadt errichtet. Das Center entwickelte sich allerdings nicht so erfolgreich wie gedacht, so dass die Stadtverwaltung im Rathausinnenhof Teile des Centers übernahm. Das Kultur-Büro zog in das vormalige Beratungscenter der RWE, das Stadtarchiv übernahm einen Leerstand, und aus dem asiatischen Restaurant wurde das heute viel genutzte Bürgerbüro.

Herzlichen Glückwunsch an unser schönes Heiligenhauser Rathaus!

Gastautor Jan Heinisch (2.v.r.) war von 2004 bis 2017 Bürgermeister der Stadt Heiligenhaus – hier mit seinen Vorgängern Helga Schniewindt (FDP), Peter Ihle (CDU) und seinem Nachfolger Michael Beck (r.) vor gut zwei Jahren im Ratssaal.
Gastautor Jan Heinisch (2.v.r.) war von 2004 bis 2017 Bürgermeister der Stadt Heiligenhaus – hier mit seinen Vorgängern Helga Schniewindt (FDP), Peter Ihle (CDU) und seinem Nachfolger Michael Beck (r.) vor gut zwei Jahren im Ratssaal. © FUNKE Foto Services | Alexandra Roth

>>> Gastautor und das Jubiläum

  • Dr. Jan Heinisch war von 2004 bis 2017 Bürgermeister der Stadt Heiligenhaus und somit nach Felix Wittmann am zweitlängsten im Amt. Porträts aller Bürgermeister hängen im Ratssaal.
  • Offiziell gefeiert wird das Rathausjubiläum im August. Zu diesem Anlass wird das Heiligenhauser Stadtmarketing, dessen Fördervereinsvorsitzender Heinisch ist, im Sommer in einer kostenfreien Publikation für alle Interessierten eine noch ausführlichere Rathausgeschichte veröffentlichen.