Hattingen. 80 Jahre nach ihrer Einschulung in Hattingen treffen sich die ehemaligen Klassenkameraden der Weiltorschule Hattingen wieder. Was sie bewegt.

80 Jahre ist die Einschulung von Eva Rausch und Marlene aus Hattingen her. Jetzt hat der Mainzer Robert Hüser wieder zum Klassentreffen geladen. Bis heute verbindet die Klassenkameraden viel. Eva Rausch beispielsweise ist im Gemüseladen am Kirchplatz groß geworden - und trifft Marlene Föbinger noch heute. Mathe gab es damals gar nicht. Woran die Frauen sich erinnern.

Mathe, den Ausdruck gab es damals gar nicht, erinnert sich Eva Rausch, geborene Reckhaus. Schlicht „Rechnen“ hieß das Fach in der Klasse. Und darin war sie gut. Aufsätze dagegen waren ihr ein Gräuel. „Wenn alle drei Seiten schrieben, hatte ich gerade mal eine halbe.“ Ihre Freundin ergänzt: „Das war schrecklich, wir sollten mal aufschreiben, wie der Urlaub war, dabei waren wir gar nicht weg.“

Mit dem Stock schlägt die Lehrerin auf den Rücken: Erinnerung beim Klassentreffen in Hattingen

Eva Rausch (l.) und Marlene Föbinger sind 1944 in Hattingen eingeschult worden und gehen zum Klassentreffen 80 Jahre nach der Einschulung.
Eva Rausch (l.) und Marlene Föbinger sind 1944 in Hattingen eingeschult worden und gehen zum Klassentreffen 80 Jahre nach der Einschulung. © WAZ | Liliane Zuuring

Marlene Föbinger hat früher immer geglaubt, ihre Schrift sei nicht schön. Jetzt schaut sie auf das Gedicht, das sie in Eva Rauschs Poesiealbum geschrieben hat - und versteht sich selbst nicht mehr. Topflappen haben sie in der Schule gehäkelt, gestickt - und „ich habe sogar eine Schürze genäht“, sagt Eva Rausch. Weil ihre Eltern früh an Krankheiten starben, wuchs sie bei Tanten auf. Mit Marlene Föbinger, geborene Buchatz, die in der Schulstraße wohnte, ging sie gemeinsam zur Schule. Gelegentlich verabredeten sie sich für Übernachtungen.

Klassentreffen

Immer wieder hat sich die Klasse getroffen - an immer anderen Örtlichkeiten: Schulenburg, Lux, Zur Glocke, Poseidon, Zur alten Krone - überall waren die Klassenkameraden schon. In diesem Jahr treffen sich alle im Einhorn.

Eva Rausch und Marlene Föbinger loben ihren Klassenkameraden Robert Hüser: Er organisiert die Treffen von seiner neuen Heimat Mainz aus. Vorgesehen war 1944 für die Einschulung die Weiltorschule. „Die war aber noch Wohn- und Schlafstätte für Fremdarbeiter“, so Hüser. Darum wurden die Kinder ersatzweise in der Holschentorschule eingeschult. Da waren noch Panzer der Amerikaner auf dem Schulhof. Die Soldaten gaben den Schülern Süßigkeiten. Nach einiger Zeit ging es dann rüber zur Weiltorschule. Inzwischen sind die Ex-Schülerinnen und Schüler weit verstreut: Detmold, Göppingen, Mainz, Bad-Rothenfelde beispielsweise

Beide gingen zusammen zur Kommunion, erinnern sich an so manches aus der Schulzeit. Eva Rausch: „Wenn der Lehrer zehn Minuten nach voll noch nicht da war, sind wir schnell zur Ruhr gelaufen.“ Denn da gab es die Badeanstalt, damals, am alten Ruhrverlauf, wo „wir im Sommer immer gleich nach der Schule waren“, erinnert sich Marlene Föbinger. Was dazu geführt habe, dass sie ihre Hausaufgaben manchmal noch schnell morgens vor der Schule erledigte. Zehn Pfennig habe der Eintritt in die Badeanstalt damals gekostet. Das Schwimmen haben sich die Kinder dort damals selbst beigebracht. „Es hieß: Wenn Du drei Züge schaffst, dann kannst Du auch vom Sprungbrett springen. Drei Züge waren es nämlich bis zur Treppe.“

Schülerinnen zählten die Rosinen im Schulessen

Eva Rausch erinnert sich an das von den Amerikanern unterstützte Schulessen. Meistens gab es Nudel- oder Milchsuppe. Letztere mit Rosinen. „Da ist man zum Schluss hingegangen, denn unten im Topf waren dann die meisten Rosinen. Wir haben dann auf der Mauer gesessen und Rosinen gezählt.“ Robert Hüser ergänzt: „Wir mussten unser Kochgeschirr mitbringen. Das Essen kam aus der Großküche für die Fremdarbeiter.“

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Schüchtern sei sie damals gewesen und ruhig, berichtet Eva Rausch. „Aber einmal hatte ich wohl gequatscht, da musste ich nach vorne kommen, die Zöpfe vom Rücken nehmen und dann hat die Lehrerin mich mit dem Stock geschlagen.“

Jungen und Mädchen saßen in getrennten Bänken

1944 sind die Kinder der Klasse eingeschult worden - mitten im Krieg. Der prägte auch das Jahr der Einschulung. Was in ihrer Schultüte war, weiß Eva Rausch nicht mehr. „Es kann aber nicht viel gewesen sein, wir waren ja arm.“ Marlene Föbinger weiß gar nicht, ob sie überhaupt eine Schultüte bekam. Ihre Freundin fällt ein, dass einmal die Sirene ging und „dann sind wir alle in den Bunker“. Und: Mädchen und Jungen saßen in getrennten Bänken, in der Kirche war eine Seite für die Mädchen, eine für die Jungen.

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Am Englischunterricht nahmen nur die guten Lernenden teil. „Dafür musste ich dann in eine andere Klasse gehen“, so Eva Rausch. Sie und Marlene Föbinger haben in ihren Fotoalben das Foto vom Ausflug zur Dechenhöhle. Die Ausflüge haben beiden gefallen.

Kappes vom Gemüsebauern fürs Gemüsegeschäft auf dem Kirchplatz geholt

Privat fuhren die Mädchen damals auch mit der Schubkarre zum Gemüsebauern, um für den Gemüseladen von Eva Rauschs Familie auf dem Kirchplatz, dort, wo heute die Gastronomie „Vollmond“ eine Heimat hat, Gemüse zu holen. „Es gab ja kaum was. Kappes, mal Steckrüben“, weiß Eva Rausch.

Eva Rausch im Gemüseladen am Kirchplatz. In dem Gebäude ist heute die Kneipe Vollmond. Sie gehört zu denjenigen, die sich 80 Jahre nach der Einschulung treffen werden.
Eva Rausch im Gemüseladen am Kirchplatz. In dem Gebäude ist heute die Kneipe Vollmond. Sie gehört zu denjenigen, die sich 80 Jahre nach der Einschulung treffen werden. © WAZ | Privat (Archiv)

Viele der ehemaligen Mitlernenden blieben in Kontakt - wie die beiden Freundinnen. Eva Rausch ist die Patentante von Marlene Föbingers Tochter, sonntags spielen die beiden 85-Jährigen Karten, haben sich nie ganz aus den Augen verloren. Auf das Wiedersehen in Bälde mit den anderen Klassenkameraden freut sich das Mädchen-Duo. „Die, die regelmäßig dabei waren, erkennt man wieder, bei anderen aber rätselt man doch“, sagt Eva Rausch. Und Robert Hüser kündigt an, dass dies nun das letzte Klassentreffen sei: „Jetzt ist wirklich offiziell Schluss.“

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